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INTERVIEW MIT MARVIN KREN ZU 4 BLOCKS

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INTEGRATION IST ALLES!

Interview mit Marvin Kren – 4 BLOCKS

 

Der Österreicher Marvin Kren studierte an der Hamburg Media School Regie, bevor er 2010 mit RAMMBOCK nicht nur seinen Langfilm-, sondern auch seinen überzeugenden Genre-Einstand ablieferte. Mittlerweile hat der sympathische 37-Jährige bereits drei Folgen der Fernsehinstitution TATORT auf dem Kerbholz und lieferte mit 4 BLOCKS – wo er am Drehbuch mitschrieb und alle (!) Folgen der ersten Staffel inszenierte – eine der aktuell besten deutschen Serien ab, die sich gekonnt zwischen Gangster-Fiction und Realität ansiedelt.

Eye See Movies bringt die Serie am 8. Dezember als DVD/BD und auch als Steelbook-Version. Dort könnt ihr im Bonus-Material noch ein anderes Video-Interview mit Marvin Kren von uns finden.

Wir sprachen mit Marvin über die Dreharbeiten im „Problembezirk“ Berlin-Neukölln, die Bedeutung von Integration und darüber, warum Horror für ihn ein wichtiges Genre geblieben ist. Zunächst eröffnet der Interviewte aber das Gespräch gleich selbst:

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MARVIN KREN: Und du schreibst für die DEADLINE?

 

DEADLINE: Ja, schon seit sechs Jahren.

 

MARVIN KREN: Ich liebe die DEADLINE!

 

DEADLINE: Das freut uns natürlich, du bist also auch einer unserer Leser?

 

MARVIN KREN: Ja, zu meiner Horrorhochphase mit RAMMBOCK und BLUTGLETSCHER wart ihr ein enorm wichtiger Recherchepool für mich, um zu sehen, was andere Regisseure machen. Aber hast du auch das Gefühl, dass Horror- und Science-Fiction-Filme in der Zeit von 2008 bis 2013 stärker waren, als sie es jetzt sind? Also jetzt kommt wieder viel Großes auf uns zu, aber ich meine, eher im kleineren Bereich, da war die damalige Zeit aufregender, oder nicht?

 

DEADLINE: Ich sehe eher um die Jahrtausendwende eine große Veränderung als zuletzt, wo extrem brutale Filme wie z. B. HIGH TENSION plötzlich zu einer Art Norm wurden. Aber lass uns mal über 4 BLOCKS reden, die Serie hab ich vor Kurzem für mich entdeckt, weil ich in der Nähe der Gegend in Berlin-Neukölln lebe, wo sie spielt. Erzähl doch mal, wie und ab wann du zu dem Projekt gekommen bist.

 

MARVIN KREN: Die Idee stammte von Quirin Berg, einem Tausendsassa-Produzenten von Wiedemann & Berg, der u. a. für DAS LEBEN DER ANDEREN und die neue Netflix-Serie DARK verantwortlich ist. Er hat mich durch meine Horrorfilme und die TATORTE, die ich inszeniert habe, entdeckt und mir dann einen Tatort als so eine Art Bewährungsprobe gegeben. Danach habe ich einen Eventfilm für Sat.1, MORDKOMMISSION BERLIN 1, für ihn inszeniert, und da das sehr gut lief, meinte er darauf: „Ich habe etwas Heikleres für dich namens 4 BLOCKS, wo es um arabische Familienklans in Berlin-Neukölln geht, hättest du da generell Interesse?“ Als ich das Thema hörte, „Gangster, Echtheit, vier Blocks, Berlin“, war für mich klar: Es gibt keine Diskussion, ich muss das machen! Man braucht einen Mike Tyson als Regisseur für so was, aber ich wollte es unbedingt durchboxen. (lacht) Quirin hat den anderen Verantwortlichen meine bisherigen Filme gezeigt, und sie sahen mich als jungen, frischen Wind mit einer interessanten Vision. Ich kannte einige der Schauspieler, wie Kida (Khodr Ramadan, Anm.) oder Sami (Nasser, Anm.), und hab im Vorfeld einiges über die Welt, in der die Serie spielt, in Erfahrung gebracht, weil ich mit ihnen rumgehangen bin. Die Geschichte von 4 BLOCKS war eigentlich aus einer ganz einer anderen Perspektive geschrieben, nämlich aus der von Vince (gespielt von Frederick Lau, Anm.), einem verdeckten Ermittler. Eine der verantwortlichen Redakteurinnen, Anke Greifeneder, war sehr offen für Neues. Sie meinte, wenn wir Pay-TV machen, muss es etwas Besonderes sein und auch eine besondere Erzählperspektive haben. Wir wollten DIE SOPRANOS von Berlin machen, aus der Sicht der Neuköllner. Zum Glück durfte ich auch am Drehbuch mitarbeiten und hab sie zu der Form gebracht, die wir nun sehen können. Das hat aber nur mit extrem viel Recherche funktioniert und indem wir echte Menschen von dort auch in die Besetzung nahmen. Dazu gehörte es auch, sehr viel mit dem Auto nachts durch diese Gegend zu fahren und bei „Deals“ dabei zu sein. Ich hab sozusagen einen Schnellkurs in Kriminalität gemacht.

