Hier erhältlich als E-Paper
Warenkorb

HORROR CONVENTION FREIBURG 04.-05.05.2024

SCHRECKLICH SCHÖNER SCHWARZWALD

Von Dr. Peter Podrez

Freiburg. Der Breisgau. Unendliche Weiten. Schwarzwald und Beschaulichkeit und nicht unbedingt die Region, die mit Horror in Verbindung gebracht wird. Warum eigentlich nicht? Schließlich dienten einige Orte in der Stadt in der grünen Idylle vor knapp 50 Jahren als Vorbilder für Dario Argentos SUSPIRIA– auch wenn das, was in diesem Genreklassiker Freiburg darstellen soll, kurioserweise in München gedreht oder in Rom nachgebaut wurde. Und die Originalschauplätze aus dem Film wie die Tanzakademie der Hexen? Vor Ort erfäht man, dass a) kaum jemand (mehr) etwas von der Horror-Historie der Stadt weiß und b) es inzwischen nicht die Mächte der Finsternis sind, die die Gewalt über die historischen Bauten besitzen, sondern die Freiburger Sparkasse. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Vor diesem Hintergrund scheint es eine mutige, aber sehr sinnvolle Idee zu sein, eine Horror Convention genau dorthin zu holen, wo sie nicht erwartet wird. Schließlich lassen sich so zusätzlich zu den überregional anreisenden Fans auch Besucher*innen aus dem Umkreis gewinnen, für die der Weg zu etablierten Horror-Veranstaltungen wie etwa dem Weekend Of Hell in Nordrhein-Westfalen zu weit sein könnte.

Die Convention findet auf dem Messegelände Freiburg statt, passenderweise in der „Sick-Arena“, wie ein Logo verrät, das vor trübem, wolkenverhangenem Himmel über der Halle prangt.

Nomen est omen. Wer denkt schon an Hersteller von Sensoren für Fabrik-, Logistik- und Prozessautomation, wenn er stattdessen Zombies, abgetrennte Gliedmaßen und Horrorclowns haben kann. Letztere holen übrigens im Ranking der am häufigsten zu beobachtenden Horror-Gestalten, die das Gelände durchstreifen, Platz eins: ein (doppeltes) Herz für Es!

Besagtes Gelände besteht aus insgesamt drei Hallen. In einer davon laufen alle zeitlich organisierten Inhalte auf einer Programmbühne vor Publikum ab. Das sind vor allem halb- bis ganzstündige Q&A-Runden mit Schauspieler*innen und Synchronsprecher*innen aus einschlägigen Horrorproduktionen in Film und Fernsehen. Vor Ort sind Alyssa Sutherland (Evil Ellie aus EVIL DEAD RISE), Laurence R. Harvey (‚das Gesicht‘ von THE HUMAN CENTIPEDE II + III), Naomi Grossman (Pepper aus AMERICAN HORROR STORY), Lewis Santer, Scott Chambers (Christopher Robin und Psycho-Tigger WINNIE THE POOH: BLOOD AND HONEY 2), Magdalena Montasser (deutsche Synchronsprecherin von und in WEDNESDAY) und Carlotta Pahl (deutsche Synchronsprecherin von 011-Elfie in STRANGER THINGS). Diese bekannteren und noch aufstrebenden Horror-Akteur*innen plaudern in familiärer Atmosphäre aus dem Nähkästchen, was ihre persönlichen Erlebnisse mit dem Genre, aber auch spezifische Situationen bei diversen Produktionen angeht. Die meisten von ihnen stehen dann auch für Fotosessions zur Verfügung, wobei ich mich frage, warum sie dafür in einem eigenen, uneinsehbaren Bereich untergebracht werden. Mir persönlich widerstrebt zwar das VIP-Bezahlmodell aller Conventions (und Festivals und Konzerte und und und…) grundsätzlich, aber hier wirken die Barrieren dadurch noch einmal höher gezogen als man es kennt.

