Marcello Fonte wurde 1978 in Melito di Porto Salvo, genau an der Zehenspitze Süditaliens, geboren. Nach kleineren Schritten während der Kindheit in der Musik zieht er 1999 nach Rom, um am Theater zu arbeiten. Zunächst nicht aber als Künstler, sondern als Wächter. Er beginnt sich für die Schauspielerei zu interessieren und spielt erste, kleinere Rollen in verschiedenen Filmproduktionen. 2015 schreibt und spielt er in ASINO VOLA („Flieg, Esel!“) und führt gemeinsam mit Paolo Tripodi Regie. Es folgen Filmrollen von größerer Bedeutung, etwa für Leonardo di Costanzo und Daniele Luchetti. Mit der Inkarnation – kein Wort könnte es besser beschreiben – der Hauptfigur in Matteo Garrones DOGMAN gelingt ihm 2018 der große Durchbruch: Er gewinnt den Preis für den besten Hauptdarsteller in Cannes.
DEADLINE: DOGMAN basiert auf einer wahren Begebenheit. Inwieweit bildet der Film die realen Geschehnisse ab?
Marcello Fonte: Der Film wurde von einem realen Fall zwar inspiriert, aber wer eine detailgetreue Abbildung dessen erwartet, wird enttäuscht. Wir sind in eine ganz eigene Richtung gegangen.
DEADLINE: Matteo Garrone hatte bereits vor zehn Jahren begonnen, an DOGMAN zu arbeiten. Warst du bereits damals als Hauptdarsteller vorgesehen?
Marcello Fonte: Nein, nein, ursprünglich wollte Matteo Roberto Benigni haben. Damals war die Figur auch noch komödiantischer angelegt. Mehr im Stil eines Buster Keaton.
DEADLINE: Wie viel steckt von deiner eigenen Persönlichkeit in der Rolle?
Marcello Fonte: Etwa 30 Prozent, würde ich sagen. Ich habe mit Matteo sehr eng an der Entwicklung der Figur zusammengearbeitet.
DEADLINE: Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?
Marcello Fonte: Ich habe etwa drei Monate vor Drehbeginn mit den Vorbereitungen angefangen, habe mich mit dem Job eines Tierpflegers – hier im Speziellen Hunde – auseinandergesetzt und versucht, so viel wie möglich von der Persönlichkeit des Marcello im Film anzunehmen. Ich bin zum Bespiel zu einem Hundetrainer gegangen, um die Sprache der Hunde zu lernen, und habe tauchen gelernt. Ich bin zu den Orten Roms gegangen, wo wir drehen wollten, habe die Sonnenuntergänge und den Regen erlebt. Ich wollte das Leben der Hauptfigur verinnerlichen. Das alles war eine Gemeinschaftsarbeit, die Crew und die Darsteller haben schon früh mit den Vorbereitungen begonnen, um sich aufeinander einzustimmen. Wir haben einander zugehört, haben uns die Bälle sprichwörtlich zugespielt.
DEADLINE: Marcello in DOGMAN scheint ein zweigeteiltes Leben zu führen: Auf der einen Seite steht seine Liebe zu den Hunden und zu seiner Tochter, auf der anderen seine kriminelle Ader, der Drogenhandel und die Gewalt.
Marcello Fonte: Richtig. Es gibt in seinem Leben Weiß und Schwarz. Im Leben von jedem von uns gibt es beide Pole. Manchmal lebt man nach den Grundsätzen des einen, manchmal nach denen des anderen, je nach Lebenslage und Stimmung.
Seine Tochter gibt ihm die Möglichkeit, auch seine einfühlsame Seite zu leben, steht jedoch damit in ständigem Kontrast zu seinem Kontakt zur Unterwelt – dabei ist er auch Opfer der Geschehnisse, doch es gelingt ihm nicht, sich da rauszuhalten. Vielleicht fehlt ihm der Mut, vielleicht aber auch der Wille.
DEADLINE: DOGMAN ist vor allem ein Film über die Einsamkeit.
Marcello Fonte: Wenn eine Person das Gefühl hat, kaum noch etwas vom Leben zu haben, lässt sie sich treiben, lässt sich gehen und oft von negativen Einflüssen vereinnahmen. Der Ort, wo wir den Film gedreht haben, könnte überall sein. Unsere Geschichte spricht jeden an, jeder könnte durch bestimmte Umstände in diese Situationen kommen.
DEADLINE: Ist DOGMAN für dich ein typisch italienischer Film?
Marcello Fonte: Meiner Meinung nach spielt er nicht an einem festgesetzten Ort mit einer bestimmten Identität. Wir hätten ihn überall drehen können, auch wenn sehr präzise beschrieben war, in welchem Umfeld die einzelnen Szenen zu spielen hatten – doch diese Locations hätte man auch an anderen Plätzen finden können. Das emotionale Niveau des Films ist universell. Es gibt verschiedene, sehr präzise Persönlichkeiten in DOGMAN, die unterschiedliche Kategorien von Menschen in unserer Gesellschaft widerspiegeln.
DEADLINE: Hat die überaus positive Rezeption von DOGMAN verändert, in welchem Licht dich die Menschen sehen?
Marcello Fonte: Vor allem erleichtert der Erfolg das zukünftige Arbeiten. Man wird mehr geschätzt, es wird einem mehr Vertrauen entgegengebracht. Ich habe viele, auch sehr einfache Arbeiten in meinem bisherigen Leben verrichtet und stand immer in engem Kontakt mit den Menschen um mich herum. Ich war nie jemand, der sich von seiner Umgebung distanziert – auch jetzt nicht. Ich bin ein Autodidakt und habe so zur Schauspielerei gefunden – dafür gibt mir die Anerkennung Selbstsicherheit und Bestätigung. Es gibt viele Personen wie mich, die hart dafür kämpfen, ihren Traum vom Leben zu verwirklichen. Nun bin ich einer von denen, die dies zu schaffen scheinen, aber es gibt auch viele, die noch lange weiter kämpfen müssen. Wenn man immer weitermacht, kommt irgendwann der verdiente Lohn.
DEADLINE: Hast du sofort verstanden, dass DOGMAN ein so wichtiger Film für deine Karriere sein könnte?
Marcello Fonte: Schon während des Drehs bekommt man abgedrehte Szenen gezeigt oder jene, an denen man gerade arbeitet. Da sieht man sofort, dass da eine begabte Hand dran angelegt wurde. Matteo Garrone ist ein sehr talentierter Regisseur. Man sah den ersten Bildern schon an, dass der Film etwas Besonderes haben würde. Wichtig ist aber auch, einfach mit sich selbst zufrieden zu sein. Ich hatte das Gefühl, alles nach meinen Möglichkeiten für den Film getan zu haben. Ich habe meinen kleinen Beitrag geleistet, durch die Arbeit eines großen und talentierten Teams ist dann der Film daraus geworden, den es heute gibt.
Wir sind sogar schneller als erwartet mit dem Dreh fertig geworden. Matteo hat sich daraufhin direkt an den Schnitt gesetzt und hat ihn innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen. Er hat sehr intensiv daran gearbeitet, ohne zwischendurch Gedanken an ein anderes Projekt zu verschwenden. Vielleicht ist das das Erfolgsgeheimnis gewesen.
DEADLINE: Vielen Dank für das schöne Interview!
Interview geführt von Leonhard Elias Lemke