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DEADLINE: Wie komplett waren die Drehbücher, als du sie überarbeitet hast?

 

MARVIN KREN: Die Bücher waren Outlines, grobe Versionen, aber aus der Sicht des Ermittlers, und die haben wir dann in mehreren Schreibsessions umgemodelt, sodass es die Geschichte von Toni Hamadi wurde (in der Serie dargestellt von Kida Khodr Ramadan, Anm.), also die Geschichte des Klan-Chefs selbst. Das war insofern spannend, als dass der Drehstart feststand, und die Bücher waren noch nicht dort, wo sie sein sollten. Und was die DEADLINE-Leser sicher interessiert, ist, dass ich Benjamin Hessler dazugewinnen konnte, meinen Compagnon, der auch RAMMBOCK und BLUTGLETSCHER geschrieben hat, meine beiden Horrorfilme, der sich dann um die letzten beiden Drehbücher von 4 BLOCKS mit gekümmert hat.

 

DEADLINE: Würdest du 4 BLOCKS eher als fiktive Serie bezeichnen oder als eine, die ein realistisches Bild von Berlin-Neukölln zeigt?

 

MARVIN KREN: Es ist eine Mischung aus beidem, aber es ist immer wichtig, dass man, wenn man sich an Stoffe wagt, die im kriminellen Milieu spielen, eine ganz klare Entscheidung treffen muss. Und bei uns war diese Entscheidung: Es soll das Gesicht einer Gangsterserie sein, und in ihr haben die Stadt Berlin und ihr soziales Gefüge sehr viel Platz. Das ist das Tolle an einer Serie, weil man das da machen kann. Aber im Grunde ist es Unterhaltung, spielt im Gangster-Genre, es feiert und verurteilt zugleich das Kriminelle. Aber es erzählt auch, woher Menschen, die sich so verhalten, kommen, und auch, warum sie kommen. Aber machen wir uns nichts vor, es ist eine Gangsterserie und gehört auch in dieses Genre.

 

DEADLINE: Aber habt ihr euch beim Schreiben und Drehen auch Gedanken gemacht, dass die Darstellung von Arabern als Gangster rassistische Vorurteile schüren könnte? Es gibt nämlich diesen starken Satz in 4 BLOCKS, „In Berlin wird jetzt Arabisch gesprochen“, der im Kontext der Serie großartig ist, aber man kann ihn auch völlig missverstehen.

 

MARVIN KREN: Den Satz hab ich lustigerweise von einem Wiener Gangster gehört, den ich getroffen habe und zu dem ich im Scherz meinte, im Milieu gebe es doch vor allem Jugoslawen und Tschetschenen, woraufhin er erwiderte: „In Wien spricht ma Deutsch!“ (lacht), daher hab ich den Satz umgemodelt. Aber man macht sich natürlich Gedanken über Klischees wie das, dass alle Italiener in der Mafia tätig sind. Es ist eine Verdrehung der Realität, auch bei uns. Genauso ist es bei uns ein Abbild der Realität, dass sehr viele arabischstämmige Familien mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Und das ist bei uns dann auch insofern dokumentarisch, als dass wir versuchen zu erzählen, woher das kommt. Was hat der Staat für eine Schuld daran? Wenn man einen Verbrecher porträtiert, woher er kommt, was er für Charakterzüge hat, dann ist es eine vergleichbare Porträtierung wie die eines Bäckers. Wie von einem normalen Menschen, für den man Sympathien entwickelt, auch wenn er nicht nur moralisch Einwandfreies tut. Und ich glaube nicht, dass so etwas z. B. die AfD unterstützt, sondern es hilft aufzuklären, wer diese Menschen sind und woher sie kommen. Sie machen natürlich ihre Geschäfte, aber sie sind nicht verantwortlich für den Untergang Europas.

