Der Stern von Hans-Christian Schmid ging mit dem Verschwörungsthriller 23 – NICHTS IST SO WIE ES SCHEINT auf. Danach konnte er mit REQUIEM, CRAZY, LICHTER oder WAS BLEIBT durchweg überzeugen. Nun hat er mit DAS VERSCHWINDEN seine erste TV-Serie gedreht. Die Serie wird am 22., 29., 30. und 31. Oktober jeweils um 21.45 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Weshalb Schmid seiner Produktion einen größeren kommerziellen Erfolg zutraut als IM ANGESICHT DES VERBRECHENS, erklärt der Regisseur im exklusiven DEADLINE-Interview. Zudem erläutert er, was die größten Stolpersteine für sein ambitioniertes Projekt waren und was Erin Brockovich mit DAS VERSCHWINDEN zu tun hat.
DEADLINE: Wie war es, die erste eigene TV-Serie zu drehen?
Schmid: Ich fühle mich nicht unbedingt anders als nach einem Kinofilm. Mit einem Unterschied: Mit DAS VERSCHWINDEN habe ich ein halbes Jahrzehnt verbracht, mit einem Kinofilm ist es in der Regel deutlich weniger.
DEADLINE: Welche Unterschiede gab es zu einem Dreh eines Kinofilms?
Schmid: Neu war für mich natürlich, eine Geschichte zu schaffen, die den Spannungsbogen sechs Stunden erfolgreich hochhält. Das fand ich im Vorfeld schwer vorstellbar. Man schreibt zwar seine Bücher, und die haben alle ihre 45-Minuten-Spannungsbögen. Aber wie wird das zusammen aussehen? Das war dieses Mal spannender, als einen Kinofilm auf großer Leinwand zu sehen.
DEADLINE: Bist du froh, dass du nun nach 5 Jahren mit DAS VERSCHWINDEN durch bist, oder hättest du an dem Format sogar noch länger arbeiten können?
Schmid: DAS VERSCHWINDEN ist nicht auf eine zweite Staffel ausgelegt. Es ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Ich hatte am Ende der 90 Drehtage aber das Gefühl, es könnte noch weitergehen. Alleine schon deshalb, da man sich mittlerweile an einen bestimmten Arbeitsrhythmus gewöhnt hatte. Insofern kann ich mir gut vorstellen, so ein Format mit solch einer Arbeitsstruktur in Zukunft mal wieder zu machen, wenngleich dies dann aber nicht mehr mit DAS VERSCHWINDEN in Zusammenhang stehen wird.
DEADLINE: Was war im Laufe der Arbeit an DAS VERSCHWINDEN der größte Zeitfresser?
Schmid: Das waren die einzelnen Überarbeitungsstufen in der Stoffentwicklung. Zwischen den einzelnen Treatmentfassungen lagen immer ungefähr sechs Monate. Wenn das so eine Fülle an Material und Figuren ist wie in DAS VERSCHWINDEN, geht es einfach nicht schneller. Da hatten wir beide, der Co-Autor Bernd Lange und ich, irgendwann dann auch das Gefühl, dass man an eine Grenze kommt, wo man nicht noch eine Fassung hätte schreiben können. Wir hatten das Ende der Fahnenstange erreicht.
DEADLINE: Wie lange hat es gedauert, bis du für DAS VERSCHWINDEN grünes Licht bekommen hast? Solche Projekte haben es in Deutschland ja leider nicht immer leicht.
Schmid: Ich kann den Moment gar nicht genau definieren. Wir haben DAS VERSCHWINDEN mit verschiedenen Sendern koproduziert. Es war dann an uns und unser eigenen Firma, zu sagen: „Jetzt haben wir genug Geld zur Verfügung. Jetzt können wir die Serie drehen.“ Das Eintreffen der letzten beiden Fördergelder von der FSF und dem Medienboard Berlin-Brandenburg war letztlich ausschlaggebend. Aber die eigentliche Problematik war, dass es innerhalb der ARD für so etwas wie DAS VERSCHWINDEN keinen Sendeplatz gab. Ganz früh mit dem ersten Treatment haben wir unsere Serie in die unterschiedlichen Redaktionen geschickt, die wir aus der Zusammenarbeit bei Kinofilmen kannten. Bettina Ricklefs vom Bayerischen Rundfunk hat zum Beispiel gesagt, dass sie das Format gerne unbedingt machen möchte, aber keinen Sendeplatz frei hat. Das war unsere unsicherste Phase, wo wir Angst hatten, dass DAS VERSCHWINDEN am Ende womöglich doch nicht realisiert wird. Der Knoten platzte, als Sascha Schwingel von der ARD Degeto kam und sagte: „Egal jetzt, wir machen das Ding! Egal was die anderen Abteilungen wollen. Wir haben einen Sendeplatz für dich.“
DEADLINE: Was macht dich zuversichtlich, dass DAS VERSCHWINDEN nicht ein ähnliches Schicksal ereilt wie den ebenfalls sehr guten und hochgelobten IM ANGESICHT DES VERBRECHENS?
