Wir haben mit Regisseur Christoph Hochhäusler während des IFFMH 2024 über seinen neuen Film DER TOD WIRD KOMMEN gesprochen, darüber wie er selbst Filme konsumiert und wo das Streaming im Vergleich zum Kinoerlebnis den Kürzeren zieht.
„Ich glaube, man braucht diese Autorität der Größe im Kino.“
DEADLINE: Ich habe gestern deinen Film gesehen und er hat mir gut gefallen. Beim Q&A wurden ja auch schon ein paar Dinge angesprochen, zum Beispiel die Bedeutung von Brüssel als Drehort. Du wurdest bei einem Besuch vor einigen Jahren dort inspiriert, richtig?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Genau, ich war 2006 zum ersten Mal in Brüssel und war fasziniert von der Stadt, von ihren Kontrasten, Ober- und Unterstadt, alt und neu. Es ist ein bisschen eine Kollision aus Paris und Berlin, ein Clash. Ich war auch erstaunt darüber, dass ich vorher kein Bild von der Stadt hatte. Klar, man kennt das Atomium, Manneken Pis und vielleicht den Marktplatz, aber ich hatte keine Idee von der Stadt. Ich fand das irgendwie verrückt, weil wir ja eigentlich jeden Tag von Brüssel lesen. Da dachte ich, es wäre toll, da ein Film zu machen. Beim Spazierengehen dachte ich: „Hier könnte ein Gangster wohnen.“ Das ist natürlich erstmal eine Zuschreibung, die gar nichts mit Recherche zu tun hat, sondern das war erstmal einfach sozusagen Kinofantasie. Ich wollte lange schon ein richtigen Gangsterfilm machen. Und der hat ja im Deutschen keine Tradition. Es gibt den Kriminalfilm im Fernsehen, aber der Gangsterfilm blieb im deutschen Kino immer die Ausnahme – aber natürlich gibt es da schöne Ausnahmen. Und dann dachte ich, man könnte das vielleicht verbinden weil das Genre ja im französischsprachigen Raum, und dazu zählt ja Brüssel, eine lange und lebendige Tradition hat. Dann gab es einen Schreibprozess und dann hat die Finanzierung sehr lange gedauert. Also das sind so die Stufen.
DEADLINE: Wo du es gerade ansprichst: Kannst du etwas zur Zusammenarbeit mit Ulrich Pelzer sagen? Gerade, wenn es jetzt mehrere Autoren gibt, stelle ich mir den Prozess interessant vor.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ulrich und ich haben jetzt schon fünf Filme geschrieben, nicht alle davon sind verfilmt. Es sieht eigentlich immer gleich aus: Ich mache meistens einen grundsätzlichen Vorschlag, in welche Richtung ich möchte. Und dann sitzen wir zusammen in einem Raum, einer tippt und einer diktiert. Es geht darum, Gedanken zu Papier zu bringen. Und dann liest man sich das wieder vor, diskutiert es und so weiter. Also sehr logisch. Wobei eben klar ist, dass wir einen Film für mich schreiben. Das heißt, ich habe bestimmte Absichten und bestimmte Vorlieben und so weiter, die Ulrich durchaus teilt.
DEADLINE: Also ein kreativer Austausch auf Augenhöhe
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ja, sozusagen eine kontinuierliche Unterhaltung. Und die streift natürlich auch viele Themen. Es ist ein schöner Dialog. Es macht mir sehr großen Spaß, mit Ulrich zu schreiben.
DEADLINE: Ihr schreibt ja dann logischerweise auf Deutsch. Es ist das aber dein erster Film auf Französisch. Das war bestimmt auch eine gewisse Herausforderung, aber hat es dir vielleicht auch geholfen, dich durch die Sprache ein bisschen von der Handlung zu distanzieren?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ich hätte mir weniger zugetraut, einen alltagsrealistischen Film in Brüssel zu machen, weil ich ja da nicht lebe und man Französisch mäßig ist. Ja, wir haben auf Deutsch geschrieben und ein französischer Schriftstellerfreund von mir hat das übersetzt. Und dann gab es während der Drehvorbereitung noch Anpassungen. Die und auch die Schauspieler haben dazu beigetragen, dass das Französisch stimmt.