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DEADLINE: Eines der stärksten Motive von 4 BLOCKS ist, wenn man Gangsterboss Toni auf der Einwanderungsbehörde sieht, ein Mafiaboss als Bittsteller vor dem mächtigen deutschen Beamtentum. War diese Nebenhandlung von Anfang an drin?

 

MARVIN KREN: Das entstand mit der Umwandlung der Hauptfigur von Vince, dem verdeckten Ermittler, zu Toni, dem Gangster. Eine Hauptfigur muss mit vielen Hindernissen konfrontiert werden, damit sie interessant ist, und es entspricht der Realität, dass viele Kriminelle keinen Aufenthaltsstatus besitzen. Die libanesisch-kurdischen Familien sind in den 70er-Jahren in Beirut selbst ganz schlecht behandelt worden, sie waren dort selbst Flüchtlinge und keine „richtigen“ Araber. Sie sprechen zwar Arabisch, aber das kurdische und verschiedene Akzente, und kommen eigentlich aus dem Gebiet der Türkei, wo früher kurdische Familien angesiedelt waren. Am Ende des Ersten Weltkrieges haben sie begonnen, sich über den gesamten arabischen Raum zu verteilen, und diese Familie in Beirut. Dann kam der Bürgerkrieg, und viele dieser Familien haben sich in Berlin oder in NRW niedergelassen. In Deutschland wollte sie eigentlich niemand haben. Die türkische Minderheit war schon lange ansässig und integriert, und an den starken Strukturen der arabischen Familien hat sich der deutsche Staat gestoßen. Man hat ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr gegeben und ihnen mit staatlichen Mitteln zu verstehen gegeben, dass man sie eigentlich hier nicht haben will. Sie bekamen kein Geld, sondern nur Essensmarken, es fand also keine wirkliche Integration statt, mit dem Hintergrund, dass man über diplomatische Beziehungen mit dem Libanon plante, dass sie alle wieder dorthin zurückgehen. Das Problem war, dass der Libanon sie auch nicht mehr wollte, weil sie Sunniten sind und keine Schiiten. Es waren Familien mit starken Strukturen, aber noch lange keine Verbrecher. Und als sie endlich in Deutschland ankamen, war klar, dass sie hier nicht gleich wieder wegwollten. Der deutsche Staat hat es aber in zehn Jahren nicht zustande gebracht, die neue, heranwachsende Generation zu integrieren. Ich vermute, du bist so um die 30?

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DEADLINE: Eher um die 40.

 

MARVIN KREN: Ich bin auch 37, aber um diese Kids, die etwa auch um die Zeit wie wir geboren wurden, um die hat man sich nicht gekümmert und hat nicht versucht, sie aus ihren Familienstrukturen zu befreien und sie in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Dadurch ist Neukölln entstanden, dadurch ist diese Sonnenallee entstanden, dadurch ist das alles so stark manifestiert. Und wenn man das auch so darstellt, dann zeigt man auch, was auf uns zukommt, wenn weitere Flüchtlinge kommen. Integration ist alles, sonst entsteht eine „Parallelgesellschaft“ mit eigenen Gesetzen.

 

DEADLINE: Ein tolles Motiv ist auch die Veränderung von Tonis Frau Kalila (dargestellt von Maryam Zaree, Anm.), die am Anfang ohne Kopftuch zu sehen ist, und als der Druck auf ihre Familie und ihren Mann größer wird, sieht man sie mit Kopftuch und auch mal betend. Wird sie zum Glauben quasi „gedrängt“, weil ihr normales Leben auseinanderbricht?

