SICH TREU BLEIBEN
Im Gespräch mit BRIMSTONE-Regisseur Martin Koolhoven
Der mehrfach preisgekrönte niederländische Regisseur Martin Koolhoven liefert mit BRIMSTONE einen der besten Filme des auslaufenden Kinojahres ab. Der gnadenlose Western erzählt von Rache und Sühne, welche in Form eines unheilvollen Reverends über eine kleine Familie hereinbrechen. Wir haben uns mit Koolhoven über seinen Film, dessen Botschaft und die Wichtigkeit, ihn ohne amerikanische Gelder finanziert zu haben, unterhalten.
DEADLINE: Ich denke, es ist keine Untertreibung zu sagen, dass BRIMSTONE dein bislang ambitioniertestes Filmprojekt darstellt. Es ist ebenso keine Untertreibung, wenn man den Film als einen der besten und beeindruckendsten Filme des Jahres bezeichnet. Wie groß war der Druck, mit dem Film erfolgreich zu sein?
Martin Koolhoven: Es ist immer ein gewisser Druck vorhanden, wenn jemand anders Geld in deinen Film investiert. Trotzdem kann ich am Ende nicht mehr tun, als offen und ehrlich zu meinen Intentionen zu stehen und die bestmögliche Arbeit abzuliefern. In Holland eilte dem Film zusätzlich eine besonders hohe Erwartungshaltung voraus, da mein letzter Film WINTER IN WARTIME auf allen Ebenen extrem erfolgreich war. Den größten Druck verspürte ich jedoch aufgrund der Tatsache, dass ich unbedingt einen Western drehen wollte und mich damit in ein Genre wagte, welches bereits so viele grandiose Filme hervorgebracht hat. Am Ende realisierte ich jedoch, dass ich dem Genre nur dann einen neuen Aspekt abgewinnen kann, wenn ich den Film so persönlich wie nur möglich in Szene setze.
DEADLINE: Wie ist die Geschichte zu BRIMSTONE entstanden?
Martin Koolhoven: Zwei Elemente spielten von Anfang an eine große Rolle. Zum einen gründet die Geschichte in meinem eigenen kulturellen Erbe, weswegen der Calvinismus auch solch eine große Rolle darin spielt. Andererseits habe ich mir die Frage gestellt, wieso das Westerngenre solch eine Faszination besitzt und damit vor allem Männer in seinen Bann zieht. Es mag wohl die Rauheit und auch Gesetzlosigkeit sein, worin die Attraktivität des Genres zu suchen ist. Jedoch handelt es sich dabei um eine sehr kindische Idealisierung, da die angebliche Freiheit im alten Westen einen hohen Preis hatte. Vor allem die Frauen konnten keine Freiheiten genießen, weswegen ich mich dazu entschlossen habe, Gewalt und Missbrauch zu einem zentralen Thema der Geschichte zu machen.
DEADLINE: Wobei die Geschichte in vier Kapitel aufgeteilt ist und auch nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt wird. War dieser narrative Kniff von Anfang an ein Teil des Drehbuches?
Martin Koolhoven: Nein, die Idee dazu entstand, nachdem ich bereits ein Jahr lang am Drehbuch geschrieben hatte. Mir wurde klar, dass die Geschichte eine ganz spezielle Struktur braucht, um angemessen erzählt zu werden.
DEADLINE: Wie wichtig ist es für dich, die Zuschauer mit deinem Film herauszufordern?
Martin Koolhoven: Die Geschichte mitsamt all ihren Elementen gleicht einem gefährlichen Cocktail. Auch habe ich darauf verzichtet, die Gewaltszenen angenehm zu gestalten, so wie es heutzutage in großen Hollywood-Produktionen oftmals der Fall ist. Viele Leute haben ein Problem damit, wenn ihnen ein Film übel auf den Magen schlägt. Ich jedoch sehe darin eine ethische Verpflichtung – ich konnte den Film gar nicht anders umsetzen.
DEADLINE: Die Geschichte transportiert ein sehr düsteres Bild des christlichen Glaubens. Dies vor allem dadurch, da der Reverend seinen Glauben dazu nutzt, zu töten, zu quälen und gar Hand an Kinder zu legen. Ist eine der Botschaften des Films vielleicht jene, dass der Glaube an sich nicht schlecht ist, jedoch durch die Menschen und ihre Taten schlecht gemacht wird?
Martin Koolhoven: Ich würde sehr gerne viel dazu sagen, werde es jedoch lassen. Ich glaube, der Sinn des Films kann nicht auf eine spezielle Botschaft reduziert werden. Auch bin ich ein Mensch, der es sehr genießt, einen Film oder ein Buch entdecken zu können. Aus diesem Grund möchte ich keinesfalls zu viel erklären und offenlegen. Wer den Film gesehen hat, ist dazu eingeladen, sich seine eigenen Gedanken darüber zu machen.
