Zu den bekanntesten Rollen von Golshifteh Farahani dürfte ihr Auftritt an der Seite von Adam Driver in PATERSON gehören. Doch schon bald werden vermutlich viele ihren Namen in erster Linie mit der neuen Apple-Serie INVASION verbinden, welche am 22. Oktober auf Apple TV+ startete. Das Format ist inhaltlich an KRIEG DER WELTEN von H. G. Wells angelehnt, setzt jedoch eigene Schwerpunkte. So wird die außerirdische Invasion beispielsweise aus fünf völlig verschiedenen Perspektiven erzählt – und dies in Echtzeit. Das macht das Format einerseits zu etwas Besonderem, andererseits sorgt dies aber auch dafür, dass man INVASION Zeit geben muss. Die ersten Episoden sind inhaltlich, atmosphärisch und formal absolut sehenswert, allerdings dauert es eine Weile, bis man sich in das Geschehen eingefunden hat und mit den Figuren mitfiebert. Im exklusiven DEADLINE-Interview spricht Golshifteh unter anderem über die Romanvorlage, wie es war, mitten in der Pandemie zu drehen, und weshalb sie im Gegensatz zu früher Serien nun plötzlich doch gut findet.
DEADLINE: INVASION basiert lose auf KRIEG DER WELTEN von H.G. Wells. Wie viel haben die beiden Stoffe am Ende tatsächlich miteinander gemein?
Golshifteh Farahani: In beiden Geschichten droht die Menschheit vor ihrem Ende zu stehen. Insbesondere auch aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit, welche sie ihrer Umwelt schenkt. Außerdem stellt sie fest, dass, egal welches Problem man hat, es ein globales Problem ist. Wenn es ein Alien von außen gibt oder ein Alien versucht, uns aus dem Inneren heraus kaputtzumachen, welches das Coronavirus sein kann, ist es etwas, was eine Auswirkung auf alle Menschen hat. Auch Menschen, die in wohlhabenden Regionen leben, sind nicht geschützt, wenn es zu einer globalen Bedrohung kommt. Das ist eine sehr wichtige Botschaft, die vermittelt wird.
DEADLINE: Wie fühlte es sich an, eine Serie über eine globale Bedrohung zu drehen, während du dich gerade in einer globalen Bedrohung durch das Coronavirus befunden hast?
Farahani: Im März 2020 kehrte ich für die ausstehenden Dreharbeiten von INVASION nach New York zurück. Das war exakt der Moment, als Corona New York mit voller Wucht erreichte. Wir drehten gerade die Szenen, die in leeren, geplünderten Supermärkten spielen. Oder die Momente, als Personen in weißen Schutzanzügen Leichen durch die Gegend tragen. Als ich dann die Dreharbeiten verließ und zum Union Square lief, konnte ich genau die gleichen Sachen beobachten: leere Supermärkte, und das TV zeigte die eben genannten Personen in weißer Kleidung. Das hat viel mit meinem Bewusstsein gemacht, denn plötzlich hatte die Realität die Fiktion eingeholt. Das war eine Herausforderung, damit umzugehen. Aber als wir sechs Monate später ein weiteres Mal nach New York zurückkehrten, war die Situation bereits wieder eine andere. Alles war unter Kontrolle – aber wie in einem Gefängnis, auch für uns Filmschaffende.
DEADLINE: Wie hast du dich auf die Serie vorbereitet? Hast du noch mal KRIEG DER WELTEN gelesen oder dir vorgestellt, was du machen würdest, wenn es plötzlich eine Alieninvasion gäbe?
Farahani: Ich würde versuchen, mich viel in der Natur aufzuhalten, auf einer Farm, und mich von großen Städten fernzuhalten. Denn diese wären im Zuge einer globalen Katastrophe am schnellsten und stärksten von Schäden betroffen. Außerdem würde ich versuchen, jede Minute, jeden Moment zu genießen, der mir auf dieser Erde noch bleibt, und nicht an einen möglichen Weltuntergang zu denken.
DEADLINE: INVASION wird in Echtzeit erzählt. Machte das für dich bei den Dreharbeiten einen Unterschied?