DEADLINE: Gestern kam die These auf, dass die weibliche Killerin eine Art eine Besonderheit ist. Ich muss da ein bisschen widersprechen. Ich finde, jetzt gerade in der jüngeren Popkultur gab es auch schon auch einige starke weibliche Killer oder?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Es gibt wahrscheinlich 10.000 Filme mit männlichen Killern und vielleicht 1.000 weibliche? Also es gibt schon ein großes Unverhältnis, aber es stimmt: Das ist jetzt nicht der erste Film, der sowas tut.
DEADLINE: Wobei gerade in Hollywood, ist es schon so, dass die Frauen dann schon immer sehr sexualisiert sind. Da schwingt immer ein bisschen Erotik mit, auch durch die Kostüme. Das ist mir bei dir positiv aufgefallen. Tez (Sophie) ist ja eine wunderschöne Frau und sinnlich, aber gleichzeitig hat sie schon auch dieses androgyne, was auch in der Sexualität der Rolle angedeutet ist. Hast du das schon bewusst auch für dich in der Rolle so angelegt?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ja, da kamen die Besetzung und die Rolle wie wir sie charakterisiert haben, gut zusammen. Mir geht es total auf die Nerven, diese sexualisierten Cat Ladies. Klar, das kann auch Spaß machen, etwa Michael Pfeiffer in BATMAN RETURNS. Aber danach war vieles nur ein Abklatsch.
DEADLINE: Für mich ist es auch oft ein bisschen im Hilfsmittel. Als müsste man über die Sexualität etwas kaschieren, was eigentlich gar nicht nötig ist, wenn die Frau stark spielt.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Klar „Sex sells“ funktioniert ja auch. Aber das ist etwas, was mich nicht interessiert. Mir war wichtig, dass diese Figur eine bestimmte Würde hat und ein Geheimnis. Ich glaube, die hat keine Gelegenheit für eine sexualisierte Storyline. Wir haben uns Gedanken gemacht: Wie könnte sie leben? Das ist ja kein realistischer Film, aber trotzdem möchte man glaubhaft innerhalb dieses Kosmos sein. Zum Beispiel sollte ihre Frisur so aussehen, als ob sie sich selbst die Haare schneidet.
DEADLINE: Der Kosmos ist ja wie du schon sagst, ein klassischer Gangster Film, also viele Rollen oder Figuren kennt man natürlich in der Art wie sie angelegt sind. Aber es gibt schon viele Twists und ich glaube, ich müsste den Film noch ein zweites Mal sehen und die ganzen komplexen Strukturen zu verstehen.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Das ist natürlich bewusst gemacht. Dass man verwirrt wird und sich fragt: „Wer ist da mit wem und warum?“ Ich hoffe, man kann beim ersten Mal Spaß haben, aber ich glaube auch, dass man beim zweiten oder dritten Mal Spaß haben kann. Ich glaube, das ist ja etwas, was wir heute berücksichtigen müssen: Dass Leute die Möglichkeit haben, einen Film mehrmals zu sehen. Das war ja den 1930er und 1940er Jahren nicht vorgesehen. Dass es dann alles anders kommt mit Fernsehen, Kabel, DVD und Streaming, das konnte man ja nicht ahnen. Heute wissen wir, dass es grundsätzlich diese Wiederholbarkeit gibt und die Frage ist daher: Wie reagiert man darauf und verändert man seine Dramaturgie? Und ich glaube, dass der Film in gewisser Weise darauf eingeht.