DEADLINE: Im Internet geht die Theorie um, dass der Reverend in einem frühen Moment im Film sein Leben verliert und in allen Szenen, die danach spielen, gewissermaßen als Geist/Dämon umgeht. Was sagst du dazu?
Martin Koolhoven: Über Jahre hinweg gab es bezüglich BLADE RUNNER die Diskussion, ob Deckard ein Replikant ist oder nicht. Ich bin der Meinung, dass es sehr dumm von Ridley Scott war, zu bestätigen, dass Deckard ein Replikant ist.
DEADLINE: Stimmt es, dass du bewusst auf amerikanische Produzenten und ihr Geld verzichtet hast, weil du deinen Film europäisch und somit auch kompromisslos halten wolltest?
Martin Koolhoven: Das war meine Produzentin Els Vandervorst, welche das Geld aus den USA abgelehnt hat. Sie war klug genug zu wissen, dass die amerikanische Finanzierung ihren Preis haben würde. Ich selbst wollte den Film unbedingt machen und hätte wohl zu allem Ja gesagt, nur um den Film drehen zu können. Doch Els sorgte dafür, dass wir nur mit europäischen Produzenten arbeiteten und deswegen auch den Final Cut behalten konnten.
DEADLINE: In der Rolle des Reverends liefert Guy Pearce eine wahre Meisterleistung ab. Wie ist es dazu gekommen, dass du ihn für die Rolle besetzt hast?
Martin Koolhoven: Als ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte ich für die Rolle keinen speziellen Schauspieler vor Augen. Bald schon machte ich mir jedoch eine Liste mit den drei Schauspielern, die ich mir in der Rolle vorstellen konnte. Als das Drehbuch in Hollywood seine Runde machte, meldeten sich viele Agenten bekannter Stars, die unbedingt den Reverend spielen wollten. Auch der Agent von Pearce meldete sich bei mir. Da Pearce ohnehin auf meiner Liste stand, beschloss ich, mich mit ihm zu treffen. Wir waren von Beginn an auf der gleichen Wellenlänge. Pearce war der erste Schauspieler, den ich für den Film verpflichtet habe.
DEADLINE: Hat Guy Pearce sich die Freiheit genommen, ein paar eigene Ideen in seine Rolle einzubringen?
Martin Koolhoven: Eine Menge Ideen stammen von ihm. Es sind zu viele, um sie im Detail aufzuzählen. Was mir spontan in den Sinn kommt, ist, dass er mich davon überzeugt hat, wie wichtig es für ihn ist, für die Rolle einen holländischen Dialekt zu erlernen.
DEADLINE: Was kannst du uns über die Arbeit mit Dakota Fanning erzählen, die meiner Meinung nach als Schauspielerin schwer unterschätzt wird?
Martin Koolhoven: Es gib keine Schauspielerin, mit welcher man so einfach zusammenarbeiten kann wie mit Dakota Fanning. In neun von zehn Fällen wusste sie genau, was ich nach dem Take zu ihr sagen würde. Sie steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera und hat die Schauspielerei durch und durch verinnerlicht. Sie weiß genau, wie man einen Film macht. Ich habe den Verdacht, sie wird bald selbst auch Regie führen.
DEADLINE: Mit Kit Harington und Carice van Houten stehen in BRIMSTONE auch zwei Stars aus GAME OF THRONES vor der Kamera. Beide Namen sind gewissermaßen der perfekte Selling Point für deinen Film, was mich zu der Frage bringt: Hast du beide deswegen in BRIMSTONE besetzt?
Martin Koolhoven: Carice van Houten und mich verbindet eine lange Kooperation. BRIMSTONE ist der vierte Film, den ich mit ihr gedreht habe. Sie war die einzige Person, die ich bereits für eine Rolle vor Augen hatte, als ich das Drehbuch verfasste. Bei Kit Harington war es so, dass eigentlich Robert Pattinson seine Rolle spielen sollte. Als Pattinson kurz vor Drehbeginn die Produktion verließ, musste ich schnell einen Ersatz für ihn finden. Kit kannte das Drehbuch bereits und liebte es. Mein Agent, sein Agent, mein Produzent, Guy und ein paar andere Leute überzeugten mich davon, dass er die richtige Wahl für die Rolle ist. Das Problem war jedoch, dass ich ihn noch nie hatte spielen sehen. Ich kenne keine einzige Episode von GAME OF THRONES, weswegen mir der Agent von Kit ein paar Demoaufnahmen schickte. Und da erkannte ich, dass er tatsächlich der richtige Schauspieler für meinen Film ist.
Interview geführt von Nando Rohner