Schmid: Natürlich bin ich von Haus aus zuversichtlich. Allerdings habe ich den Erfolg des Projekts nun nicht mehr in der Hand. (lacht) Denn jetzt muss die ARD bewerkstelligen, dass das, was man hergestellt hat, auch sein Publikum findet. Dominik Graf hat mit IM ANGESICHT DES VERBRECHENS damals quasi Pionierarbeit geleistet. Als wir mit DAS VERSCHWINDEN im Herbst 2012 angefangen haben, da waren Miniserien generell noch nicht so ein großes Thema und es gab kein großes Publikum dafür. Ich hoffe einfach, dass das fünf Jahre später anders ist und dass die Leute, die sich dafür interessieren könnten, überhaupt mitbekommen, dass es DAS VERSCHWINDEN gibt. Zudem gibt es ja auch die Mediathek online, wo man alles abrufen kann, wenn man die Serie nicht live im TV verfolgen konnte. Und dadurch, dass wir jetzt auf einem 21.45-Uhr-Sendeplatz gelandet sind und nicht in der Primetime, haben wir auch nicht mehr so den ganz großen Quotendruck.
DEADLINE: Ist es korrekt, dass DAS VERSCHWINDEN an einen wahren Fall angelehnt ist?
Schmid: Nein. Es gibt zwar Elemente, die im echten Leben bereits so vorgekommen sind. Aber nicht in dieser Kombination, und deshalb ist unsere Miniserie auch ein rein fiktionales Produkt.
DEADLINE: Du vergleichst die von Julia Jentsch verkörperte Hauptfigur immer wieder mit Erin Brockovich. Wieso?
Schmid: Eine unserer ersten Überlegungen beim Schreiben der Miniserie war, dass wir einen Krimiplot haben wollten, allerdings ohne klassische Ermittlergeschichte. Denn davon gab es einfach schon zu viele. Deshalb entstand die Idee, eine Figur mit gewissen Ähnlichkeiten zu Erin Brockovich zu schaffen, die eine ganz normale Frau mit Kind ist, die mit etwas konfrontiert wird, was eigentlich viel zu kompliziert ist für sie und was sie gar nicht kann und wo sie keine Ahnung hat, wie es geht. Aber das sind auch schon die einzigen Gemeinsamkeiten zwischen Erin Brockovich und der Figur von Julia Jentsch. Wichtig war mir einfach, dass wir da nicht einen richtigen Kommissar hinsetzen, sondern eine Person, die persönlich betroffen ist, und dadurch ein anderer Blickwinkel auf die Geschichte entsteht.
DEADLINE: Hast du beim Schreiben sofort an Julia Jentsch gedacht?
Schmid: Nein, ich habe an niemanden gedacht. Es hilft mir auch nicht immer, wenn ich schon jemanden im Kopf habe.
DEADLINE: Nach welchen Kriterien suchst du die Stoffe aus, die du realisieren möchtest?
Schmid: Es muss etwas mit mir zu tun haben. Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass genau ich derjenige bin, der die Geschichte erzählen muss, dann läuft man Gefahr, dass das, was man dann macht, eine gewisse Beliebigkeit bekommt. Ich habe kein besonders gezieltes Vorgehen. Wenn ich auf die letzten zwei Jahrzehnte meines Filmemachens zurückschaue, dann ist vieles durch einen Zufall entstanden: dass man irgendwo eine Geschichte hört oder eine Meldung in der Presse liest, das dann aber mit eigenen Erlebnissen und einer eigenen Haltung gegenüber den Menschen verbindet. Man darf aber auch nicht Sachen, die man selbst erlebt hat, eins zu eins auf einen Film übertragen.