 

Alyssa Sutherland

Neben den unterhaltsamen Gesprächsrunden finden auf der Bühne noch weitere Programmpunkte statt, wobei der Schwerpunkt auf dem Thema ‚Verkleidung‘ liegt. So gibt es ein Special zu Horror-Make-Up (geleitet vom Studio Kreativwut) und zwei Cosplay Crafting-Workshops (durchgeführt von Miss Nero und francsterling). All dies mündet dann in einen großen Cosplay-Contest als Finale der Horror Con am Sonntagnachmittag. Aber nicht nur dieser wirkt für viele ‚anziehend‘ – auch eine Independent-Horror-Filmvorführung füllt die Sitzreihen in der Halle gut aus. Insgesamt ist es ein schönes, vielfältiges Programm, das die Veranstalter*innen auf die Beine gestellt haben, und es hätte für zwei Tage sogar noch ausführlicher sein können, denn das Interesse der Besucher*innen ist augenscheinlich groß.

Außer der Programmbühne gibt es noch eine zweite große Halle, die den Ausstellungsbereich beinhaltet. Hier fällt auf, dass die größte Attraktion, mit der auch im Vorfeld geworben wurde, leider aus nicht näher benannten Gründen kurzfristig gestrichen wurde: die Ausstellung The Art of Fear, bei der originale Horrorfilmkostüme und -requisiten zu sehen gewesen wären. Dies sorgt bei einigen Fans, die längere Anreisewege in Kauf genommen haben, für Enttäuschung. Dennoch gibt es insgesamt einiges zu entdecken. In der Artist Area stellen Künstler*innen aus allen Sparten ihre Gemälde (z.B. dark light illustrations), Zeichnungen (z.B. IraSin), Grafiken (z.B. Martin Serpentis), Fotografien (z.B. sʼDodovieh), Tattoo Art (z.B. Lory Ven Gates), Schmuckstücke (z.B. Black Lace Design) oder Masken (z.B. Simones Design Stube) aus und decken dabei von (Erotic) Gothic, High und Dark Fantasy, Splatter & Gore bis zu Manga-Stil ein breites Feld von ästhetischen Formen ab.

Sehr ästhetisch wirken auch einige der von Special Effects-Künstler*innen (z.B. Spellbound FX and Art) handgemachten, ansehnlich inszenierten Körperteile. „Severed dicks“ sind an einem der Stände der Verkaufsschlager. Was das über die Besucher*innen aussagt? Wohl irgendwas zwischen Regression, Rape & Revenge und RAMMSTEIN („Mein Teil“).

Die dritte Halle, die den Übergang zwischen dem Ausstellungsbereich und der Programmbühne bildet, ist neben ihrer Funktion als Raum für schickes (Convention-)Merch als Food Area gestaltet. Dort scheinen es vor allem die ebenfalls von abgetrennten Körperteilen und Blut lebenden Wurst- und Fleischwarenhersteller passend zu finden, ihre Stände aufzubauen. Das ist, gemessen an den heutigen Verhältnissen bei Veranstaltungen verschiedener Couleur, bei denen man reichhaltige vegetarische und vegane Alternativen finden kann, schade. Aber, goldene Regel: Fett und Zucker machen auch satt und halten vor. Also die unvermeidlichen Pommes, Nachos und ein Softdrink. Und danach geht es ab in die Dealer Area, wo fast gar nicht mit Drogen gehandelt wird – außer mit Alkohol (z.B. Nocht & Näbel Gin) –, sondern mit Kleidung (z.B. Halle 15), Merch (z.B. Geistermeile.de) oder Spielzeug (z.B. 58 Toys).

