Eines vorneweg: Bevor man anfängt, über all die Fehler, all die Schwächen der Nikolaj-Arcel-Verfilmung von Stephen Kings acht Bücher umspannenden Multiversum DER DUNKLE TURM zu jammern: Das Ergebnis ist, bei allen Mängeln, ein schlank gehaltenes, drahtiges Stück pulphafter Action mit einem extrem coolen wie stoischen Idris Elba und einem magnetisch bösen Matthew McConaughey. Aber eines ist es definitiv nicht: eine gute Literaturverfilmung. Offenbar etwas, das DER DUNKLE TURM nie sein wollte. Wer ihn besucht, sollte nicht mit der Erwartung einer buchstabengetreuen Umsetzung der rund 4.000 Seiten des King’schen Epos im Kinosessel Platz nehmen. Die Macher von DER DUNKLE TURM haben vielmehr die abgedrehte, durch parallele Universen springende Handlung, diesen ziemlich einzigartigen Genremix zusammengekocht, komprimiert und verwandelt. Nicht unbedingt in etwas Besseres, aber auch nicht in etwas Abstoßendes. Bisweilen muss man zur Vorlage einfach Abstand nehmen.
Einige der Schwächen von DER DUNKLE TURM sind Versagensängste. Es wurde in den letzten Minuten der Produktion umgeschnitten, zu viele Köche wurden in die Küche gelassen. Dennoch hat DER DUNKLE TURM etwas zu bieten. Nicht viel, denn dieser Film will gar kein Meisterwerk sein. Er zielt auf den Rand der Punktewertung und landet genau dort. DER DUNKLE TURM präsentiert sich als kompetent gestaltetes, paranoid-metaphysisches Video, das nicht mit Überlänge nervt. Als Sahnestücke gibt es einige schrecklich unterhaltsame Effekte, drei wirklich gut arbeitende Hauptdarsteller. All dies kommt jedoch mit einem Preis, der emotionale Einschlag kreist den Nullpunkt ein. Ironischerweise ein Umstand, der dem Film hilft.
DER DUNKLE TURM erzählt uns die Geschichte von Jake Chambers (Tom Taylor), einem Teenager mit Psi-Kräften, der zum Epizentrum einer Schlacht um das Schicksal der Erde wird. Alles bewegt sich irgendwo im Spagat zwischen X-MEN, THE SHINING, THE BOOK OF ELI und THE MATRIX, mit genug Kanonendonner und klappernden Hülsen bestückt, um all die Kinobesucher zu befriedigen, die niemals nie eine Nase in das King’schen Epos stecken werden. Ein paar Konzepte aus der Vorlage hängen auch noch im Zelluloid fest. Aufmerksamen (oder belesenen) Zuschauern werden sie auffallen und zeigen, wie sehr Kings Denken sich von dem der meisten Menschen abhebt. Wer aber nur für den Ritt im Sessel sitzt, dem wird es egal sein, was King’schem Ursprung, was Carl Gustav Jung zuzuschreiben ist und was bei allen Maßstäben gerade so für Direct-to-DVD reichen würde. Alles brennt sich zusammen zu einem glitzernden Müllberg von Action- und Pulp-Déjà-vus.
Der junge New Yorker Jake wird von gruseligen Visionen aus einer anderen Welt geplagt. Er fühlt sich förmlich dazu gezwungen, seine Visionen zu zeichnen. Darunter menschliche Wesen mit künstlicher Haut, eine Art mechanisierter Vulkan, der finstere Mann in Schwarz und ein Held, nur als der Revolvermann bekannt.
Jakes Visionen sind alle real, aber niemand glaubt ihm. Nicht einmal seine Mutter (Katheryn Winnick), die ihn einweisen lässt. Dort aber findet Jake einen Beweis für seine Albträume, er sucht sein Heil in der Flucht, erreicht schließlich ein verfallenes Haus in Brooklyn und gelangt durch ein Tor, entsprungen dem bekifften Hirn eines 40 Jahre jüngeren Steven Spielberg, in eine andere Welt.