DEADLINE: Was hat DAS VERSCHWINDEN mit dir selbst zu tun?
Schmid: Es ist mein Blick auf Familien. Ich sehe, dass es viele Familien gibt, die nicht so gut funktionieren, nicht wirklich offen und ehrlich miteinander sein können. Es sind Stoffansätze, die auch in anderen Filmen von mir stecken. Zum Beispiel in WAS BLEIBT und REQUIEM. Das sind alles letztlich Familiengeschichten. Das finde ich das für mich spannendste Filmmaterial, wobei das eigentlich schon viel zu weit gegriffen ist.
DEADLINE: Weshalb ist es so, dass in vielen Familien, die eigentlich alles zu haben scheinen, dann doch der Haussegen mächtig schiefhängt?
Schmid: Hier fühle ich mich eher für die Fragen zuständig und nicht für die Antworten. Man kann nur versuchen, die Problematik einzukreisen. In DAS VERSCHWINDEN wird das ja auch manchmal thematisiert. Vielleicht sind manche Eltern zu sehr auf einer kumpeligen Ebene unterwegs, sodass man sich gar nicht mehr klar distanzieren kann, wenn es mal nötig ist. Es ist zudem generell so, dass es in einer bestimmten Lebensphase zu einem Ablösungsprozess kommt. Die Kinder bekommen zudem oft vorgelebt, dass ihre Eltern mit großen Lügen durchs Leben gehen.
DEADLINE: Hattest du schon etwas, was du länger mit dir herumgetragen hast, wo du dann später reinen Tisch machen musstest? Oder bist du bisher mit jedem stets klar gewesen?
Schmid: Sicherlich nicht. Es ist auch wahnsinnig schwer, weil ein Mensch sich vor Konflikten scheut und dieser offene Umgang miteinander einfach so schwer ist. Aber ich will ja auch nicht eins zu eins von mir erzählen, es gibt in DAS VERSCHWINDEN nicht DIE Figur, in der ich mich wiederfinde.
DEADLINE: Ist es für dich von besonderer Bedeutung, dass du bei deinen Filmen sowohl für die Regie als auch das Drehbuch verantwortlich zeichnest?
Schmid: Es ist von Bedeutung für mich. Ich versuche meine Geschichten selbst zu finden. Wenn es einen Kern in mir anspricht oder ich das Gefühl habe, dass dies viel mit mir zu tun hat auf der einen oder anderen Ebene. Wenn ich nicht selbst schreibe, bin ich hingegen darauf angewiesen, dass die Geschichte von außen auf mich zukommt. Der Vorteil beim Schreiben ist, und ich schreibe nie alleine, sondern nur mit anderen zusammen, dass das Ganze dann in einer Hand bleibt. Ich bin nicht der Autor, der das Drehbuch aus der Hand gibt, und am Ende wird etwas ganz anderes daraus, als du dir am Anfang vorgestellt hast. Wenn ich beides mache, fühlt es sich für mich wie aus einem Guss an.
DEADLINE: War DAS VERSCHWINDEN vielleicht auch deshalb ein Reiz für dich, da endlich mal wieder eine Frau der Titelheld einer Geschichte ist?
Schmid: Ich gehe da ehrlich gesagt nicht systematisch vor. In WAS BLEIBT spielt Lars Eidinger die Hauptfigur. Davor Kerry Fox in STURM. Bei mir ist es eher intuitiv, dass sich die Geschlechter bei meinen Hauptfiguren abwechseln. Ich komme anders zu meinen Geschichten, als eine bestimmte Rollenart oder Geschlecht pushen zu wollen. Ich behaupte, es ist Zufall. (lacht)
DEADLINE: Was steht nach DAS VERSCHWINDEN für dich als Nächstes an?
Schmid: Ich weiß es nicht. Ich verfolge stets ein Projekt bis zum Ende, und erst dann schaue ich, was danach kommt. Erst anschließend plane ich das nächste Vorhaben.
DEADLINE: Vielen Dank für das Gespräch.
Interview geführt von Heiko Thiele
Fotos ARD Degeto
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