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FANTASY FILMFEST NIGHTS XL 2021 – DIE XL-VORSCHAU

 

Es ist Juni 2021, und neben den ersten Sonnenstrahlen am Himmel kann man noch eine andere Form des Sonnenscheins betrachten. Nach einem ganzen Jahr, in dem sehr wenig bis gar nichts erlaubt war, alles geschlossen war und die Lichtspielhäuser Deutschlands keine Besucher empfangen durften, ist nun so weit. Seit Mitte Juni dürfen einige Kinos schon wieder ihre Pforten für Besucher öffnen, und ab Juli flimmern dann alle Leinwände der Republik wieder, was wahrscheinlich auch bitter nötig ist, denn nicht nur die Kinozuschauer haben sehr viel Nachholbedarf, sondern auch die Betreiber und Produktionsfirmen, da sich über die Monate einiges an Independentstreifen und Blockbustern angestaut hat.

THE CONJURING THE DEVIL MADE ME DO IT
THE CONJURING THE DEVIL MADE ME DO IT

Das heißt natürlich auch, dass Filmfestivals endlich wieder, unter bestimmten Auflagen natürlich, in Präsenz stattfinden können und nicht mehr länger nur auf Streamingportale angewiesen sind. Einen Anfang macht das allseits beliebte Fantasy Filmfest mit der extralangen Ausgabe seiner Nights, die in sechs Städten Deutschlands im Juni und Juli 2021 an den Start gehen und wie gewohnt einiges zu bieten haben. Mit im Programm sind potenzielle Blockbuster wie der seit Langem angekündigte A QUIET PLACE 2 sowie der dritte Eintrag im beliebten CONJURING-Universum, THE CONJURING: THE DEVIL MADE ME DO IT, der dann auch gleichzeitig der Eröffnungsfilm ist. Zudem dürfte KANDISHA von den INSIDE-Machern Julien Maury und Alexandre Bustillo viele Zuschauer interessieren.

A QUIET PLACE 2

Doch auch über diese beiden Titel hinaus gibt es wieder viel zu sehen, wobei, wie gewohnt, kein Genre zu kurz kommt. Sowohl Horror wie BAD HAIR oder CAVEAT als auch Science-Fiction (COME TRUE) und Thriller wie THE DRY mit Eric Bana oder FLASHBACK mit der aus IT FOLLOWS bekannten Maika Monroe sind im Programm vertreten. Darüber hinaus darf man sich bei JAKOB‘S WIFE auf Vampir-Horror freuen, wohingegen Filme wie die amerikanisch-iranische Koproduktion THE NIGHT oder Ivan Kavanghs SON atmosphärischen Grusel versprechen. Auch Filme wie das Rachedrama VIOLATION, der Home-Invasion-Thriller THE OWNERS mit GAME OF THRONES-Star Maisie Williams und der visuell berauschende GAIA dürften die Besucher des Filmfests erfreuen.

 

Jedoch wären die Nights nicht komplett ohne die Einträge aus Asien, von denen es mit dem Martial-Arts-Film THE PAPER TIGERS, dem südkoreanischen Thriller SEOBOK und dem Thriller VOICE OF SILENCE gleich drei vielversprechende Titel ins Programm geschafft haben.

 

Das Warten hat also ein Ende für Filmfans, denn wer in den letzten Monaten wie viele andere auf die Rückkehr des Kinos wartete, wird bei den Fantasy Filmfest Nights XL mehr als fündig und kann Filme endlich wieder so genießen, wie es sein soll. (Rouven Linnarz)

 

 

Hier die Termine:

Berlin

24.–27.06.

Hamburg

24.–27.06.

Köln

24.–27.06.

München

17.–20.06.

Nürnberg

17.–20.06.

Stuttgart

24.–27.06.

 

HIER EINE REVIEW-AUSWAHL DER GEZEIGTEN FILME:

 

CAVEAT

Regie: Damian McCarthy / Großbritannien 2020 / 88 Min.

