Die 14. Edition des Schweizer Filmfestivals NIFFF ist zu Ende. Die schönste der zahlreichen Bilanzen nach 9 Tagen mit weit über Hundert Kurz- und Langfilmen, interessanten Gästen, sowie diversen Preisvergaben und Wettbewerben: ein neuer Zuschauerrekord. Und das trotz der WM. Beachtlich. Maßgeblich dazu beigetragen hatte sicherlich auch das Top-Aufgebot an Ehrengästen, dieses Jahr sogar gleich zwei davon. Kult-Komödien-Erschaffer Kevin Smith (wir haben ein Interview vor Ort bekommen, das wir in der kommenden DEADLINE #47 abdrucken werden) und GAME OF THRONES-Vater George R.R. Martin, dessen Masterclass unglaublich großen Anklang fand. Neben den Zuschauern vor Ort im ausverkauften 500 Plätze-Kino setzten sich online per stream (sowohl live, als auch als Aufzeichnung) sagenhafte 125.000 Menschen vor den heimischen Bildschirm. Apropos Wettbewerb: dieses Jahr gab es erstmals den „International critic`s award“, bei dem fünf internationale und ständige Vertreter der Presse auserwählt wurden, für den besten Film zu stimmen. Für Deutschland stellvertretend wurde die DEADLINE auserkoren, für Frankreich MAD MOVIES, für Spanien SCIFIWORLD, für Italien NOCTURNO und für die Vereinigten Staaten TWITCHFILM, die einzige reine online-Plattform. Schön, dass auch außerhalb Deutschlands in Europa Papier geschätzt wird. Ins Rennen geschickt wurden die 12 gleichen Filme, die auch um den mit CHF 10.000 CHF dotierten Hauptpreis konkurrierten, den HR GIGER NARCISSE AWARD.
IT FOLLOWS
Der Gewinner der spannenden Auswahl war IT FOLLOWS – soviel hatten wir bereits am Samstag durchsickern lassen. Hier soll nochmal näher auf den durch und durch fantastischen Film eingegangen werden. In den Juryentscheid floss vor allen Dingen mit ein, dass es dem Film auf außergewöhnlich nervenaufreibende Art gelingt, glaubwürdig Spannung zu erzeugen und auch über längere Etappen aufrecht zu erhalten. Das Dilemma, in der sich die Protagonistin befindet, ist zunächst nicht nur physischer, sondern psychischer Natur. Sie ist die einzige, die das, was unmittelbar um sie herum passiert, wahrnimmt, weshalb sie an ihrem Verstand zweifelt, bis die Tatsache, dass es sich um eine unheimliche Macht handelt, der sie hilflos ausgeliefert scheint, auch ihre Freunde betrifft und bedroht, die fortan alles mobil machen und gemeinschaftlich den Kampf gegen einen unbekannten Gegner antreten. Hier hagelt es innovative Elemente und Überraschungen und Wendungen. Alte Sehgewohnheiten werden (im positiven Sinne) enttäuscht, Neues setzt sich auf der Netzhaut ab. Wenn man sich noch Stunden nach dem Film mit dessen Schockmomenten auseinandersetzt, und wenn man sich noch Tage und Wochen danach die im Gedächtnis haften gebliebenen intensivsten und verstörendsten Momente vor Augen zu führen in der Lage ist, kann man von einem nachhallenden, wie nachhaltigen Erlebnis sprechen. Was jagt einem denn heutzutage noch eine Gänsehaut über den Rücken? IT FOLLOWS gelingt all jenes mit Bravour. Was macht einen guten Film denn sonst aus, wenn doch jedes einzelnen Thema, das es auf der Welt geben kann, bereits einmal da gewesen ist und vielfältig abgehandelt, ja man könnte sogar soweit gehen zu sagen durchgenudelt wurde? Antwort: Einzig die Kunst, einem allseits bekannten Thema eine gänzlich andere Sichtweise abzuverlangen. Das Setting in der Neuzeit begegnet dabei einem Carpenter-angehauchten Retro-Score und geht eine interessante und atmosphärische Allianz ein.
Die Schocks werden nicht etwa durch das Aufdrehen des Lautstärkepeglers herbeigerufen. So plump wird man hier nicht abgespeist. Das Grauen packt einen meist dann, wenn man es wirklich am wenigsten erwartet. Und trotz der völligen Abwesenheit von Erwachsenen im Film haben wir es nicht im geringsten mit einem typischen Teenie-Slasher zu tun. Es bedarf ebensowenig einer besonderen Erwähnung, dass die Montage, der Schnitt, die Ausleuchtung und Ausstattung und nicht zuletzt das Timing und die Dynamik genauso mit ausschlaggebend waren für den positiven Gesamteindruck. IT FOLLOWS legt wenig Wert auf Oberfächliches und geht genau deswegen im wahrsten Sinne des Wortes tiefer, nämlich unter die Haut, von wo aus er durch die oben angesprochene Gänsehaut wieder auf natürlichem Wege hervortritt, quasi als Metapher fürs Verarbeiten des Gesehenen und Gefühlten. Kurzum: Top-Grusel-Horror vom Feinsten.
THESE FINAL HOURS
Auch eine namentliche Erwähnung wert ist das Weltuntergangsszenario THESE FINAL HOURS: der Rest der Welt ist durch eine ungenannte aber definitive Katastrophe ausgelöscht. Australien ist die letzte Station der Menschheit. Es bleiben noch 10 Stunden, bis das Unvermeidliche eintritt. Jeder Mensch geht anders mit der Hiobsbotschaft um. Manche marodieren, verfallen ihrem primitiven Trieb oder werden einfach verrückt. Andere entfliehen der unausstehlichen Angst, indem sie sich gleich selbst richten. Es herrscht Chaos und Anarchie auf den Straßen. Ein junger Mann tritt eine Reise an, die in einer Odyssee gipfelt, während der er einen Prozess durchläuft, der ihn mit sich ins Reine kommen lässt. Neben dem Subplot des Dramas durchläuft der Film selbst auch einen Prozess. Es wird mit Erwartungshaltungen gespielt, die dann ganz einfach nicht bedient werden. Stets findet man sich im Kopf des Antihelden wieder und versetzt sich in seine Lage, was die Interaktion und die Identifikation zur eigentlichen Attraktion des Films macht. Dem Film und seinem Hauptdarsteller zuzusehen, wie er sich Minute um Minute entfaltet und wandelt, macht ausgenommen viel Spaß und bietet reichhaltigen Nährboden für philosophische Diskurse oder Analysen. Die Dialoge sind zurückhaltend und spärlich, doch nie small talk, sondern intelligent und ausgeklügelt. Fazit: Unbedingt empfehlenswert. [Yazid Benfeghoul]
Hier die Jury: Unser Yazid, Alexandre Poncet (mad movies), Luis M. Rosales (Scifiworld) und unten George R. R. Martin, Autor von GAME OF THRONES bzw. des DAS LIED VON FEUER UND EIS-Epos