 

MARVIN KREN: Ja, das ist schon richtig interpretiert. Bei unseren Recherchen in Frauenhäusern, die sich um muslimische Frauen kümmern, wurde uns die Information gegeben, dass sehr viele junge Mädchen – das betrifft also nicht nur die Person der Kalila – sich in den Glauben retten, weil die Welt immer komplizierter wird. Der Glaube gibt ihnen Struktur und Klarheit und lässt das Universum auch kleiner erscheinen, als es gerade ist. Mit der Sexualität im Internet, den vielen Angeboten, mit „jeder kann ein König oder eine Prinzessin werden“ ist es für viele Menschen einfach zu viel. Und sie retten sich in den Glauben und in die Limitierung der Wahrnehmung der Welt. Bei Kalila war unsere Idee die, dass das Böse in ihr Haus Einzug hält, mit Toni, der erneut zum Verbrecher, zur „Bestie“ wird, und sie versucht sich mit dem Glauben zu schützen. Wir erzählen also, dass der Glaube für den Einzelnen etwas Gutes, ein Schutz sein kann, das war die Idee dahinter.

 

DEADLINE: Zwei andere Rollen, die sehr herausstechen, sind Frederick Laus Vince, aber vor allem Roland Zehrfeld als Bikerboss Rainer „Ruffi“ Ruff, den ich noch nie so hart gesehen hab. Wie hast du die so weit gebracht, ohne dass es künstlich oder aufgesetzt wirkt?

 

MARVIN KREN: Na ja, der Freddy ist einfach eine harte Sau. (lacht) Frederick Lau ist ein richtiger Berliner Straßenjunge, der in seinem Leben ungefähr schon 50 Raufereien hatte, alleine mit mir zwei. (lacht) Er ist ein stahlharter Kerl, der von den anderen Jungs im Cast extrem respektiert wird, und es war gar keine so große Aufgabe, ihn in diese Rolle zu bringen. Er hat schon sehr gut verstanden, was er da macht und wie er sich gegenüber diesen „echten“ Jungs behaupten muss. Mir kommt es fast so vor, als ob er sich für seine anderen Rollen verstellen musste, während er in 4 BLOCKS so ist, wie er nun mal ist. Das Schöne war, mit ihm das Gefühl herauszufinden, was es bedeutet, ein Betrüger zu sein. Denn er ist zwar ein Cop, aber er mag diese Leute auch, und er hat eine Mission zu erfüllen. Das zu erzählen, wie man diese privaten Momente des Zweifelns findet, weil er im Hintergrund einen wirklich fiesen Plan verfolgt, das fand ich so das Aufregendste an seiner Rolle. Und Zehrfeld ist so, wie man ihn sieht, fast 1,95 m groß, 100 Kilo, fast nur Muskelmasse, und er ist es auch einfach leid, immer den Sympathen zu spielen, und hat sich einfach gefreut wie 15 Kindergeburtstage hintereinander, dass er mal einen fiesen Typen spielen darf. Er war sehr sportlich, wenn es darum ging, sich in so eine dunkle Rolle hineinfallen zu lassen.

 

 

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DEADLINE: Gerade auch was die Darstellung von Sex und Gewalt angeht, ist 4 BLOCKS nichts für Zartbesaitete, ganz im Stile von GAME OF THRONES. Wie war das bei der Produktion, hattest du da volle Freiheit oder wurden dir Grenzen aufgezeigt?

 

MARVIN KREN: MARVIN KREN: Es gab einen Producer vor Ort vom „normalen“ Fernsehen, der zwar nicht meine Autorität war und der immer vorsichtig meinte „du willst die Serie ja so brutal machen“. Aber TNT Serie (Pay TV-Sender, der 4 BLOCKS nicht nur als erstes ausstrahlte, sondern auch produzierte, Anm.), die sich intensiv mit dem internationalen Markt beschäftigen, wissen, dass man in einer Fernseh-Landschaft, wo alleine aus Deutschland nächstes Jahr sieben High-End-Serien kommen, provozieren muss, ob nun mit Sexualität oder mit Gewalt. Wir haben die Möglichkeit, das, was man früher nur im Kino konnte nun ins Fernsehen zu bringen. Und das wurde auch gefordert: „Marvin mach deinen Film, sei pervers und sei brutal.“ Es war eine Freikarte.