Darsteller: Ben Caplan, Conor Dwane, Jonathan French, Leila Sykes

CAVEAT

 

Gerade viele moderne Vertreter des Horrorgenres vergessen bei aller Ernsthaftigkeit gerne, dass Humor von jeher zum Standardrepertoire solcher Filme gehört. Wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung, können absurde Momente oder gar ironische Seitenhiebe den Unterschied ausmachen, ob man einen Film schnell wieder vergisst oder dieser beim Zuschauer im Gedächtnis bleibt. Immer wieder stößt man in den Kurzfilmen des irischen Regisseurs Damian McCarthy auf solche Momente, die vielleicht nicht immer zum Lachen anregen, aber im Kontext der Handlung das Absurde einer Situation oder einer Figur in den Vordergrund stellen. In seinem ersten Langfilm CAVEAT wird diese Vorgehensweise zum roten Faden einer Geschichte, die immer mehr aus dem Ruder läuft und in welcher sich ein Mann in seinen eigenen Lügen und unterdrückten Erinnerungen verläuft.

 

Obwohl er nach einem Unfall an Amnesie leidet und immer noch sehr mitgenommen von diesem ist, braucht Isaac (Jonathan French) auch dringend Geld. Das Angebot seines Freundes Barret (Ben Caplan) kommt ihm daher wie gerufen, selbst wenn die Bedingungen recht seltsam anmuten. Für ein paar Tage soll er nämlich auf dessen Nichte Olga (Leila Sykes) aufpassen, die nach dem Tod ihres Vaters alleine im Haus der Familie wohnt. Das Mädchen ist zutiefst gestört, sperrt sich tagelang in seinem Zimmer ein und will niemanden sehen. Als wäre dies nicht schon merkwürdig genug, findet Isaac zudem noch heraus, dass das Haus auf einer kleinen Insel steht und er sich in diesem nur an eine lange Kette gefesselt bewegen darf, wobei ihm das Verlassen des Anwesens sowie das Betreten von Olgas Zimmer verwehrt sind.

 

Nur mit viel Überzeugungsarbeit gelingt es Barret, seinen Freund zum Bleiben zu überreden, und so beginnt Isaac seine Arbeit als Olgas Aufpasser. Das Mädchen bekommt er jedoch kaum zu Gesicht in dem heruntergekommenen Haus, von dessen Wänden schon der Putz bröckelt. Dafür glaubt er schon bald, dass sich neben Olga noch jemand in Haus befinden muss, als er Zeuge von merkwürdigen Vorkommnissen wird, Gegenstände verschwinden oder an seiner Kette gezogen wird. Bei seinen Gängen durch das Haus stößt er auf eine neue Wand im Keller, hinter der sich nicht nur der Grund für die seltsamen Ereignisse verbirgt, sondern auch der Grund, warum Isaac sich an seinen Unfall und seine Vergangenheit nicht erinnern kann.

 

Bereits im Titel seines Spielfilmdebüts deutet McCarthy an, dass es etwas gibt, vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Von der ersten Minute an herrscht eine ungewisse, ambivalente Atmosphäre, die noch verstärkt wird durch die ungewisse Vergangenheit des Helden sowie das seltsame Angebot, das ihm sein Kumpel macht und welches immer bizarrer wird. Auch wenn es eigentlich Isaac ist, der auf jemanden aufpassen soll, ist doch vielmehr er ein Gefangener und Überwachter in diesem abbruchreifen Haus, dessen Geschichte noch viel dunkler zu sein scheint, als es ihm Barret zunächst berichtet. Vorahnung, Ungewissheit und Überraschung sind die Mittel, mit denen McCarthy sein Kammerspiel aufbaut und die er bis zu dessen Finale aufrechterhält.

 

Dabei nutzt McCarthys Inszenierung immer wieder das Mittel des Absurden, wie bereits erklärt. Ein unheimlich aussehender Hase zeigt an, woher die Gefahr kommen mag, und ein Loch in der Wand verrät mehr über einen selbst als über die Umstände, in denen man nun lebt. Immer mehr driftet die Handlung ab in einen Zwischenraum von Erinnerung, Realität und Traum, bei dem man sich nie sicher sein kann, was man nun sieht oder wahrnimmt. Alles könnte eine Falle sein, doch besonders die Vergangenheit, symbolisch initiiert durch den Gang in den Keller des Hauses, bringt den wirklichen Schrecken an den Tag.

