Hier erhältlich als E-Paper
Warenkorb

DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE

Regie: Kirill Serebrennikow / D, F 2025 / 135 Min.
Besetzung: August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht
Verleih: DCM
Freigabe: FSK 12
Start: 23.10.2025

SLAYER besangen ihn in „Angel of Death“, im MARATHON MAN wurde er als „Weißer Engel“ Dr. Szell zum Sinnbild sadistischen Wahns. Auch der ach so geniale Dr. Heiter aus THE HUMAN CENTIPEDE klaute dreist aus demselben Abgrund menschlicher Perversion.

Und doch gibt es Menschen, denen er nichts sagt. Je älter man ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass einem beim Hören dieses Namens ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts liefen viele Nazi-Dokumentationen vor allem im Privatfernsehen rauf und runter. Kaum eine Figur stand so sinnbildlich für die Grausamkeit des „Dritten Reichs“ wie der leitende Lagerarzt des KZ Auschwitz. Mengele war verantwortlich für unzählige Tote und entsetzliche Menschenversuche, alles im Namen einer „Wissenschaft“, die sich der „Rassenhygiene des deutschen Volkes“ verschrieb. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Nach dem Krieg verschwand Mengele auf einer der sogenannten Rattenlinien nach Südamerika. Er tauchte unter, lebte jahrelang auf der Flucht und starb 1979 an einem brasilianischen Strand. Sein Tod wurde erst 1985 bekannt und 1992 durch DNA-Analysen offiziell bestätigt. Für viele klingt das nach einem milden Abgang im Paradies. Doch Frieden oder Erlösung? Fehlanzeige. Die deutsch-französische Koproduktion DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE zeigt dies eindrucksvoll – und manchmal quälend langsam – in ihren 135 Minuten.

Nach einem bitterbösen Intro springt der Film ins Jahr 1956: Mengele, gehetzt, paranoid und äußerlich maskiert, versteckt sich in Buenos Aires. Selbst ein Spaziergang wird zum Albtraum: ein paar Juden an der Ampel – zurück ins Kaffeehaus. Die Paranoia sitzt tiefer als bei dem auf ihm basierenden Dr. Szell im MARATHON MAN.

Die Story folgt ihm über Jahrzehnte hinweg, von Land zu Land, immer unter der drohenden Verschleppung von Simon Wiesenthal und anderen rachedurstigen Nazijägern. Seine wohlhabende Familie in Günzburg hält währenddessen schützend die Hand über ihn. Sogar heimliche Reisen nach Deutschland unternimmt Mengele, um Verwandte zu besuchen. Hier wird klar, wie tief das Gift des Nationalsozialismus in den Wurzeln dieser Familie steckt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Erinnerungen an den kühlen, das Grauen ausblendenden THE ZONE OF INTEREST werden wach. Auch hier liegt der Fokus zunächst auf einem Psychogramm eines Mannes, der nichts bedauert und nichts bereut. August Diehl verkörpert Mengele so intensiv, wie wir es von ihm erwarten. Eine Frage bleibt: Gab es in diesem stets adrett auftretenden Mann jemals Menschlichkeit?

Dann, völlig unerwartet, öffnet sich der Film: Ein kurzer Flashback zeigt das ganze Ausmaß des Schreckens, das Mengele in Auschwitz anrichtete. Diese Szene trifft wie ein Faustschlag in die Magengrube und verleiht dem zuvor distanzierten Kammerspiel eine verstörende Wucht. Dass die FSK den Film ab 12 Jahren freigegeben hat, überrascht angesichts dieser Sequenz umso mehr. Danach bleibt kein Zweifel mehr, wer dieser Mensch war – und was das „Dritte Reich“ aus ihm gemacht hat. Zum Bedauern reicht es dennoch nicht.

Beim letzten Besuch seines Sohnes Rolf 1977 zeigt sich Mengele verbittert und uneinsichtig. Die alles entscheidende Frage „Was hast du damals in Auschwitz gemacht?“ beantwortet er mit der routinierten Kälte eines Mannes, der alles geleugnet und verdrängt hat: „Nur meine Pflicht.“ Danach setzt er sich wieder vor seinen Fernseher in seiner einsamen Bruchbude, in die Selbstisolation seiner eigenen Welt, in der andere Menschen nur zählen, wenn sie ihm nützlich sind.

Was den Film besonders auszeichnet, ist seine zurückhaltende Erzählweise. Es gibt keine aufgesetzten Effekte, keinen erhobenen Zeigefinger, keine pathetischen Kommentare. Alles entsteht aus der Inszenierung, der präzisen Kameraarbeit und Diehls eindringlicher Darstellung. (Rainer Bachmann)

DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE ist kein Film für das große Blockbuster-Kino, dafür aber ein Lehrstück für jedes Klassenzimmer. Ein Film, der verstört, ohne zu moralisieren, der nachhallt und viele Fragen aufwirft.

DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE

Regie: Kirill Serebrennikow / D, F 2025 / 135 Min.
Besetzung: August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht
Verleih: DCM
Freigabe: FSK 12
Start: 23.10.2025