Farahani: So etwas macht die Dreharbeiten in jedem Fall einfacher. Denn du musst nicht jederzeit überlegen: Spielt die Szene nun zehn Jahre früher oder später als die letzte?, In welchem Jahrhundert befinden wir uns gerade? Es lässt für mich die zu spielende Figur zudem noch realer wirken und macht mich dadurch noch selbstbewusster. Wenn die Zeit beim Drehen keine Rolle spielt, ist das eine gute Sache, da dich dies nicht von deiner eigentlichen Aufgabe ablenkt.
DEADLINE: Für deine Filmtochter war es das erste Mal vor der Kamera. Hattest du Bedenken, mit einer unerfahrenen Schauspielerin zusammenzuarbeiten?
Farahani: Mit Kindern zusammenzuarbeiten ist niemals einfach. Es macht aber immer Spaß, mit Personen zu arbeiten, die keine Erfahrung als Schauspieler haben und nicht daran gewöhnt, sind vor der Kamera zu stehen. Denn meistens sind diese dann viel besser und natürlicher als du. Ich bereite mich vor einem Dreh einfach auf meine Figur vor und bin jederzeit bereit loszulegen, ob bei einem Film, einer Serie oder anderswo. Ich maße mir nicht an zu beurteilen, ob mein Gegenüber ein guter bzw. erfahrener Schauspieler ist oder nicht. Es sind einfach meine Partner vor der Kamera – das ist das, was zählt, und nicht, wie erfahren oder gut sie sind. Bei der Zusammenarbeit mit Kindern, Tieren und älteren Personen muss man nur jederzeit darauf gefasst sein, dass es zu einer Überraschung kommt. Dann musst du einfach nur dazu in der Lage sein, darauf zu reagieren und die Situation zu antizipieren. In INVASION hat das super geklappt.
DEADLINE: Deine Figur Aneesha hat mit unterschiedlichsten Problemen zu kämpfen. Woher nimmt sie die Kraft, alles zu bewältigen und nicht aufzugeben?
Farahani: Ihre Kraft kommt daher, dass sie gar keine andere Möglichkeit hat, als das zu tun, was sie macht. Die Situation, keine Wahl zu haben, ist manchmal das größte Geschenk, das wir uns selbst machen können. Natürlich kann eine ausweglose Situation, in der du keine Wahl hast, dazu führen, dass du zusammenbrichst. Andererseits kann dies auch ungekannte Kräfte in dir freisetzen, sodass du Situationen bewältigen kannst, die du vorher nicht für möglich gehalten hast. Insofern ist keine Wahl zu haben manchmal ein echter Segen. So hat Aneesha beispielsweise auch keine Zeit, sich als Opfer zu fühlen, weil ihr Mann sie betrogen hat.
DEADLINE: Woher nimmst du deine Kraft, wenn du dich mal in einer schwierigen Situation befindest?
Farahani: Ich versuche dann immer, etwas Gutes in der schwierigen Situation zu erkennen oder mich auf das Gute zu konzentrieren, selbst wenn es etwas noch so Kleines ist. Natürlich geben mir auch meine Lieben viel Kraft sowie die Dinge in einen Kontext zu setzen. Denn nicht immer ist eine Situation so schwierig oder schlimm, wie sie im ersten Moment zu sein scheint. Und wenn es mal um Dinge wie Gesundheit oder Verlust geht, womit man nur schwer umgehen kann, versuche ich, die Dinge anzunehmen und keinen Widerstand zu leisten. Keinen Widerstand zu leisten und nichts Schlechtes oder Unangenehmes zu verneinen, das du sowieso nicht ändern kannst, ist der Schlüssel, um dein Unwohlsein zu verringern. Insofern versuche ich, nie meine Gefühle oder Situationen zu verneinen, sondern einfach das Beste daraus zu machen.
DEADLINE: In der ersten Episode von INVASION siehst du deutsches Fernsehen. Ist das Zufall, oder hat dies eine tiefere Bedeutung?
Farahani: (überrascht) Oh, das wusste ich ja gar nicht! Das müssen die Cutter im Schnitt nachträglich eingefügt haben. Denn gedreht habe ich vor einem Fernseher mit Greenscreen. Insofern kann es nur im Nachgang eingefügt worden sein, vielleicht, weil Deutschland ein weltweit angesehenes Land ist. Aber um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich freue mich aber sehr, dass du bei der Serie so genau hingeschaut hast, dass dir dieses Detail aufgefallen ist.
