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BESESSEN

Sympathy for the Devil in Ms. Blair, Jörg Buttgereits „BESESSEN“

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Jörg Buttgereit bei der Premiere von BESESSEN am Theater in Dortmund (Foto: c. by Kay Pinno).

Liebe Videofreunde, willkommen zum Videoprogramm Ihrer Wahl! Nach NOSFERATU LEBT! serviert Jörg Buttgereit mit BESESSEN den ultimativen medialen Rundumschlag für Horrorfans auf der Theaterbühne in Dortmund. Autobiografisch arbeitet der Berliner Todesking die Obsession am Genrefilm mit all ihren Folgen auf Grundlage seiner eigenen Besessenheit mit William Friedkins Klassiker DER EXORZIST ab. Dabei zeichnet er ein nostalgisches wie komisches (!) Bild der Video-Ära, die der „Alles auf Fingerdruck verfügbar“-Generation Y(ouTube) allein schon wie ein Horrorszenario vorkommen dürfte: Kinofilme waren tatsächlich nur im Kino zu sehen! Keine TV-Ausstrahlungen, kein Pay-TV, keine Streaming-Portale, KEIN INTERNET!

Das Heimvideosystem VHS war zu Beginn der 80er-Jahre wie eine Erlösung für alle Filmfans. Davor konnten Filme nur in Form von Wiederaufführungen im Kino oder extremen Kurzfassungen auf 8-mm-Kopien noch mal erlebt werden.

Genau dieses Phänomen, zusammen mit dem verführerischen Reiz des Verbotenen, dem Tabubruch, dem pubertären Härtetest des Ekligen bei Horrorfilmen, sieht Buttgereit als Kernschmelze für die originale Generation V(ideo): Dieser höllische Engpass schuf eine unfassbare Filmwertschätzung, die zur ultimativen Symbiose zwischen Fan und Film wurde. Als Brandbeschleuniger half der hysterische Jugendschutz, dessen Verbote und Zensur nur das zuvor abgeschüttelt geglaubte Verfügbarkeitsproblem wiederherstellten. So steigerte sich die Obsession für den verbotenen Horrorfilm bei Jugendlichen in geradezu religiöse Dimensionen – der Horrorfilm wurde in Deutschland zum unsterblichen Märtyrer!

So gerät der lässige Videoabend anno 1986 in BESESSEN für Horror- und EXORZIST-Überfan Gerd (Ekkehard Freye) und seinen Kumpel Marian (Björn Gabriel) zu einer Wallfahrt in die herrlichen Abgründe des frühen Video-Fandoms, bei der die beiden Videofreaks als BILL & TED wie DIE EINSTEIGER im Fahrstuhl zur Hölle gegen den EXORZISTen, ROSEMARY’S BABY und DIE WIEGE DES BÖSEN antreten.

 

BESESSEN
Foto: c. by Birgit Hupfeld / Theater Dortmund

 

Grandios hangelt sich Buttgereit bei dieser blutig obszönen wie aberwitzigen (!!!) Achterbahnfahrt des Grauens zwischen urkomischer wie detailverliebter Fan-Huldigung und deutlich ambivalenter Medien- wie Glaubenskritik hindurch. Wie Ash in TANZ DER TEUFEL II darf das Publikum hysterisch besessen lachen, bis das Gelächter nur noch ein entsetzter Schmerzensschrei ist. Für den richtigen Terror im Parkett sorgt dabei Sarah Sandeh, die als Linda Blair die Bühne, die wie ein überdimensionaler Fernseher umrahmt ist, besteigt. In einem unfassbaren Dauerkraftakt zwischen besessen spritziger Teufelsdirne, desillusionierter Hollywood-Aktrice und kindlicher Unschuld wechselnd, schürt sie dämonisch erfolgreich hysterische Furcht und Schrecken, die selbst bei ihren Schauspielkollegen kaum mehr gespielt zu sein scheinen. Auch Buttgereit-Veteran Uwe Rohbeck (KANNIBALE & LIEBE, NOSFERATU LEBT!) erscheint diesmal als perfekt in Szene gesetztes, dämonisches Filmzitat, bei dem Robert de Niro teuflische Tränen vergießen dürfte.

 

Extrem dicht gepackt mit Motiven und Details weidet Buttgereits BESESSEN alle Nuancen des Horrorfandoms und der Faszination am realen wie fiktiven Grauen aus: Voyeurismus, Glaubensverirrung, Gewalt und seine Darstellung, Jugendschutz-Hysterie (MAMA, PAPA, ZOMBIE), Zensur, Horrorfilm-Hexenjagd, Kontakt zum und Faszination am realen Horror in allen Formen sowie obszöner Genre-Sexismus werden abgefeiert, aber auch wie das Kruzifix auf den Kopf gestellt! Schließlich wird selbst das Publikum Teil des besessenen Treibens in Form eines brillanten Kniefalls vor HENRY – PORTRAIT OF A SERIAL KILLER. Jörg Buttgereits BESESSEN ist gleichzeitig die Heiligsprechung und Schlachtung der Horrorfilm-Kuh zum teuflischen Vergnügen der Zuschauer – was für ein ferpektes Verbrechen!