 

CAVEAT ist ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel, dessen Handlung von vielen interessanten Einfällen in der Inszenierung wie auch im Drehbuch lebt. Neben den Schauspielern ist es nicht zuletzt das Aufrechterhalten von Spannung sowie Ungewissheit, das den besonderen Reiz des Films ausmacht. In jedem Fall sollte man Damian McCarthy im Auge behalten, denn seine Vorliebe für das Morbide und Makabre zeigt, dass er im Genre noch sehr viel mehr leisten kann. (Rouven Linnarz)

 

Absurd, überraschend und atmosphärisch sehr dicht

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SON

Regie: Ivan Kavanagh / USA 2020 / 98 Min.

Darsteller: Andi Matichak, Emile Hirsch, Luke David Blumm, Erin Bradley Dangar, Ethan McDowell

SON

 

Wenn es um das Thema Familie geht, zeigt das Horror- und Thrillergenre immer wieder seine Vielseitigkeit und Aktualität. Egal ob nun Ari Asters MIDSOMMAR oder Chad Archibalds THE HERETICS, die Familie ist nicht bloß ein Verbund von Menschen, sondern immer auch eine Art Spiegelbild der Gesellschaft oder eben ihrer dunklen Seiten, der moralischen, der spirituellen oder aber der politischen. Hinter der Oberfläche von Harmonie und Zusammenhalt verbergen sich meist erschreckende Abgründe, welche es zu erforschen gilt, was wiederum zum Grusel beiträgt. Dies weiß auch der irische Regisseur Ivan Kavanagh, der durch Filme wie NEVER GROW OLD oder THE CANAL dem einen oder anderen Kinozuschauer wohlbekannt sein dürfte. In seinem neuen Werk SON geht es um eine kleine Familie und ein großes Geheimnis, welches eines Nachts Mutter und Sohn überfällt, sodass sich ihr Leben schlagartig ändert.

 

Nach außen hin wirkt die Beziehung zwischen Laura (Andi Matichak) und ihrem achtjährigen Sohn David (Luke David Blumm) sehr liebevoll und harmonisch. Nicht nur schafft sie es, für David immer da zu sein und ihn zur Schule zu bringen, auch ihren Job als Grundschullehrerin schafft Laura und investiert ihre wenige Freizeit darin, sich fortzubilden. Eines Abends jedoch ist es aus mit der Harmonie, denn als Laura, aufgeschreckt durch ein Geräusch, ihren in seinem Bette schlafenden Sohn umringt von einer Schar Fremder vorfindet, ist sie verstört und fühlt sich nicht mehr sicher. Die Polizei kann keine Spuren eines Einbruchs feststellen, doch Laura ist fest von dem überzeugt, was sie gesehen hat, und vertraut sich dem ermittelnden Beamten Paul (Emile Hirsch) an.

 

Als David dann noch eine seltsame Krankheit entwickelt und ins Krankenhaus muss, sieht Laura sich in ihrem Verdacht bestätigt. Während die Ärzte keinen Rat wissen, denkt Laura zurück an ihre Zeit in einer religiösen Sekte, von der sie in jungen Jahren nur mit Mühe und Not fliehen konnte. Überzeugt, es handle sich um eine Art Vergeltungsaktion oder einen Versuch, sie wieder zurück in die Arme der Gemeinde zu führen, macht sich die junge Frau gemeinsam mit ihrem Sohn auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit. Dabei geht es David immer schlechter, und Laura drängt sich der Verdacht auf, eine dunkle Macht habe von ihm Besitz ergriffen.

 

Es ist die Verwandlung der Harmonie oder der Vorstellung von Sicherheit in einen Zustand des Schreckens und der Dunkelheit, die im Zentrum von Ivan Kavanaghs neuem Film steht. Je weiter Laura in ihrer eigenen Biografie zurückgeht und nach Spuren sucht, desto düsterer wird die Welt um sie und ihren Sohn. Von der hellen, freundlichen Vorstadtsiedlung geht es in die Abgründe einer Gemeinschaft, die man dachte hinter sich gelassen zu haben, was Kavanaghs Inszenierung vor allem optisch und durch die Filmmusik Aza Hands unterstreicht. In vielen Einstellungen erinnert SON an das Genre des Neo-Noir, was nicht zuletzt auch an den zwielichtigen Orten und Personen liegt, denen Laura und David auf ihrem Roadtrip begegnen.

