«Ich liebe DIE HEXEN VON EASTWICK»
Die US-amerikanische Drehbuchautorin, Filmproduzentin und Regisseurin Jac Schaeffer arbeitet seit 2018 an Filmen und Serien des Marvel Cinematic Universe (MCU). Sie schrieb an den Drehbüchern zu CAPTAIN MARVEL und BLACK WIDOW mit, blieb dabei aber noch unter dem Radar. Das änderte sich jedoch, als sie als Showrunnerin für WANDAVISION engagiert wurde und mit der clever-vielschichtigen Story drei Emmys gewann. Damit standen nicht nur Schaeffer alle Türen offen für ein weiteres originelles Projekt, sondern auch für die Figur Agatha Harkness aus WANDAVISION. Sie bekommt nun mit AGATHA ALL ALONG eine eigene Geschichte, weil «ich sie einfach nicht loswerden konnte», sagt Jac Schaeffer im Interview.
DEADLINE: Ich bin jetzt schon ein Fan der ersten Folgen von AGATHA ALL ALONG. Für mich ist die Serie eine Art ALICE IM WUNDERLAND Burton-Style mit einem Hauch DER HERR DER RINGE – DIE GEFÄHRTEN, nur mit Hexen und mehr Spaß. Was waren deine filmischen Vorbilder für die Serie?
JAC SCHAEFFER: (lacht) Ich liebe diese Charakterisierung. Das trifft es sehr. Es ist lustig, dass du ALICE IM WUNDERLAND erwähnst. Das lässt mich daran denken, dass auch ein bisschen von C.S. Lewis und den CHRONIKEN VON NARNIA in der Serie vorkommt. Ich meine, einer unserer großen Prüfsteine ist natürlich DER ZAUBERER VON OZ, und dann alles, was mit einer Hexe zu tun hat, von SCHNEEWITTCHEN über DER HEXENCLUB bis hin zu ZAUBERHAFTE SCHWESTERN, SUSPIRIA und sogar andere Horrorfilme wie DER EXORZIST und POLTERGEIST. Jede erdenkliche Art von gruseligem, unheimlichen Zeug, das Hexen, Geister und so etwas beinhaltet.
DEADLINE: Wann genau kam während WANDAVISION die Idee auf, für die Figur Agatha Harkness eine Spin-Off Serie zu entwickeln?
JAC SCHAEFFER: Als WANDAVISION herauskam, wurde ich gebeten, eine neue Serie für Marvel zu entwickeln. Und alles, was ich entwickelte, hatte auf die eine oder andere Weise mit Agatha zu tun. Ich konnte sie irgendwie nicht wirklich loswerden (lacht). Letztendlich war es Kevin Feige (*Präsident der Marvel Studios und CCO von Marvel Entertainment) der sagte, dass die Lösung vielleicht darin besteht, die neue Serie um Agatha herum aufzubauen. Es machte schon allein deshalb Sinn, weil wir erkannten, dass es so viel mehr Geschichte mit ihr zu erzählen gab, als wir bisher erzählen konnten.
DEADLINE: Mit WANDAVISION hast du die Hexen in die idyllischen Vorgärten gebracht, wie John Carpenter damals den Serienkiller mit HALLOWEEN. Wolltest du damit auch zeigen, dass das Böse mitten unter uns ist?
JAC SCHAEFFER: Du sprichst von der dunklen Seite der menschlichen Natur? Ja, auf jeden Fall. Ich habe eine Faszination für Kleinstädte. Ich liebe Stephen King und Filme wie DIE TRUMAN SHOW, die dieses idyllische Amerika an einem bestimmten Punkt brechen. Auch die Kultserie TWILIGHT ZONE spielte mit diesen Hinterhof-Sets, die irgendeine amerikanische Kleinstadt darstellten. Das kam einem von der Umgebung her vertraut vor, doch trotzdem war hier etwas seltsam. Die Dinge sind einfach beängstigender und aufregender, wenn es so aussieht, als wäre es nicht das wirkliche Leben. Es war eine erkennbare Fantasie des echten Lebens. Die doppelbödig-clevere, sarkastische Wendung zum Schluss offenbarte immer eine grundlegende Wahrheit über uns Menschen. Das war für mich der Clou. Mit Agatha wollte ich in eine ähnliche Richtung gehen.
DEADLINE: Wenn Frauen heute mit ihren besonderen Skills nach Macht streben, ist das emanzipatorisch. Früher wurden sie dafür als Hexen tituliert und verbrannt. Inwieweit spielte die geschichtliche Kontextualisierung eine Rolle in der Serie?
JAC SCHAEFFER: AGATHA ALL ALONG ist natürlich keine historisch akkurate Serie. Doch wir haben trotzdem viel recherchiert über die Geschichte der Verfolgung von Frauen und anderen marginalisierten Menschen, die als Hexen gebrandmarkt und diskriminiert wurden, weil sie anders waren. Das hat uns sehr beschäftigt. Die Art und Weise, wie wir das in die Serie einfliessen lassen, sieht man einerseits im Abspann, aber auch direkt in der Handlung. Denn viele der Bedrohungen, denen die Hexen in unserer Story ausgesetzt sind, sind Gefahren wie Ertrinken oder Verbrennen als Teil ihrer Prüfungen. Alle Hexen in unserer Geschichte haben harte Kanten. Sie sind defensiv und misstrauisch, weil sie durch die ständige Ausgrenzung und Verfolgung – auch innerhalb des eigenen Hexenclans – verletzt wurden und vereinsamt sind. Durch die Bildung dieses neuen Hexenzirkels werden diese Kanten aufgeweicht. Das war für mich der interessante Aspekt der Figuren.
