Von A24 kam zum Jahresende einer der besten Filme des Jahres in die Kinos, und zwar handelt es sich dabei um das Wrestling-Biopic THE IRON CLAW. Konkret geht es um die Wrestling-Ikonen namens „von Erichs“, vier Brüder, die alle hervorragend gespielt werden von Zac Efron, Jeremy Allen White, Harris Dickinson sowie Stanley Simons. Es geht um den Aufstieg und den Verfall einer Familie, deren Dreh- und Angelpunkt ein Sport ist, der pure Knochenarbeit bedeutet und dessen Show nur für die Zuschauer gilt, denn die körperlichen Schäden tragen allesamt seine Protagonisten.
Nachdem Fritz von Erich (Holt McCallany) in den 60ern selbst zum Wrestling-Star wurde, beschließt der Patriarch, die Geschichte seiner Familie komplett selbst zu schreiben, indem er in das Schicksal seiner Söhne eingreift und jedwede Entscheidungen für sie trifft. Der Film zeigt hier die unterschiedlichen Charaktere, die allesamt geradewegs dem Abgrund entgegenrollen. Zentrale Figur ist der von Efron gespielte Kevin, der sich auf dem besten Wege zum neuen Star des Sportgenres befindet. In seiner Heimat Texas ist er schon eine Ikone, nun möchte er auch Weltmeister im Schwergewicht werden. Doch sowohl Probleme in der Familie als auch Kontrahenten und Hürden von außen scheinen erst Kevin, dann seiner Familie im Weg zu stehen.
Besonders die erste Hälfte des Films ist brillant und gehört vermutlich zu den besten Film-Halbzeiten des Jahres 2023. Denn Autor und Regisseur Sean Durkin verlagert das Schicksal der von Erichs auf drei narrative Ebenen, die wie folgt aufgeschlüsselt werden können:
1.) Die Familie, das Offensichtliche. Familiengeschichten bieten per se die Essenz des Lebens. So gibt es in ihnen Liebe, Hass, Freude, Trauer, Leben und Tod. Genial erzählt Durkin die Entwicklung von vier glücklichen Jungs aus Texas, die doch eigentlich nur etwas Spaß haben wollen und so in den Fängen ihres Vaters, des Geschäfts und ihres Schicksals zerdrückt werden. Interessant ist hierbei vor allem die Vaterfigur, die auf autokratischer Ebene alle Entscheidungen für jedes Familienmitglied trifft. Von Gefühlen über Liebesentscheidungen bis hin zum Business. Der Vater sagt, der Vater bestimmt. Denn hierin sieht Fritz absolute Stärke. Bezeichnend ist der Titel des Films, deren Namensgebung in der ikonischen Wrestling-Pose des Familienoberhaupts liegt. Denn dieses hat nun einmal alles in seinen Krallen. Damit kämen wir nach der tragischen Familienstory zur zweiten Ebene.
2.) Die Krallen nämlich gehören hier nicht nur dem Vater, sondern symbolisieren über das Nationaltier des Weißkopfseeadlers auch die Nation. Vater Staat bestimmt über seine Kinder nach Belieben. Nicht offensichtlich, aber doch wesentlich im Plot, führen hier Entscheidungen auf politischer Ebene zu einem anderen Verlauf der Geschichte. Zur Geschichte der Nation (Familie) und ihrer Kinder. Dass als Gegner im Ring andere Wrestler mit Verkleidungen der Gegner auf weltpolitischer Ebene stehen (z. B. als Russen oder Araber verkleidete Männer), spricht Bände.
Die Verknüpfung zwischen der Regierung und Fritz ist kaum zu übersehen. Und jede Entscheidung, sobald sie feststeht, ist zu akzeptieren. Es ist Schicksal.
3.) Was uns zur dritten Ebene führt. Die Schicksalsebene.
Thematisiert durch den oft benannten „Fluch der Familie“ ist der Ausgang der Geschichte nahezu von Anfang an vorherbestimmt. Deterministisch kann es nur einen Ausweg geben bei der neoliberal-kapitalistischen Ausrichtung: wachsen oder krepieren. Indirekt wird der Film zu einem Aushängeschild für Freiheit, für Selbstbestimmung und für das Verlieren. Denn in einer Welt, in der das Verlieren nicht erlaubt ist, kann sich nichts entwickeln. Menschen sind nun einmal so lange Verlierer, bis sie lernen, aufzustehen und es noch einmal zu versuchen und dann vielleicht, aber auch nur vielleicht, besser zu machen.
Die zweite Hälfte des Films verliert sich etwas zu sehr in der ersten Ebene des Films und lässt die anderen Ebenen nur noch minimal zu. Nichtsdestotrotz hat dieser Film eine Qualität und vor allem Wucht, die ein Sportfilm mit Tiefgang braucht. Bereits zu Beginn wirkt der Film, als sei er inspiriert von THE RAGING BULL, und so haben sich alle Schauspieler im Film mindestens einen solchen Klassiker als Vorbild genommen. Denn die Körperlichkeit der Akteure ist echt. Es wirkt schmerzhaft im Ring, und das Problem der Protagonisten wird in diesem männerdominierten Viereck bei jeder Blessur mehr als nur deutlich.
Visuell gibt es einige interessante Entscheidungen, weil die Einbettung der Natur (der Film beginnt im Frühling und endet mit Bäumen, die keine Blätter mehr tragen) nebensächlich und dennoch genial wirkt, denn der Kampf des Menschen ist ständig ein Abbild des Naturzustands. Und dieser Kampf ist ein Kernelement des Patriarchats.
Die Lösung ist das Zivilisierte, der Raum zum Atmen, die völlige Freiheit in der Natur, und hierfür ist letztlich doch kein Platz, obwohl sich alle Protagonisten doch stets darin befinden. Im Ring des Lebens, doch unter den Krallen eines selbst ernannten Starken. So führt der der Kampf zwischen dem Naturzustand und dem Glück zu einem fatalen Aufgeben und Verlieren seiner Helden. (Volkan Isbert)
Eine Familie, die fällt …