 

Mit der Reise in die Abgründe der Vergangenheit wird auch SON nicht nur immer brutaler, sondern auch immer albtraumhafter. Die Sicherheit der einstigen Identität ist zerbrochen, und was bleibt, ist die Verbindung zum eigenen Sohn, die auch immer mehr in Gefahr gerät. Die bestialischen Morde, welche Laura und David verfolgen, verweisen auf eine dunkle Präsenz, die sie verfolgt, die sich in ihr Leben geschlichen hat und so leicht wohl nicht mehr zu verbannen sein wird.

 

Letztlich ist SON ein abgründiger, teils sehr blutiger Roadtrip in die eigene Vergangenheit. Ivan Kavanagh zeigt die Beziehung einer Mutter zu ihrem Sohn, ihren Kampf um dessen Schutz und dessen Leben, für das sie alles zu tun bereit ist. Die düstere Optik und Atmosphäre kann sogar darüber hinwegtäuschen, dass die Handlung bisweilen doch etwas arg berechenbar ist. (Rouven Linnarz)

 

Abgründiger, blutiger Roadtrip

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FLASHBACK
Regie: Christopher MacBride / Kanada 2020 / 97 Min.

Darsteller: Dylan O’Brien, Maika Monroe, Liisa Repo-Martell, Hannah Gross, Amanda Brugel

FLASHBACK

Was ist Zeit? Wie formt sie unser Erleben – und unsere Möglichkeiten? Entscheidest du wirklich frei, oder prägt dich deine Vergangenheit unausweichlich hinein in bestimmte Verhaltens- und Entwicklungsmuster? Solchen und anderen ähnlich großen Fragen widmet sich Christopher MacBrides zweiter Langfilm FLASHBACK, in manchen Ländern auch vermarktet als THE EDUCATION OF FREDRICK FITZELL – allerdings nicht etwa in Form einer schwergängigen philosophischen Abhandlung, sondern vielmehr in einem visuell teils atemberaubenden, oft wahnwitzig schnell geschnittenen Film, der als Sci-Fi-Mysterythriller extreme Sogkraft entwickelt, es den Zuschauern jedoch nicht leicht macht.

 

Im alleinigen Mittelpunkt der Handlung steht dabei der junge Fred (mit einer gewaltigen Bandbreite an Emotionen herausragend gespielt von Dylan O’Brien, LOVE AND MONSTERS), ein Durchschnittstyp in einem Durchschnittsleben, ausgestattet mit einem trockenen neuen Job als Datenanalyst und einer farblosen Freundin (Hannah Gross, MINDHUNTER). Als seine Mutter (Liisa Repo-Martell, KING LEAR) nach einem Unfall mit Hirnschäden und komplettem Gedächtnisverlust ins Krankenhaus eingeliefert wird, triggert das bei ihm eine Reihe von Erinnerungen an glückliche Zeiten mit ihr – und vor allem auch an Momente seiner Jugend, die er vollständig verdrängt hatte.

 

Diese werden uns teils als klassische Rückblenden präsentiert, teils brechen sie in Form von wahren Bildkaskaden über uns und ihn herein. Fragmente der Vergangenheit, deren Protagonisten unheimlicherweise zu versuchen scheinen, mit ihm Kontakt aufzunehmen und ihm eine Botschaft zu vermitteln. Ein entstelltes Wesen, eine Nahtoderfahrung, eine Crack-Höhle … und immer wieder das Gesicht einer aparten jungen Frau. Mit viel Mühe setzt Fred einige dieser Fragmente zu einem Bild zusammen, das ihm 15 Jahre zurückliegende Experimente mit einer Droge namens Mercury gemeinsam mit drei Schulfreunden zeigt – darunter die von ihm verehrte, begehrte Cindy (Maika Monroe, IT FOLLOWS), die im Zuge dessen, unmittelbar vor ihrem Highschool-Abschluss, offenbar spurlos verschwunden ist. Fred macht sich auf den gefährlichen Weg, mehr über ihren Verbleib herauszufinden. Und darüber, was damals eigentlich mit ihm passiert ist.

