Von Sarah Stutte
In der Nacht von Sonntag auf Montag werden in Hollywood zum 97. Mal die Oscars im Dolby Theatre verliehen – und dieses Jahr ist die Zeremonie besonders spannend. Nicht nur, weil sie aufgrund einiger Skandälchen offen ist wie nie, sondern vor allem, weil sich in diesem Jahrgang außerordentlich viele Genrefilme Chancen auf ein Goldmännchen machen können.
Der Titel sagt schon alles an Wunschdenken, was man sich als Horror-Nerd von einer Hochglanz-Veranstaltung wie den Oscars verspricht. THE SUBSTANCE ist der erste Body Horror-Film überhaupt, der für den Besten Film nominiert wurde. Und wie schön wäre es, wenn THE SILENCE OF THE LAMBS nicht mehr der einzige Horrorfilm ist, der jemals in der Kategorie Bester Film gewann, nämlich 1992. Gerade diesem unkonventionellen, blutig-fiesen Abgesang auf Hollywood und seinen Schönheitswahn, mitsamt herrlich ausartender CARRIE-Hommage und Cronenberg’schem Körpermutations-Wahnsinn würde man den Sieg gönnen. Natürlich heisst es deshalb auch ganz fest Daumen drücken für Regisseurin Coralie Fargeat, die in der Best Directing-Sektion die einzig nominierte Frau ist und die schon mit ihrem nicht minder stylischen Erstling REVENGE (2017) – einem Rape&Revenge-Meta-Kommentar aus weiblicher Sicht auf gängige Genre-Klischees – zu begeistern wusste. Und dann ist da ja noch Demi Moore, die für ihre grandios-außerkörperliche Erfahrung in THE SUBSTANCE auf ihre alten Tage hoffentlich ebenfalls das Ding als Beste Schauspielerin heimbringt.
Doch gerade im Feld der zehn besten Filme des Jahres tummeln sich noch mehr Genrevertreter. Da wäre einmal EMILIA PÉREZ. Das französische Musical mit Thriller-Elementen über die Transition eines mexikanischen Drogenbarons galt bis vor kurzem noch als starker Favorit mit insgesamt 13 Nominierungen. Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón hatte gute Chancen, als erste offen transgeschlechtliche Schauspielerin einen Oscar zu gewinnen. Doch dann kamen alte Tweets von Gascón ans Licht, in denen sie sich islamophob und rassistisch äußerte und ziemlich schnell wurde die Spanierin zur Persona non grata. Darunter litt die Oscar-Kampagne schmerzlich und ob der Film von Regisseur Jacques Audiard nun überhaupt noch eine Trophäe gewinnen kann, ist fraglich. Klar, EMILIA PÉREZ mag nicht das anspruchsvollste Werk in der Runde sein, dafür sind Story und Dialoge zu platt, aber hey, visuell ist er toll gemacht, die Songs sind stimmig inszeniert, Action gibt es auch – kurzum, der Film macht Laune. Und zumindest Marvel-Queen Zoë Saldaña hätte ihren Oscar als Beste Nebendarstellerin mehr als verdient.
Im Rennen um den besten Film sind außerdem der den ersten Teil noch übertreffende Science-Fiction Hit DUNE: PART TWO, der Vatikan-Verschwörungsthriller KONKLAVE, der dramatisch-unterhaltsame Sexarbeiter-Krimi-Trip ANORA, dann I’M STILL HERE – das beklemmende, auf wahren Begebenheiten beruhende Werk über die brasilianische Militärdiktatur – und der ungewöhnlich gefilmte sowie erschütternde Rassismus-Ankläger NICKEL BOYS. In der Sparte Bestes Originaldrehbuch ist der Schweizer Genre-Regisseur Tim Fehlbaum für seinen packenden Geiselnahme-Thriller SEPTEMBER 5 nominiert, über das Münchner Olympia-Attentat von 1972. Beim besten adaptierten Drehbuch könnte wiederum KONKLAVE von Edward Berger (IM WESTEN NICHTS NEUES) im Vorteil sein – ist doch der Film, der insgesamt acht Nominierungen bekommen hat, mit seinem Fokus auf die Sichtbarkeit der Frauen in der katholischen Kirche noch um einiges bissiger als die Romanvorlage.
Die Neuverfilmung des Horror-Klassikers NOSFERATU von Robert Eggers ist ebenfalls viermal nominiert – in den Sparten Beste Kamera, Bestes Szenenbild, Beste Kostüme und Bestes Make-up/Frisuren. In letzterer Kategorie ist auch die einzige Nominierung für A DIFFERENT MAN zu finden, dem humorvollen Psychothriller-Konterpart zu THE SUBSTANCE. Ebenfalls Chancen auf immerhin einen Oscar – und zwar im Kostümdesign – kann sich auch GLADIATOR II machen, der ansonsten weit abgeschlagen hinter seinem fünffach ausgezeichneten Vorgänger GLADIATOR (2001) liegt. ALIEN: ROMULUS ist dafür in der Sparte Beste visuelle Effekte nominiert, genauso wie PLANET DER AFFEN: NEW KINGDOM. Schliesslich kämpfen um den Oscar beim Besten Internationalen Film der wichtige, weil überaus kritische iranische Beitrag THE SEED OF THE SACRED FIG über die blutig niedergeschlagenen Proteste 2022 nach dem Mord an Mahsa Amini sowie das düstere Historien- und Kindsmörderdrama THE GIRL WITH THE NEEDLE um den begehrten Preis. Man darf also gespannt sein, welche und wieviele Genrefilme am Ende die Nase vorn haben. Wenn das Ganze dann noch mit einer überraschenden Will Smith-Gedächtnis-Schlägerei garniert ist, könnte die Oscarnacht der Nächte ziemlich unterhaltsam werden. Also Popcorn griffbereit und ab auf’s Sofa!