In der Publisher & Writer Area versammelt sich hingegen vor allem die Welt der Horror-Verlage. Diejenigen für Bücher (z.B. Redrum Books) sind ebenso vertreten wie die für Comics (z.B. Lumicillo Comics) oder für Gesellschaftsspiele (z.B. Sphinx Spiele). Dazwischen kann man Freddy Krueger auf der Suche nach seinen eigenen Filmen sehen. Wo, wenn nicht bei DEADLINE will er sie finden? Der Stand ist insgesamt hochfrequentiert und einer der wenigen, der ein Sortiment an DVDs und Blu-rays (daneben auch Bücher und natürlich das Magazin) anbietet.

Wer hingegen kein Geld (mehr) ausgeben möchte, kann in der – kleinen – Gaming & Streaming Area ein Ründchen spielen (mit dem lokalen Freiburg eSports e.V.) oder einem Podcast (Let’s Talk About Horror) lauschen. Oder sich an den vielen gelungenen Cosplays erfreuen: Außer den schon erwähnten Clowns finden sich auch weitere ikonische Gestalten aus der Medienkultur des Horrors, zum Beispiel allerlei maskierte Filmfiguren wie Leatherface und Michael Myers oder auch Charaktere aus dem Gaming wie Pyramid Head.

Neben den vielen verkleideten Besucher*innen ist aber auch eine eigene Cosplay Area eingerichtet, in der verschiedene monströse Gestalten ihr Unwesen treiben, darunter auch Akteur*innen des Zombie Walk Basel, die, einmal aus ihrem Areal ausgebrochen, durch die Hallen ziehen. Sie punkten durch ihre schicken Kostüme, das typische Gegrunze und Gekreische muss man aber aushalten können. Irgendwann könnte man dissoziieren und denken, man lege im Gedanken verzerrte Gitarrenspuren über die Szenerie und sich fragen ob das Ganze dann als Death oder Black Metal durchgeht und ob und wie die jeweiligen Personen am nächsten Tag noch sprechen können. Eine gelungene Performance ist es allemal.

Hingucker von nah und fern gibt es also genug, so ist unter anderem auch der Horror Event-Veranstalter Traumatica vom um die Ecke gelegenen Europa Park Rust mit einem großen Stand am Start. Aber der vielleicht exotischsten Blickfang stellt der Stand des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber dar. Wer denkt schließlich daran, bei der Horror Con eine Bildungseinrichtung aus einem bayerischen Postkarten-Idylle-Ort, der über 300 Kilometer entfernt liegt, repräsentiert zu sehen? Bei näherem Hinschauen macht das für die Interessierten vor Ort Sinn. Schließlich beschäftigt sich besagtes Rechtskundemuseum mit historischen Gerichtspraktiken, bei denen – Stichwort: Folter – einmal mehr deutlich wird, dass keine (Horror-)Fiktion der Realität in puncto Grauen das Wasser reichen kann. Gleichzeitig macht das Interesse an dem Stand noch etwas anderes deutlich, nämlich dass es eine kluge Sache ist, Brücken zu verschiedenen kulturellen Einrichtungen zu bauen. Denn der Dialog zwischen Besucher*innen und Expert*innen aus Wissenschaft, Kunst und anderen Feldern eröffnet für alle Beteiligten neue Perspektiven auf das Phänomen Horror – und nimmt ernst, dass es sich um ein wichtiges kulturelles Thema handelt.

Wichtig genug auf jeden Fall für eine nächste Runde der Horror Con, die schon in Planung ist. Sie wird am 19./20.04. (Oster-Horror!) im Europapark Rust stattfinden, nähere Informationen finden sich unter https://horrorcon.de/. Nachdem der erste Aufschlag also trotz kleinerer Baustellen insgesamt ein atmosphärisches und sehr gelungenes Erlebnis war, wäre ein Trip in den schrecklich schönen Schwarzwald auch nächstes Jahr hoffentlich wieder eine gute Sache. Vielleicht passen ja auch Kunstblut und Eier bemalen gut zusammen?

 

 

 

HORROR CONVENTION FREIBURG 04.-05.05.2024