 

Aber sind es tatsächlich Erinnerungen? Oder vielleicht Halluzinationen? Oder die titelgebenden Flashbacks? Diese Frage kann und soll hier nicht beantwortet werden – denn es wäre eine Schande, zu spoilern und den Zuschauern damit einen Teil der wunderbaren, verstörenden Entdeckungsreise vorwegzunehmen, welche das erstmalige Sichten des Films darstellt. Zu seinem Inhalt soll hier deshalb auch nichts weiter verraten werden – außer, dass FLASHBACK Story-Motive von unterschiedlichsten Filmen aufgreift, die sich mit den Grenzbereichen unseres Realitätsempfindens beschäftigen, von MATRIX über BUTTERFLY EFFECT bis hin zu SLAUGHTERHOUSE-FIVE. Visuell dagegen weckt er mit seinen Schnittexzessen und – Epilepsiegefährdeten ernsthaft nicht zu empfehlenden – Strobo-Stakkatos manchmal glatt Erinnerungen an die fordernden Farb- und Lichtgewitter eines Gaspar Noé, in atmosphärischer Hinsicht stellenweise auch an Werke von David Lynch. Es empfiehlt sich dringend, ihn auf der großen Leinwand zu genießen, idealerweise jetzt beim Fantasy Filmfest.

 

FLASHBACK ist unglaublich trippy und hat gleichzeitig das Potenzial, beim einen oder anderen Betrachter existenzielle Krisen auszulösen. Oder zumindest ein Nachdenken über existenzielle Fragen des menschlichen Daseins. Dabei fordert er dem Publikum vollste Aufmerksamkeit ab: Seine vollkommen nonlineare, teils parallele Erzählstruktur macht es äußerst diffizil, der Geschichte zu folgen. Fast jede einzelne Einstellung hat eine Signifikanz, die sich erst später (oder früher?) erschließt. Und dass es in Freds Job um das Erkennen von Mustern und die Vorhersage von Verhaltensweisen geht; dass der Erinnerungsverlust seiner Mutter seine erschütternde Reise anstößt? Es gibt hier auch inhaltlich keine Zufälle.

 

Am Ende lässt einen FLASHBACK zudem mit zahllosen Leerstellen und offenen Fragen zurück, mit denen man sich selbst auseinandersetzen muss. Auch deshalb ist er definitiv kein Film für jede und jeden, definitiv keine leichte Unterhaltung. Für alle Fans von „Thinking Man‘s Sci-Fi“ aber einer der aufregendsten FFF-Beiträge seit Jahren. Der beweist, dass man auch ohne gewaltiges Budget und Hollywood-Spezialeffekte eine mitreißende, mitunter überwältigende Filmerfahrung erschaffen kann. (Dominic Saxl)

Mind-blowing

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BAD HAIR

Regie: Justin Simien / USA 2020 / 102 Min.

Darsteller: Elle Lorraine, Vanessa Lynn Williams, James Van Der Beek, Kelly Rowland