DEADLINE: Das Streaming bringt auch immer eine gewisse Beliebigkeit mit sich. Das ist glaube ich so die Krux. Sowohl, was die Auswahl angeht durch den Überfluss als auch die Art, wie man Filme konsumiert.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Deswegen finde ich es immer ganz toll, dass Leute noch ins Kino gehen. Ich glaube, man braucht diese Autorität der Größe. Also das macht ja was mit einem, wenn das Gesicht oder die Handlung viel größer sind als man selbst. Das konditioniert das Sehen. Aber was die die Zahl der Filme bei den Streamern angeht, ist die ja kleiner als teilweise bei Videotheken. Das macht man sich nicht immer klar, dass Netflix weniger Filme als ein Blockbuster Filiale vorrätig hat. Das sind ja nur so etwa 4500 in Deutschland und dann auch noch viele Filme, die sich ähneln. Klar, wenn man natürlich alles Streamingservices zusammen abonniert, kommt man schon auf eine Menge sogenannten Content. Aber es ist es ist eine täuschende Vielfalt, glaube ich.
DEADLINE: Wie konsumierst du denn, wenn du privat Filme oder Serien schaust?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ich gucke wenig Serie, weil das so viel Zeit kostet und ich habe da meistens das Gefühl, die Länge ist der kapitalistischen Logik geschuldet. Man will etwas in die Länge ziehen. Da fühle ich mich auch so ein bisschen benutzt. Es gibt natürlich tolle Serien, aber ich habe keine Zeit dafür. Ich gehe sehr gerne und viel ins Kino und ich schaue natürlich auf DVDs, Blu-Rays und manchmal auch Links. Und hier und da mal auch Streaming, aber nicht so viel. Vielleicht liegt es an meinem Alter, aber ich bin total überzeugt von physischen Medien, also dass man ein Objekt hat. Dass man sagen kann: Okay hier im Regal dieser Film ist da abgelegt. Diese Art von noch Verräumlichung kommt mir entgegen.
DEADLINE: Ich glaube auch, dass es da so eine Art Revival gibt, gerade durch diesen Überfluss, weil es eben auch überfordert. Es entlastet irgendwie, wenn man etwas in der Hand, einlegt und nicht die ganze Zeit doch erst überlegen muss. Was schaue ich jetzt?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ja, das ist das, was du von angesprochen hast. Die Beliebigkeit ist schon eine Gefahr. Das Kino ist ja das Gegenteil. Insofern, dass man sich zu einem kleinen Date zu einer bestimmten Zeit für den Film trifft und dafür einen Abend opfert. Das ist so eine Entscheidung, der Kinobesuch hat dann einen Hinweg und ein Rückweg und so weiter. Das gehört zu der Erfahrung und meistens trifft man dann noch jemanden. Während ein Stream oft irgendwie nur so halb geguckt ist. Das ist wie so eine kalte Pizza.
DEADLINE: Es geht auch dieses gemeinsame Schauen eines Films ein bisschen verloren. Ich schaue auch gern allein Sachen, aber es ist halt nicht dieses Zusammensein und danach sitzt man beim Bier oder Kaffee zusammen und redet noch über den Film.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ja und bestimmte Wirkungen können sich allein nicht entfalten. Klar ich kann auch allein vom Fernseher heulen, warum nicht? Das passiert auch. Aber diese Wucht, wenn ein ganzer Raum aufmerksam ist, meinetwegen 1000 Leute, die zur gleichen Sekunde einatmen. Das ist auf einer Ebene wirksam, die dann nicht mehr rational ist. Das kann man nur im Kino erleben.
DEADLINE: Nochmal kurz zurück zum Film: Wie kamst du zu der Idee des Gangsters, der selbst sterbenskrank ist. Darin liegt ja eine starke Symbolik. Hast du das auch von Anfang an so bewusst konstruiert oder kam dir die Idee erst später?
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Das war mehr oder weniger der Anfang unserer Reise. Das war im Grunde das Motiv, mit dem wir angefangen haben und das ist auch mit mir verbunden. Ich hatte eine Fehldiagnose. Mir wurde gesagt, ich hätte Krebs und dann war das über Monate unklar. Das war eine der Motivationen für diese Figur.
DEADLINE: Wahnsinn, danke für den persönlichen Einblick. Dass ist dann natürlich lebensverändernd.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER: Ja. Ich meine, wir wissen alle, dass wir sterben werden, aber nicht wann.
DEADLINE: Wie wahr. Danke für deine Zeit und das Interview!
Interview: Jessica Wittmann-Naun