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DEADLINE: Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan kommt ja aus der arabischen Community in Berlin, hat dir das beim Dreh und der Recherche dazu geholfen, und wie waren die Dreharbeiten im sogenannten „Problemkiez“ Neukölln?

 

MARVIN KREN: Ohne Kida und Sami Nasser hätte ich die Serie nicht machen können. Sami war unser Mann im Hintergrund, der sich auch um sehr viel Logistisches gekümmert hat. Er spielt in der Serie Tonis „rechte Hand“ und ist oft mit ihm im Bild und ist ein sehr talentierter Darsteller. Er kennt auch sehr viele Leute, wie Geschäftsbesitzer und viele der Komparsen in der Serie, er ist der „Vizebürgermeister“ von Neukölln. Wenn man ihn an seiner Seite hat, kann man da sehr gut arbeiten, deswegen auch mein Riesendank an ihn. Und das Gleiche gilt für Kida an der Darstellerfront. Kida kann mit Menschen auf eine Art reden, wie ich es gar nicht könnte. Wenn es hinter der Kamera Ärger gab, dann hat er die Gabe, Menschen sehr gut zu beruhigen, und das Schöne war, dass wir so eine Art österreichisch-deutsch-arabisch-libanesisch-türkische Community geworden sind, eine Bruder- oder auch Schwesternschaft, weil auch viele tolle Frauen dabei waren, die sehr eng miteinander wurden und sehr respektvoll miteinander umgegangen sind. Wir haben gemerkt, dass das, was wir machen, noch nicht existierte, und wir haben den Luxus, das gemeinsam machen zu dürfen. Es konnte nur gut werden, weil wir alle richtig zusammenhielten. Das beste Beispiel für Integration war die Arbeit an dieser Serie.

 

DEADLINE: Du hast vorhin die Recherche erwähnt, wie lief die ab?

 

MARVIN KREN: Über meine Recherchen darf ich nicht ins Detail gehen, sonst wird das Thema einer Strafverfolgung. (lacht) Ich habe Leute aus dem Milieu kennengelernt, mich mit ihnen unterhalten, mir deren Geschichten angehört, wahrgenommen, wie die drauf sind. Was ich total spannend fand, war, dass viele dieser Leute Schauspieler sind, in dem Sinne, dass sie auf der Straße eine Rolle spielen. Auf der Straße zu sein bedeutet auch, eine gewisse Härte zu haben, eine gewisse Geschichte zu erzählen, einen Kult um sich zu schaffen, wenn man da überleben möchte. Der ist das und das und hat das und das gemacht und ist so und so. Also man arbeitet an seiner eigenen Legende. Es war sehr spannend, das herauszufinden, es ist wie die Legendenbildung von Filmen. Und: Sie geben sich tatsächlich Filmnamen, gebärden sich wie Figuren aus Filmen, und das inspirierte wiederum die Serie, es ist also tatsächlich eine höchst interessante Wechselwirkung.

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DEADLINE: Wie ist dein persönlicher Bezug zur deutschen Hauptstadt?

 

MARVIN KREN: Mein Bezug zu Berlin ist, dass ich die Stadt als eine sehr tolle und aufregende erlebe. Ich habe dort wegen meiner Arbeit sehr viel Zeit verbracht, begonnen mit der an RAMMBOCK. Aber auch wegen vieler Meetings und vieler Freunde. Und als ich in Hamburg lebte, habe ich selber in der „Ritze“ geboxt, einem Boxkeller mitten auf der Reeperbahn, wo Polizisten und Gangster gegenseitig Sparringspartner waren, und das fand ich schon damals sehr reizvoll und interessant.

 

DEADLINE: Habt ihr Laiendarsteller in Nebenrollen eingesetzt?

 

MARVIN KREN: Nicht nur in Neben-, auch in Hauptrollen. Der Veysel zum Beispiel, darauf bin ich sehr stolz, der Tonis Bruder Abbas spielt, ist eigentlich Rapper. Er kommt zwar nicht aus Berlin, aber aus NRW, auch ein heftiges Pflaster. Veysel hat extrem viel Authentizität und viel Schmackes reingebracht, aber er hat noch nie vor der Kamera gespielt und liefert eine echte Power-Performance ab. Also Augen auf, ich hoffe, dass der noch eine gute Karriere auch in dem Bereich macht. Und in der zweiten Reihe waren alles Laien.