Bad Hair

Jeder hat mal ’nen Bad Hair Day. Aber bestimmt nicht so wie in dieser B-Movie-Gruselsatire von Justin Simien. Darin entwickeln Locken, Ponys und Strähnchen ein blutdürstendes Eigenleben und gehen ihrem Gegenüber buchstäblich an den Kragen oder stechen mit einem abgebrochenen Weinglas zu oder schlürfen schon mal ein wenig Menstruationsblut. Bevor jetzt aber alle Trash-Fanatiker feuchte Augen bekommen: BAD HAIR ist trotz des deutschen Untertitels („Waschen, schneiden, töten“) mehr ernsthafte Satire mit gruseligen Elementen denn alberne Horrorkomödie, er nimmt seine Hauptfigur ernst. In L. A. anno 1989 ist die junge Afroamerikanerin Anna die graue Maus beim Musiksender „Culture“, dabei würde sie so gerne selbst eine Show hosten. Dass ihr dann eine neue Chefin vor die Nase gesetzt wird, scheint alles nur noch schwieriger zu machen. Doch die hat einen goldenen Tipp parat: Mach die Haare schön, dann wird’s auch was mit der Karriere! Schon sitzt Anna beim Coiffeur und lässt sich ein indisches Haarteil einflechten. Erst langsam ahnt sie, dass das Haarteil ein dämonisches Eigenleben entwickelt … Haare machen Leute, das macht Regisseur Simien, der auch selbst eine kleinere Rolle spielt, gleich von Beginn weg klar. In dieser Glamourwelt hat ein Mauerblümchen wie Anna keine Chance (DER TEUFEL TRÄGT PRADA lässt grüßen), noch dazu, wenn sie Afroamerikanerin ist. Genau hier liegt der eigentliche Schwerpunkt der Erzählung, denn Simien ist ebenfalls Autor und Creator des Films DEAR WHITE PEOPLE bzw. der gleichnamigen Netflix-Serie. Verschmolzen mit einem Horrorfilm, erzählt er im Umfeld der Popkultur rund um Soaps und Stars von der Ausbeutung der schwarzen Kultur, von Empowerment und Selbstbestimmung. Die gesellschaftspolitische Ausrichtung verleiht dem Film ähnlich wie bei WIR oder GET OUT natürlich eine besondere Tiefe, trotzdem hätten die Macher mehr am Spannungsaufbau feilen sollen. Tempo und Abwechslung fehlen, und es wird erst im letzten Drittel besonders haarig, die Storyentwicklung ist zu oldschool, und auch wenn es einige nette visuelle Ideen und Gags gibt, ist die Spieldauer insgesamt zu lang. (Marc Vogel)

Hat die Haare schön!

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COME TRUE

Regie: Anthony Scott Burns / Kanada 2020 / 105 Min.

Darsteller: Julia Sarah Stone, Landon Liboiron, Carlee Ryski, Christopher Heatherington, Tedra Rogers

COME TRUE

Verfallene Gemäuer, düstere Höhlen, ein langer Tunnel, immer wieder eine geheimnisvolle Tür, hinter der ein gesichtsloses, schattenhaftes Monster mit glühenden Augen wartet: Die Orte, an die Sarahs Träume sie führen, sind keine, die man gerne besuchen möchte. Kein Wunder also, dass der zerbrechliche Teenager (Julia Sarah Stone, THE KILLING) ernsthafte Schlafprobleme entwickelt hat – und mit seinen handtellergroßen Augenringen nur zu gerne die Möglichkeit wahrnimmt, an einer Schlafstudie der lokalen Uni teilzunehmen, die sich der REM-Aktivität widmen soll.

 

Zunächst scheint Sarah die bewachte Nachtruhe rundum gutzutun, sie erwacht erholt und erleichtert. Schnell jedoch nehmen die Dinge eine Wendung: Ihre Albträume kommen zurück, aber nicht nur das, sie werden bedrohlicher, lebensechter. Und ganz offensichtlich geht das auch den anderen Teilnehmern an der Studie so. Steckt diese vielleicht selbst hinter ihren Erlebnissen? Was wird mit den Probanden tatsächlich gemacht? Sarah versucht, von Jerry aka „Riff“, dem Leiter des Experiments (Daniel-Radcliffe-Lookalike Landon Liboiron, TRUTH OR DARE), mehr in Erfahrung zu bringen – der sich allerdings zunächst mal als ein creepy Stalker entpuppt hat. Und welche Rolle spielt der direkt aus einem Cronenberg-Werk entsprungen scheinende Professor im Hintergrund (Christopher Heatherington, JOHN, 316)?

 

Ein Gutteil dieser Fragen wird vom Film nicht wirklich klar beantwortet, daneben gibt es immer wieder Handlungsstränge, die sich irgendwo verlieren und nicht weiter verfolgt werden … ganz bewusst. Denn COME TRUE ist statt eines plotgetriebenen Horrorfilms in erster Linie ein Experiment in Ästhetik und Atmosphäre, das versucht, die Essenz von Traumerleben und -logik auf die Leinwand zu bannen. Demzufolge legt er auch weniger Wert auf hohes Tempo und ein großes Maß an Action oder Jump-Scares als vielmehr auf das Erzeugen eines dräuenden Gefühls von Beklemmung. Mit seinem sphärischen 80s-Synthie-Score und der neon-blassen Farbgebung gelingt ihm das ausnehmend gut, als Zuschauer fühlt man sich selbst bald leicht desorientiert und entfernt von rationalem Erfassen des Geschehens.

