„I’m a Cyborg but that‘s OK“
So heißt zwar der Film eines bekannten koreanischen Filmemachers, aber dieser Titel trifft auch perfekt auf ALITA: BATTLE ANGEL zu. Nach fast 20 Jahren schafft es die Manga-Adaption endlich doch noch auf die große Leinwand. ALITA sollte eigentlich James Camerons nächstes Projekt nach TITANIC werden, aber wurde unterwegs von AVATAR steil überholt. Als sich schließlich abzeichnete, dass sich Cameron auf unbestimmte Zeit mit den Fortsetzungen zu AVATAR beschäftigen würde, brachte ein Gespräch mit seinem Freund Robert Rodriguez die Lösung. Cameron überließ seinem Kumpel das unfertige Script zur Bearbeitung und zog sich auf den Produzentenstuhl zurück. Die Aussicht auf eine solche Kollaboration ließ die Erwartungen in die Höhe schnellen. Wie großartig könnte ein ALITA: BATTLE ANGEL Film werden, wenn der wundervoll kreative Irrsinn von Rodriguez unter den effektiven wie perfektionistischen Argusaugen von Cameron zum Einsatz kommen würde?
Die Antwort liegt jetzt in einem 122 minütigem 3D-Effekte-Gewitter vor, bei dem James Camerons Handschrift immer noch durchscheint. Im Jahr 2563 liegt die Welt mal wieder in Schutt und Asche. 300 Jahre nach einem Krieg zwischen der Erde und seiner Mars Kolonie ist auf dem ehemals blauen Planeten nur noch ein (weitestgehend) menschlich bewohnter Bereich übrig geblieben: Iron City ist das dreckig überfüllte Arbeiterghetto, während in der über ihr schwebenden Stadt Zalem die Oberschicht die Geschicke bestimmt. Auf einem vom Müll der Oberstadt gespeisten Schrottplatz findet Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz) die spärlichen Überreste eines Cyborg-Mädchens, das er in seiner Werkstatt restauriert. Das zunächst unschuldig anmutende Wesen tauft er Alita (Rosa Salazar), die sich an nichts mehr aus ihrer Vergangenheit erinnern kann. Gemeinsam mit ihr geht der Zuschauer auf Entdeckungstour in Iron City und darf durch ihre großen Augen das irre Treiben in der Stadt miterleben.
Hier spielt ALITA: BATTLE ANGEL sein volles Potential aus: die detaillierte Trash-Tech Welt von Iron City wird nicht nur durch das immens gut eingesetzte 3D lebendig, sondern atmet den bis ins kleinste durchdachten Designfetisch Camerons aus jeder verrosteten Pore. Rasant wird es schließlich, als Alita durch ihre Straßenbekanntschaft Hugo (Keean Johnson) den Lieblingssport der Bewohner von Iron City kennenlernt: Motorball – quasi ROLLERBALL auf motorisierten Rollerblades. Rodriguez dürfte es bei der Umsetzung dieser Sequenzen mächtig in den Fingern gejuckt haben, hatte er doch schon einst in SPY KIDS 3D ähnlich fulminant 3D-Rennen inszeniert. Die Belohnung dafür bekommt hier das Publikum mit einigen erstaunlich dynamischen wie räumlich plastischen 3D-Actionsequenzen, die alle Register ziehen, zu sehen. Das brachiale Sportspiel löst bei Alita allerdings erste Flashbacks ihrer Vergangenheit aus, die ahnen lassen, dass Sie nicht nur ein niedliches Metall-Mädel ist. Durch ihre aufsehenerregenden Kampffähigkeiten gerät sie schnell ins Visier von örtlichen Cyborg-Auftragskillern und Kopfgeldjägern. Doch Alita wählt die Flucht nach vorn und beginnt einen brachialen Feldzug gegen einen Feind, den sie noch gar nicht kennt. Trotz einer Freigabe ab 12 Jahren lehnt sich ALITA: BATTLE ANGEL weit aus dem Fenster, denn nicht nur Cyborgs werden hier minutiös brachial in ihre Einzelteile zerlegt. Dennoch gewinnt der Film eher in seinen ruhigen Momenten, besonders zwischen Salazar und Waltz, der sich gekonnt zurücknimmt und seine Rolle als Cyber-Gepetto-Frankenstein mit liebevoller Süffisanz spielt, ohne zu stark in seine beliebten Manierismen zurück zu fallen.
Über die gesamte Distanz erleidet der Kampfengel aber leider einen heftigen dramaturgischen Kurzschluss: während sich die erste Filmhälfte gekonnt mit der „Wer und wo bin ich“-Frage von Alita beschäftigt, verhaspelt sich der Film danach in seinen Subplots, ohne diese richtig auszufüttern, geschweige denn Spannung aufzubauen. Es muss schließlich nur noch rasch zur nächsten Actionsequenz gehuscht werden. ALITA: BATTLE ANGEL will eigentlich viel mehr erzählen, als er in seiner Laufzeit schaffen kann. Ein Fakt, der sicher der ausufernden Manga-Vorlage geschuldet ist. So bleiben viele angedeutete Themen und Konflikte liegen oder werden nicht aufgelöst. Die zahlreichen illustren Nebenfiguren und Cameos werden deshalb leider nur als kurzlebige Dekoration missbraucht. Besonders schlimm trifft es hier Jennifer Connelly, deren Rolle als Ex-Frau von Dr. Ido an der Seite des zwielichtigen Motorball Promoters Vector (Mahershala Ali darf hier auch nur cool aussehen) scheinbar deutlich reduziert wurde. Was allerdings großartig funktioniert ist ALITA. War das Gekreisch nach dem ersten Trailer ob der großen Manga-Augen des Digital-Makeups groß, darf hier komplett entwarnt werden. Dank Henson-Effekt ist der Zuschauer so in der artifiziellen Welt versunken, dass Alita in wenigen Minuten als absolut homogen empfunden wird. Wie unfassbar artikuliert sie wirkt, zeigt sich am Besten in den vielen kleinen Gesichtsreaktionen, die das völlig aus dem Häuschen geratene Cyborg-Mädchen beim ersten Besuch im Motorball Stadion zur Schau stellt. Walt Disney Animatoren dürften dabei die Tränen in die Augen steigen. Wer schließlich über eine obligatorische und absichtlich naive Teenie-Love Story hinwegsehen kann und sich damit abfindet, dass ALITA: BATTLE ANGEL erstmal der Pilotfilm zu einer größeren Serie von Kinofilmen sein will, der bekommt eine wuchtige Packung Popcornkino mit ziemlich perfektem 3D serviert, die sicherlich mehr zu bieten hat. Bleibt nur zu hoffen, dass ALITA auch wirklich Folgen hat.
Kay Pinno
Ein ausführliches Interview mit Robert Rodriguez könnt ihr in der aktuellen DEADLINE #73 lesen.