 

DEADLINE: Die Darstellung von Toni Hamadi erinnerte mich ein wenig an den Klassiker DER PATE. Was waren filmische Vorbilder für dich bei 4 BLOCKS? Ist Toni ein Verweis auf Tony Soprano aus der gleichnamigen Serie?

 

MARVIN KREN: Nein, wir sprechen nicht von Tony Soprano sondern von Tony Montana (aus SCARFACE, Anm.), und die Geschichte, warum er so genannt wird, ist, weil er früher ein wilder Typ war und ihn alle Tony Montana genannt haben. Also der Verweis auf Tony Soprano stimmt nicht ganz, auch wenn Kida vermutlich von den Körpermaßen James Gandolfini näher ist als Al Pacino. (lacht)

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DEADLINE: Also mehr SCARFACE als SOPRANOS?

 

MARVIN KREN: Auch nicht wirklich, wenn, dann DER PATE 2. Mafiafilme hab ich tausendmal gesehen, wie du vermutlich auch, weil man die einfach gerne sieht. Es sind immer Familiengeschichten, mit denen man sich gut identifizieren kann, mit extrem archaischen Figuren und starken Strukturen, in denen sich der Held behaupten muss. Meiner Meinung nach sind Mafia-Geschichten Entwicklungsromane. Nimm zum Beispiel GOODFELLAS, wo man den Helden als Kind sieht und ihn sagen hört: „Solange ich denken kann, wollte ich schon immer Gangster werden.“ Und am Ende ist er einer. Oder in UN PROPHÉTE, in dem eine „Ratte“ zum Gangsterkönig von Paris wird. SCARFACE und DER PATE sind auch Entwicklungsgeschichten. Für 4 BLOCKS mussten wir herausfinden, was die Entwicklungsgeschichte für unseren Toni Hamadi ist. Toni ist jemand, der nichts mehr mit der „Straße“ zu tun haben möchte, der sich selbst belügt, indem er sagt, er muss das halt noch machen, und dann kauft er ein Haus, und seine Freunde führen die Geschäfte im Hintergrund weiter, während er dann eigentlich Immobilienhändler ist. Das war die Ausgangsposition. Aber Vince macht ihm klar, dass man mit dem Geld aus Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung nicht einfach so eine Immobilie kaufen kann. Und da beginnt das Dilemma. Wenn man alle Folgen von 4 BLOCKS gesehen hat, wird man erkennen, dass das Verbrechen ein schwarzes Loch voller negativer Energie ist. Ein Bäcker backt Brot, ein Filmjournalist sieht Filme und schreibt darüber, ein Regisseur dreht Filme, aber ein Verbrecher produziert nur Leid, sonst nichts. Er macht Menschen süchtig, nimmt ihnen Geld weg, er betrügt den Staat, er tut der Gesellschaft nichts Gutes. Und zu versuchen, daraus etwas Gutes zu erschaffen, ist wie zu versuchen, ein Haus auf Treibsand zu bauen, das wird nicht funktionieren. Daher ist die Geschichte, die wir erzählen, eine sehr pessimistische. Daher wird es spannend zu sehen, wie es in Staffel 2 weitergeht.

 

DEADLINE: Ohne jetzt auf den Inhalt einzugehen, aber wie ist denn der Entwicklungsstand der nächsten Staffel?

 

MARVIN KREN: Wir schreiben gerade die Drehbücher, und ich bin vermutlich nicht als Regisseur, aber als Showrunner beteiligt, was auch interessant und ein neuer Schritt für mich ist. Ich mache gerade eine andere Serie, für die ich gerne schon mal Werbung machen kann. Sie heißt FREUD, so eine Art Psychothriller über den jungen Sigmund Freud in Wien. Damit kehre ich zu meinen Wurzeln zurück, weil es darin auch um Übersinnliches gehen wird, in Kombination mit „unserem“ Urvater des Übersinnlichen, Sigmund Freud.

 

DEADLINE: Auf welchem Sender wird das zu sehen sein?