DEADLINE: Du hast es schon vorweggenommen – deine Hexen sind ambivalente Figuren. Sie haben durchaus auch ihre guten Seiten. Warum war es dir wichtig, gegen das verstaubte Image der grundlegend bösen Hexe anzuschreiben?
JAC SCHAEFFER: Es war nicht mein primäres Ziel, die Vorstellung von einer bösen Hexe zu entkräften (lacht). Doch mir geht es beim Schreiben natürlich immer darum, vielschichtige Figuren zu erschaffen. Hier hatte ich sehr viele Möglichkeiten dazu, denn die Schwächen der Frauen sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Zudem ist es eine Herausforderung, eine Figur in den Mittelpunkt zu stellen, die eigentlich als Bösewicht kodiert ist. Diese Gruppe von Frauen ist böse, egoistisch, heldenhaft und mitfühlend zu gleichen Teilen – immer den verschiedenen Umständen entsprechend.
DEADLINE: Die Serie kommt sehr natürlich divers daher – LGBTQI+, POC – mit Figuren und Themen, die auch wirklich Sinn machen in der Handlung. Ist das ein Vorteil, wenn man eine Serie neu schreiben kann, eine komplett neue Welt zu erschaffen. Anders als wenn man auf eine Vorlage bauen muss und alle aufschreien, weil dies und das nicht stimmt?
JAC SCHAEFFER: Ja, es war wirklich sehr aufregend zu wissen, dass wir neue Charaktere einführen würden. Das ist ein ganz besonderes Gefühl, vor allem innerhalb des MCU. Ich habe an so vielen MCU-Filmen mitgearbeitet und ich war stets begeistert, an Figuren zu arbeiten, die bereits etabliert waren, und diese Arbeit fortzusetzen. Das war eine Ehre und ein Privileg. Aber bei AGATHA ALL ALONG hatte ich diese Freiheit, neue Figuren zu entwerfen und mit den richtigen Darsteller:innen zu besetzen. Die Idee, dass es diese Vielfalt in der Truppe gibt, passt einfach auch zu einer Studie über Hexen. Denn so wie diese damals ausgegrenzt und an den Rand gedrängt wurden, werden heute immer noch Menschen so behandelt, die irgendwie anders sind.
DEADLINE: Hast du eine Lieblingshexe aus einem Märchen und wenn ja, warum gerade diese?
JAC SCHAEFFER: Oh ja (lacht). Ich liebe DIE HEXEN VON EASTWICK, und besonders gut gefällt mir die Leistung von Cher in diesem Film. Sie spielt eine Künstlerin, trägt Overalls und ihre Stimme ist irgendwie tiefer. Sie hat hier so eine Unbekümmertheit an sich, die ich einfach bewundere. Aber auch Susan Sarandon und Michelle Pfeiffer sind so gut, und ihre Haare sind so toll (lacht). Ich finde den Film einfach grossartig – den Tonfall und die Gestaltung. Das war ein grosser visueller Einfluss für mich.
Interview geführt von Sarah Stutte
PREVIEW
AGATHA ALL ALONG
Agatha Harkness spielte in WANDAVISION die gutherzige Nachbarin von Wanda Maximoff, die im Laufe der Serie aber ihr wahres Hexengesicht zeigt. Um ihre Widersacherin ein- für allemal loszuwerden, belegt Wanda sie mit einem Zauber, der Agatha für immer in ihrer Rolle in Westview gefangen hält. In den ersten Folgen von AGATHA ALL ALONG kann sich die Hexe mithilfe eines Goth-Teenagers – von ihr einfach nur «Teen» genannt – von ihrem Fluch befreien. Ihre Macht hat sie aber verloren. Um diese zurückzuerlangen, will Agatha nochmals den legendären Pfad der Hexen gehen. Dafür muss sie aber erstmal einen neuen Hexenzirkel gründen, den nur mit diesem und einem von den dazugehörigen Hexen geträllerten Lied, öffnet sich das Tor zu diesem Weg. Die bunte Truppe an machtlosen, ausgestossenen Hexen, die heute als «Magische Steine»-Verkäuferinnen oder Wahrsagerinnen arbeiten, schliessen sich Agatha widerwillig an – doch bald schon bilden sie zusammen mit «Teen», der auch mit von der Partie ist, eine Einheit. Das ist auch bitter nötig, denn auf dem Hexenpfad warten allerlei bösartige Prüfungen auf die Gruppe. Nur Agatha will immer noch keine Teamplayerin sein, sondern lieber ihr eigenes Ding machen. Mit AGATHA ALL ALONG hat Jac Schaeffer eine unterhaltsame Spin-Off-Serie rund um eine spannende, vielfältige Figur geschaffen, die abermals von Kathryn Hahn mit grosser ironischer Hingabe verkörpert wird. Doch auch die anderen Figuren sind interessant angelegt, mit ihren Abgründen und überraschenden Gefühlen. Darüber hinaus ist das Setting düster-verspielt, die Effekte können sich sehen lassen und unter all dem Spass, den die Serie macht, liegt immer noch viel Menschlichkeit verborgen, die in einigen Momenten nachdenklich stimmt. (Sarah Stutte)
Wer WANDAVISION geliebt hat, wird auch diese Serie nicht verpassen wollen!
AGATHA ALL ALONG ist ab dem 19. September auf Disney+ hier zu sehen.