Zwei Lügen, eine Wahrheit: Aliens, Frauen, ökonomische Ungleichheit.
Yorgos Lanthimos ist ein serieller Filmemacher. Nach seinem Run der letzten Jahre könnte man ihm jetzt vorwerfen, dass er seine Form nicht weiterentwickelt. Aber das würde von der Tatsache ablenken, dass er eben eine Form hat. Und diese Form ist überaus gelungen. Statt wie in einer üblichen Serie ohne Ende trivialen Content zu fabrizieren, läuft bei Lanthimos das Fließband in einem spürbar bedachteren Tempo und ist damit offen für ästhetisches Gelingen. Kulturindustrie, die funktioniert.

Mit BUGONIA also liefert Lanthimos nun ein Remake der 2003 erschienenen Verschwörungskomödie SAVE THE GREEN PLANET! von Jang Joon-hwan. Es geht um den Hobby-Bienenzüchter Terry (Jesse Plemouns). Terry ist sich sicher, die Dinge durchschaut zu haben. Denn vieles läuft gerade nicht so gut: Terry lebt isoliert in einem runtergekommenen Haus, arbeitet für ein Onlineversandhandelsunternehmen, seine Mutter ist schwer krank, und zu allem Überfluss macht sich ein zunehmendes Bienensterben bemerkbar. Terrys Vorstellung nach steckt hinter alledem genau eine Person: Unternehmerin und Undercover-Alien aus der Andromeda-Galaxie Michelle Fuller (Emma Stone). Um die Welt vor der sicheren Zerstörung zu retten, entschließt Terry sich also dazu, gemeinsam mit seinem Cousin Don (Aidan Delbis) das mutmaßliche Alien zu entführen. Und trotz anfänglicher Gewissensbisse ziehen sie es tatsächlich durch. Im Namen der Menschheit halten sie Michelle Fuller gefangen und versuchen so, eine günstige Vereinbarung für den Blauen Planeten rauszuhandeln. Dabei schrecken sie selbst vor Folter nicht zurück. Ein klischeehafteres Abziehbild eines Verschwörungsideologen als Terry gibt es nicht. Der Witz ist: Auch Michelle gleicht einer Verkörperung des Bösen. In der Pompösität eines Bond-Bösewichts und mit shakespearischen Gesten im Gepäck geht die Geschäftsführerin für Gewinne über Leichen. Das wird vor allem in der herrlichen Anfangssequenz deutlich.

Der ganze Konflikt hat eine stark ökonomische Färbung – die wirtschaftliche Lage sowohl von Terry als auch von Michelle wird immer wieder thematisiert. So sind etwa Michelles rhetorische Fähigkeiten aufgrund ihres Studiums weitaus ausgeprägter als die von Terry, was Letzteren nicht selten in Bedrängnis bringt. Arbeiterklasse und wirtschaftliche Elite stehen sich gegenüber. Nur ist die Arbeiterklasse hier mehr oder weniger ein selbstgefälliger Ein-Mann-Mob, der sich für ein revolutionäres Subjekt hält. Am Ende des Tages ist Michelle einem frustrierten, männlichen Wutbürger ausgesetzt.

BUGONIA beschreibt eine verfahrene Situation. Auf einer emotionalen Ebene können wir natürlich mit beiden Figuren mitfühlen. Terry als systemisch Abgehängter tut uns leid, und der mit körperlicher Misshandlung konfrontierten Michelle wünschen wir, dass sie entkommen kann. Wenn wir aber beide Figuren als Metaphern für gesellschaftliche Phänomene begreifen, rufen sie gleichermaßen Irritatonen hervor, und das Ganze verkompliziert sich. Lanthimos spielt mit dieser Ambivalenz. Während der gesamten Laufzeit von BUGONIA sind wir aufgrund des Gezeigten durch und durch getriggert. Und trotzdem ermöglicht uns der Film einen klaren Blick auf größere Zusammenhänge.

Das liegt an der Form – denn diese ist eine Form der Unaufgeregtheit. Zwar mögen manche Kameraeinstellungen etwas flippig sein. Doch im Kern ist die Bildsprache von Lanthimos beziehungsweise seinem Stamm-Kameramann Robbie Ryan geprägt von einer beharrlichen Langsamkeit. Das aufgeregte Geschehen, die aufgeregten Figuren und das aufgeregte Publikum werden von dieser Form der Unaufgeregtheit zusammengehalten. Hierin liegt einer der Gründe für das ästhetische Gelingen der Lanthimos-Filme. BUGONIA bildet davon keine Ausnahme. (Vincent Kelany)
Hier fließen Blut und Honig – kein Grund, nicht reinzugehen