 

Natürlich ist dies nicht der erste Film, der sich dem großen Mysterium der Träume zu nähern versucht, und fast folgerichtig sind zahlreiche Reminiszenzen an Werke anderer Regisseure zu erkennen – angefangen bei Buñuel bis hin zu Tarsem Singh (THE FALL und THE CELL), dessen Arbeit offensichtlich für die bizarren Traumlandschaften Pate stand, die stellenweise aber auch an die SILENT HILL-Spiele erinnern. Der sonstige Look und Klang des Films hingegen wirken mitunter deutlich inspiriert von der Ästhetik Nicolas Winding Refns; mit seiner melancholischen Grundstimmung, einem überwältigenden Gefühl von Fragilität und nicht zuletzt auch seinen vielen stylischen Nachtaufnahmen leerer Straßen in den Suburbs wiederum ruft er ein ums andere Mal ebenso IT FOLLOWS in Erinnerung.

 

Dass sich COME TRUE dabei nicht nur wie ein großes Zitate-Raten anfühlt, verdankt er einerseits dem großartigen Spiel seiner Hauptdarstellerin, welche die Gefühlszustände ihrer Figur jederzeit intensiv und vollständig glaubwürdig herüberbringen kann. Andererseits vermittelt er trotz seiner so träumerisch unkonkreten, manchmal schier ziellos dahinzutreiben scheinenden Handlung ein merkwürdiges Gefühl von Geschlossenheit – wie das Eintauchen in die bizarre, formenlose, dennoch unheimlich präsente Welt eines ausschweifenden Albtraums. Was der Geschichte und insbesondere den Figuren an Tiefe mangelt, macht der Film nicht unbedingt durch den oberflächlichen Einbau von C. G. Jungs Archetypen-Terminologie als Kapiteltrenner wett – wohl aber durch seine stillvolle Bild- und Tongestaltung, seine überwältigende Atmosphäre sowie einige wirklich beängstigende Visuals.

 

Regisseur Anthony Scott Burns, der bislang nur durch seinen ähnlich dicht inszenierten Beitrag FATHER’S DAY zur HOLIDAYS-Anthologie sowie den eher mittelmäßigen Netflix-Horror OUR HOUSE in Erscheinung getreten war, hat hier ein unbedingt bemerkenswertes Stück abgeliefert, das sich allen Zitaten zum Trotz sehr eigenständig und ungewöhnlich anfühlt. Umso beeindruckender ist dabei, dass ihm dies mit deutlich kleinem Budget und minimaler Crew gelungen ist – er selbst verantwortet hier etwa in Personalunion nicht nur Regie und Drehbuch, sondern auch Kamera, Schnitt und sogar den Score. Als Executive Producer ist übrigens unter anderem Vincenzo Natali (CUBE) mit an Bord.

 

Für erhebliche Diskussionen sorgen dürfte allerdings die Auflösung des Films, die man nur lieben oder hassen kann. Alleine schon, um mitreden zu können, sollte man COME TRUE nicht verpassen.

 

(Dominic Saxl)

Hoch ästhetische, beklemmende Traum-Exploration

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THE DRY

Regie: Robert Connolly / Australien 2021 / 117 Min.