 

MARVIN KREN: Momentan ist der ORF beteiligt, mit dem ZDF sind wir in Verhandlung, und vielleicht kommt noch ein Pay-TV-Sender dazu, also ein Konglomerat aus mehreren. Wenn wir drehen, kannst du oder jemand anderes von der DEADLINE gerne zu einem Setbesuch vorbeikommen.

 

DEADLINE: Sehr gerne! Ich vermute, es wird in Wien gedreht?

 

MARVIN KREN: Ich hoffe es sehr, aber bei historischen Sachen kann es sein, dass man nach Prag ausweicht oder nach Ungarn, aber ich brauch, glaub ich, die Energie aus Wien für die Serie.

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DEADLINE: Zudem ist Österreich als Filmland auch für internationale Produktionen ideal, weil man hier auf wenig Raum urbane Szenarien ebenso inszenieren kann wie tiefste Wildnis. Dazu kommen unzählige Sagen und Mythen, die sich geradezu aufdrängen, verfilmt zu werden.

 

MARVIN KREN: Ich sehe das genauso. Gerade in der Gegend in Wien um die „Arena“ (legendärer Veranstaltungsort in einem ehemaligen Schlachthaus, Anm.) gibt es unheimliche Lagerhallen, wo schon ganz übles Zeug passiert ist, da könnte man RESERVOIR DOGS auf Wienerisch in irgendeinem Eck drehen. (lacht)

 

DEADLINE: Du bist ja mit einem Low-Budget-Horrorfilm durchgestartet, ohne auf einer klassischen Filmakademie studiert zu haben. Wie wichtig ist „Genre“ für dich, und schätzt du dich glücklich, mittlerweile eine deutsche Institution wie den TATORT regelmäßig inszenieren zu können?

 

MARVIN KREN: Also ich war schon auf einer Filmhochschule, der Hamburg Media School, da macht man die Ausbildung komprimiert in zwei Jahren, das ist etwas effektiver und tritt den jungen Leuten mehr in den Arsch als die „Großen“. (lacht) Dort musst du halt liefern und Preise holen. Und mit Horror hab ich begonnen, weil sich im Unheimlichen und Fantastischen die Erzählräume in meinem Kopf einfach interessanter anfühlen, als „nur“ aus der Realität heraus oder „nur“ aus dem Drama heraus, also aus den eigenen, langweiligen Geschichten des Lebens Geschichten für Debütfilme zu machen. Das hat mich weniger fasziniert, als dass ich versuche, Filme wie ein George A. Romero zu machen, das ist einfach so. Dennoch war es wichtig für mich, dass diese fantastischen Filme oder Horrorfilme aus mir herauskommen und nicht eine Nachahmung von amerikanischen Filmen sind, wo ich niemals hinkommen kann, weil ich das Geld nicht habe und auch nicht diesen amerikanischen Background. Ich will eine Reflexion machen zwischen Horrorfilmen und meinem Leben, mit den Dingen, die mich umgeben, Drama, Realität und Genre. Horror ist für mich auch ein Genre, das ich immer wieder gerne sehe. Gestern hab ich GET OUT zum ersten Mal gesehen und war hocherfreut, was für ein schöner Film! Ein wunderbares Beispiel, was „Genre“ alles leisten kann, oder? Ein Horrorfilm aus der Sicht der schwarzen amerikanischen Bevölkerung in Zeiten von Donald Trump, was für eine gelungene Reflexion! Der Zuschauer kann reflektieren, was sich in Amerika abspielt, wie sich Schwarze fühlen müssen. So entstehen künstlerische Wahrnehmungsprozesse beim Empfänger, so etwas versuche ich auch, und bei 4 BLOCKS war es die Abenteuerlust, in eine Welt einzusteigen, die in erster Linie gar nichts mit mir zu tun hat, nämlich die arabische Welt, und ich habe familiären Zusammenhalt gesehen, wie ich ihn bisher in meinem Leben nicht kannte. Ich habe eine tolle Familie, aber nicht so, dass 50 Leute am Tisch sitzen und man zu jedem eine starke Verbindung hat.

 

DEADLINE: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, Marvin!

 

MARVIN KREN: Danke dir auch, Baba!

 

Interview geführt von Patrick Winkler

 

 

 

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