Diese Welt ist Mittwelt, eine steinige Wildnis, und in dieser trifft unser junger Held den Revolvermann Roland Deschain (Idris Elba), einen stoischen Rächer mit Lederduster auf einer Mission: Ihm fiel es zu, den Dunklen Turm zu beschützen, eine kosmische Kraft des Guten, die alles seit Anbeginn der Zeit zusammenhält. Seine Erznemesis ist der Mann in Schwarz (Matthew McConaughey), der diesen multidimensionalen Anker in Turmform vernichten will. Sein Hauptquartier ist der Vulkan aus Jakes Visionen, eine Mischung aus mittelalterlichem Bond-Schurken-Lager und Sci-Fi-Drachenhöhle, in dem der Mann in Schwarz begabten Kindern durch einen Cyberstuhl ihre Energie raubt, um den Turm zu vernichten. Hier, wo Energie geraubt wird, weiß einen DER DUNKLE TURM endlich zu packen: mit McConaugheys schneidiger Performance von Bösem mit trockenkaltem Blick voller Heimtücke.
Der Mann in Schwarz stolziert ständig mit schwarzem, aufgeigeltem Haar herum und erscheint wie eine Mischung aus dem verlorenen Bruder von Siegfried und Roy sowie der Welt gemeinstem Elvis-Imitator. Trotz aller Oberfläche (und mangelnder Tiefe) ist es die Leichtigkeit, mit der McConaughey seine Rolle füllt, die diesem ikonischen King-Charakter extrem viel Kraft verleiht. Trotz aller Reduktion kauft man ihm die King’sche Version Nyarlathoteps ab, gemischt mit zweckvoller Dämonik und dem Habitus eines reisenden Henkers mit Stil.
Für einige Zeit scheint Idris Elba im Vergleich zu dieser Performance blass. Dies liegt aber lediglich daran, dass der Revolvermann auf Zeit spielt. Er hat Beef mit dem Mann in Schwarz, der persönlicher nicht sein könnte. Der finstere Kollege hat seinen Vater (Dennis Haysbert) auf dem Gewissen (so ein solches vorhanden ist), er hat den Knarrenkünstler gebrochen, aber nicht in die Knie gezwungen. Obendrein hat der Meisterschütze noch immer seine beiden Colts, geschmiedet aus keiner anderen Klinge als Excalibur. Als dieser Held schließlich die Erde erreicht, den einzigen Ort im Multiversum, an dem an Kugeln geglaubt wird, dreht er frei. In Manhattan erblüht Elbas zurückhaltende Coolness zu amtlichstem Stolz, zwischen Beschützer und Kind entsteht endlich ein Band. Tom Taylor leistet dazu einen nicht unwichtigen Beitrag. Er strahlt mühelos eine zerbrechliche und nervöse Aura aus, passend zu seinem Charakter. An der Seite des Revolvermanns helfen ihm dessen coole Jedisprüche um seine eigene Kraft, dies alles zu sehen, zu verstehen und zu nutzen.
DER DUNKLE TURM ist ein Einzelgänger, direkte Nachfolger sind nicht zu erwarten. Mit ein wenig Glück könnte er es sogar zu einem Kassenschlager an ein bis zwei Wochenenden bringen. Er ist kommerziell bis in die finsteren Haarspitzen, aber er schlachtet nicht aus. Würde DER DUNKLE TURM die Zwei-Stunden-Mauer sprengen und auf weitere Teile ausgelegt sein, dann wäre er ein wahrer Albtraum aus der Hollywood-Hölle. So aber will er kein Multiversum sein, nicht das Rad neu erfinden. Dieser dunkle Turm will nur unterhalten, mit Kugeln, kleinen Easter Eggs für die King-Fans, mit Hinweisen auf THE SHINING und ES, mit drei charmanten Hauptdarstellern. Er zeigt, dass alles neu sein kann, dass in der Uni früher eine 4 ausreichend war.
(Julius Zunker)
Unterhaltsames Mittelmaß voller Kugeln mit wenig Einschlägen
In der aktuellen Deadline präsentieren wir euch zudem ein ausführliches Matthew McConaughey-Interview, in dem euch allerhand spannende Hintergrundinfos erwarten.