Darsteller: Eric Bana, Keir O’Donnell, Genevieve O’Reilly

THE DRY

Das Begräbnis eines ehemaligen Freundes führt Aaron Falk (Eric Bana) zurück in seine alte Heimatstadt Kiewarra. Als FBI-Agent vertraut ihm die Familie den mysteriösen Fall an. Luke, der einst sein bester Freund war, soll seiner Frau, seinem Sohn und letztendlich sich selbst das Leben genommen haben. Die Familie glaubt nicht an dieses Szenario eines mordenden Sohnes, der selbst sein eigenes Kind erschießt. Die anfängliche Skepsis, die Unschuld von Luke zu beweisen, wandelt sich, als die Dorfbewohner Aaron zunehmend unter Druck setzen, die Stadt zu verlassen. Der 20 Jahre zurückliegende und nicht aufgeklärte Tod seiner Freundin Ellie wurde von ihnen bis heute nicht vergessen. Als vermeintlicher Täter von der Gemeinschaft stigmatisiert und verjagt, muss sich Aaron erneut der Feindseligkeit entgegenstellen. Der Zusammenhang zwischen den beiden Fällen ist für Aaron eine Reise zurück in seine Jugend, in der die Wahrheit seine Unschuld beweisen soll. Denn die Dürre offenbart mehr, als er dachte … Bebildert mit weiten und kargen Landschaften Australiens, inszeniert Regisseur Robert Conolly eine intime Geschichte von Erlösung von einer schmerzhaften Angst, in der unbegreiflich wird, wieso Eric Bana selten so aufspielen darf wie hier. Der Kontrast zwischen dem sommerlichen Flair und der tiefen Zerrissenheit einer Gemeinschaft macht THE DRY zu einem ruhigen und äußerst effektiven Murder Mystery, der durch seine zwei parallel laufenden Handlungsstränge seine annähernd zwei Stunden Laufzeit unterhaltend füllt. In dem Eric Bana einen Charakter spielt, der mit wenigen Blicken und Worten seine emotionale Talfahrt durch Rückblicke äußerst effektiv darstellt und die Buchadaption in ein spannendes Finale trägt. (Olaf Kuzniar)

Das sehenswerte Geheimnis eines Sommers

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VOICE OF SILENCE

Regie: Eui Jeong Hong / Südkorea 2020 / 99 Min.

Darsteller: Yoo Ah-in, Yoo Jae-Myung, Seung-ah Moon

VOICE OF SILENCE

Als Tatortreiniger für die kriminelle Unterwelt sehnen sich Chang-bok und sein stummer Freund Tae-in nach einem besseren Leben und dem großen Geld ihrer Bosse. Denn als arme Dorfbewohner scheint jeder Auftrag für sie recht. Nach der letzten Reinigung werden sie beauftragt, eine Geisel abzuholen, um sie eine Zeit lang zu verstecken. Schnell stellt sich die Geisel als ein elfjähriges Mädchen heraus, das aufgrund der Schulden des Vaters gekidnappt wurde. Trotz anfänglicher moralischer Bedenken nimmt Tae-in das Mädchen in seine Obhut. Zusammen leben er und seine Schwester ein einfaches Leben abseits der Stadt. Als währenddessen der Boss von einem ranghöheren Gangster ermordet wird, müssen Chang-bok und Tae-in selbst die Lösegeldforderung planen. Mithilfe einer weiteren kriminelle Gruppe werden sie im richtigen Kidnappen und Erpressen geschult. Als Tae-in in dem Mädchen zunehmend mehr als einen Job sieht, ändert sich die Situation …Spätestens seit THE BURNING avancierte Yoo Ah-in zu einem gefragten Charakterdarsteller, der in VOICE OF SILENCE beweist, wie man ohne ein einziges gesprochenes Wort den inneren Konflikt aus Skrupeln bezüglich seiner Arbeit und den Gefühlen zu einem Mädchen transportieren kann. Was als eine Art amüsante Buddy-Komödie beginnt, in der die Partner in einer Selbstverständlichkeit die Überreste der Toten im Wald verscharren, wandelt sich im Verlauf zu einem dramatischen Werk über das Streben nach einem besseren Leben, das aussichtslos erscheint. Subtil und ruhig in seiner Erzählweise, schafft es Regisseur Eui Jeong Hong, die Handlung mit Humor zu untermalen, um ab der Hälfte die positive Stimmung der Zuschauer innerhalb weniger Momente gegen den Boden zu schmettern. Ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt, das in seiner Thematik an PARASITE erinnert und sich durch seine Bildsprache, die musikalische Untermalung und die Komplexität seines Hauptdarstellers als ein erneutes Highlight aus Südkorea etabliert. Einer der diesjährigen Höhepunkte des Fantasy Filmfests und eine Bereicherung für die Filmlandschaft! (Olaf Kuzniar)

 

Still, stumm und gnadenlos gut!

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