 

Nachdem die ersten Aufführungen von BESESSEN wieder so rasch ausverkauft waren, sind jetzt zusätzliche Dezember-Vorstellungen angesetzt. Weitere Termine sind wie immer in Planung. Karten und weitere Infos gibt es unter www.theaterdo.de.

(Kay Pinno)

 

BESESSEN
Foto: c. by Birgit Hupfeld / Theater Dortmund

 

Der Teufel im Detail – Jörg Buttgereit IM Interview zu BESESSEN

 

DEADLINE: Hallo Jörg. Danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast. In deinem neuen Stück hast du dir DER EXORZIST als Thema ausgewählt. Wieso das?

 

JÖRG BUTTGEREIT: In der Vorschau steht ja, dass es von DER EXORZIST inspiriert ist. Tatsächlich ist es auch ein bisschen autobiografisch, weil ich DER EXORZIST als Kind unbedingt sehen wollte. Selbst in der Grundschule, 1973, da war ich so knapp zehn Jahre alt, wollte ich diesen Film unbedingt sehen. Aber ich hatte lediglich darüber gehört. Der Film lief ja da noch nicht mal. Ich hatte irgendwie aus dem Fernsehen, aus den Nachrichten vernommen, dass es in Amerika einen Film gibt, in dem die Leute Fehlgeburten im Kino kriegen und schreiend rausrennen, und dass Exorzismen bei Leuten durchgeführt werden müssen, die aus dem Film kommen. Ich hatte natürlich keine Ahnung, was ein Exorzismus ist, mit zehn Jahren. Und ich habe mir immer vorgestellt, dass der Exorzist dann was Böses ist, aber der ist ja der Gute eigentlich. So fing das irgendwie an. Meine Lehrerin hat schon damals immer gesagt: „Was soll das denn mit diesem Film? Warum willst du denn diesen Mist sehen? Außerdem bist du dafür viel zu jung.“ Und dem war ja auch so. Ich hab den Film dann erst sehr viel später gesehen.

In dem Stück geht es dann um einen jungen Mann, der in den 80ern zu Hause sitzt und einen Videoabend macht mit seinem Freund, der eigentlich Angst vor Horrorfilmen hat und der sich jetzt mit ihm DER EXORZIST ansehen soll.

Der Videoabend wird halt jetzt mit vom Publikum besucht, und eine Zuschauerin wird von dem Geist von Linda Blair, die damals ja erst zwölf Jahre alt war, heimgesucht. Der Videonerd ist natürlich hocherfreut, dass er endlich mal Linda Blair trifft. Sein Kumpel ist aber schockiert, weil der auch etwas religiös verkorkst aufgewachsen ist und auch mal einen echten Exorzismus erlebt hat und wirklich Angst davor hat.

Es geht auch um Nerdtum und meine Besessenheit und die Besessenheit von Friedkin, der so mein Alter Ego ist, eben zu diesem Film.

 

 

DEADLINE: Nach NOSFERATU LEBT! schlägst du jetzt eine weitere Brücke in Richtung Filmhistorie: Nach der Wiege des Genrekinos in Deutschland kommt jetzt die Entwicklung des Horrorkinos im Heimkino?

 

JB: Oh ja. Da sieht man auch Reliquien auf der Bühne. Also wirklich die alte 120-Meter-Fassung auf 8 mm von DER EXORZIST. Da erzählt der Nerd dann eben leidenschaftlich, dass er den Film erstmals in dieser Kurzfassung gesehen hat und ihn dann auch noch mit einer längeren Fassung fusioniert hat und er dann ganz froh war, ihn dann auch in 52 Minuten gesehen zu haben. Das ist ja auch ein Versuch zu zeigen, wie schwer es früher war, an Filme ranzukommen. Diese Verfügbarkeit im digitalen Zeitalter ist ja auch so ein Reizüberfluss. Dass heißt, diese Besessenheit, dieses Fantum, was unsere Generation noch kennt, weil es sich einfach so aufgebaut hat, weil einfach so ein Fetisch dadurch entstanden ist, das wird eine Generation von heute gar nicht mehr nachvollziehen können, weil für die immer alles verfügbar ist, und damit hat es natürlich überhaupt nicht so einen Wert. Und so eine Besessenheit kann gar nicht entstehen, wenn alles verfügbar ist. Es ist einfach weniger wert dann.