DEADLINE: Ich habe gelesen, dass du früher kurz davor warst, in Wien zu studieren. Bedeutet dies, dass du Deutsch sprichst?
Farahani: Als ich früher Musik studiert habe, stand einmal im Raum, nach Wien zu gehen, um dort mein Studium am Konservatorium fortzusetzen. Deshalb habe ich dann natürlich auch einen einjährigen Crashkurs in der deutschen Sprache hingelegt. Allerdings habe ich danach wieder fast alles vergessen. Heute habe ich aber einen deutschen Lebensgefährten, sodass Deutschland und seine Sprache auch jetzt noch sehr präsent in meinem Leben sind. Das erste fremde Land, in welches ich gereist bin, war Deutschland. Insofern kenne ich das Land wirklich gut und mag es sehr. Insbesondere seine Technik und seine Autos. (lacht) Es gibt auch einen deutschen Spruch, der mir gut gefällt: Vorsprung durch Technik. Das ist meiner Meinung nach auch ein Grund, weshalb Deutschland besser durch die Pandemie kommt als viele andere Länder: Es ist ein effizientes Land, gut organisiert, welches zudem Wert auf Qualität legt.
DEADLINE: In der Vergangenheit hast du mehrfach gesagt, dass Serien nichts für dich seien. Was hat deine Meinung geändert?
Farahani: Das liegt am Drehbuch. Als ich es las, dachte ich: Das ist so viel besser als viele Drehbücher zu Filmen, die ich angeboten bekomme. Mich haben das Skript und die Geschichte emotional berührt, wobei mir noch nicht einmal sofort klar war, in welch großer Dimension INVASION angelegt ist. Ich wusste zudem auch nicht, wie eine Serie gedreht wird, sodass mit mir einige Treffen vereinbart wurden, bei denen man mir das erklärte. Aber nun schätze ich es, und es ist ein weiterer Pfad, den ich in meiner beruflichen Karriere eingeschlagen habe. Die Tatsache, dass Produzenten in Serien gerne einfach so mal die Regisseure wechseln, stellte für mich zu Beginn eine große Herausforderung dar. Denn aus der Filmwelt war ich das nicht gewohnt. Wenn dort der Regisseur gewechselt wird, kann es passieren, dass das komplette Projekt umgekrempelt wird oder du deinen Job verlierst, da der neue Regisseur andere Vorstellungen hat als der zuvor. Das ist bei einer Serie jedoch anders. Hier gilt deine Verbundenheit nicht dem Filmemacher, sondern deiner Figur.
DEADLINE: Und weshalb mochtest du zuvor keine Serien?
Farahani: Ich gehöre zu dieser Dinosauriergeneration von Schauspielern, die Filme den Serien vorzieht und das Fortbestehen von Filmen ermöglichen möchte. In meiner Wahrnehmung stellten Serien früher eine Bedrohung für die schöne kreative Filmwelt dar, insbesondere für Independentprojekte. Ich dachte, die gucken dann alle nur noch Serien und gehen nicht mehr ins Kino. So etwas wollte ich nicht unterstützen. Ich liebe es einfach, ins Kino zu gehen, und wollte durch mein Vorgehen ein Stück weit dazu beitragen, die Filmwelt zu retten. Auch heute noch denke ich, dass es nichts Schöneres und Beeindruckenderes gibt, als einen guten Film im Kino zu sehen. Nicht einmal die beste Serie der Welt könnte da mithalten. Ich liebe es, ins Kino gehen und mit anderen Menschen in einem dunklen Raum gemeinsam ein Erlebnis zu teilen. Für mich ist das immer wie eine Zeremonie, ein Ritual, welches es gebührend zu feiern gilt. Allerdings habe ich nun für mich festgestellt, dass sich die Dinge weiterentwickeln und die Welt der Filme und die Welt der Serien parallel existieren können. Menschen werden für bestimmte Filme immer ins Kino gehen wollen – alles andere findet dann zu Hause statt.
DEADLINE: Vielen Dank für deine Zeit.
Interview geführt von Heiko Thiele