KOREA, SO GROSS UND NAH WIE NIE
Das 14th Korean Film Festival in Frankfurt. Eine Rückschau von Dominic Saxl.
Ende Oktober fand das Korean Film Festival Frankfurt (KFFF) bereits zum 14. Mal statt. Für uns war es aber eine Premiere: Die DEADLINE war erstmals als Medienpartner mit an Bord.
Hinter dem Festival steht der 2012 gegründete Verein Project K, der das ursprünglich einmal an der Uni beheimatete Event im Laufe der Jahre zum größten koreanischen Filmfest Deutschlands gemacht hat. In diesem Jahr erstreckte es sich über sechs Tage, an denen insgesamt 30 Langfilme vorgeführt wurden, darunter zahlreiche Deutschland- oder Europapremieren und sogar zwei internationale Premieren. Mehr als 3.300 Besucher:innen konnten in sechs Kinosälen in der Frankfurter Innenstadt einen fein kuratierten Querschnitt durch das Kino Koreas genießen – von aktuellen Blockbustern über Indie-Filme bis hin zu einer kleinen Retrospektive mit zwei Werken des Ausnahmeregisseurs Park Chan-wook, THE HANDMAIDEN und DECISION TO LEAVE.
Der inhaltliche Fokus des Festivals lag dabei auf dem Aufeinanderprallen und dem Zusammenspiel von „Grenzen und Freiheit“, die nicht nur in ausgewählten Filmbeiträgen erörtert wurden, sondern auch im Rahmen des großen kulturellen Begleitprogramms. Dieses trägt seit den Anfangstagen prägend zum Festivalerlebnis bei und wurde 2025 zum zweiten Mal mit einem ganztägigen, eigenständigen „Korea Culture Day“ in der jugend-kultur-kirche sankt peter präsentiert, der nicht zuletzt ein vielfältiges Bühnenprogramm unter anderem mit Taekwondo- und Tanzvorführungen, Paneldiskussionen sowie verschiedene Workshops umfasste und weitere 2.000 Gäste anzog.
Ebenfalls zum zweiten Mal wurde der KFFF Newcomer Award verliehen, der in diesem Jahr als Publikumspreis gestaltet war: Fünf Filme aus dem Programm konnten mit Schulnoten bewertet werden – das Rennen machte schließlich das sich außergewöhnlich lebensnah anfühlende Indie-Drama 3670 von Park Joon-ho, das sich voller Empathie dem Schicksal eines jungen queeren Mannes annimmt, der als Geflüchteter aus Nordkorea versucht, in Seoul seinen Platz zu finden.
Daneben zeigte das Filmfest aber auch eine ganze Reihe von Beiträgen, die aus Genre-Sicht interessant sind und die wir kurz vorstellen wollen. Wie immer werden nur wenige davon hierzulande in nächster Zeit regulär verfügbar sein. Ein weiterer Grund, für 2026 einen Besuch des Korean Film Festival Frankfurt einzuplanen!
HARBIN (Min-ho Woo / Südkorea 2024 / 108 Min.)

Der Eröffnungsfilm präsentierte sich als bildgewaltiges Historienepos: Als Japan Korea 1907 zu seiner De-facto-Kolonie macht, organisiert sich ein Teil der Bevölkerung in der „Korean Independence Army“ und leistet der Besatzungsmacht erbittert Widerstand. Bei einer blutigen Schlacht, die zu Beginn der Handlung ausnehmend hart zelebriert wird, gerät der Kommandant der japanischen Streitkräfte in Gefangenschaft und bittet um die Möglichkeit, sich „ehrenhaft“ selbst umbringen zu dürfen. Doch der Anführer der koreanischen Kämpfer, Ahn Jung-geun, erinnert ihn daran, dass er Frau und Kinder hat, und setzt ihn deshalb frei. Was der Japaner ihm dadurch verdenkt, dass er bei nächster Gelegenheit eine große Zahl koreanischer Soldaten abschlachten lässt und fortan verbissen Jagd auf Ahn Jung macht. Dieser und seine Kameraden fassen derweil den Plan, ein Attentat auf den ehemaligen japanischen Premierminister Itō Hirobumi zu verüben, wenn dieser im Oktober 1909 die unter russischer Verwaltung stehende Stadt Harbin besucht, um die offizielle Annexion Koreas zu verkünden … Wenngleich der Erzählung manchmal ein wenig die Puste ausgeht und weder Tempo noch Intensität des Anfangsdrittels gehalten werden, zudem das Ausmaß an Pathos und Patriotismus bisweilen anstrengt, weiß der Film insgesamt zu überzeugen. Insbesondere, da man dem Plot zur Abwechslung auch ohne Kenntnisse der koreanischen Geschichte relativ gut folgen kann.
THE FIN (Park Sye-young / Südkorea, Deutschland, Katar 2025 / 85 Min.)

Vom Regisseur des furchtbar anstrengenden experimentellen Matratzen-Horrorfilms THE FIFTH THORAIC VERTEBRA (KFFF 2023) kommt dieser dystopische Sci-Fi-Film, der eine traditionellere Narrationsstruktur nutzt und unter anderem bereits in Locarno, Hamburg und Sitges gezeigt wurde. Er spielt in einem postapokalyptischen Korea, in dem durch Kontakt mit Giftmüll und Radioaktivität mutierte Menschen, sogenannte Omegas, als Arbeitssklaven ausgebeutet werden. Viele von ihnen sind Kriminelle oder sonst wie „Unerwünschte“, die vor die Mauern der hermetisch abgeschirmten Städte deportiert wurden und dort Meer und Küstenstreifen säubern sollen. Während sie nach einer flüchtigen Omega sucht, die sich illegal innerhalb der Mauern aufhalten soll, beginnt eine Regierungsangestellte, die offizielle Erzählung von der Gefahr anzuzweifeln, die angeblich von den Mutanten ausgeht. Schließlich stößt sie auf ein schockierendes Geheimnis in ihrer eigenen Familiengeschichte … THE FIN funktioniert als starkes, hintergründiges Statement gegen Rassismus, Ausgrenzung und Intoleranz. Etwas weniger gut funktioniert er als mitreißender Genrefilm, da er an ernsthaften Pacing-Problemen leidet und diese nicht durch eine ausreichend hohe Zahl spannender oder gar spektakulärer Momente auszugleichen weiß. Dennoch sehenswert.
THE INFORMANT (Kim Seok / Südkorea 2025 / 103 Min.)

Seine Europapremiere feierte beim KFFF diese wilde Krimikomödie, deren Humor stellenweise glatt an DIE NACKTE KANONE erinnert – obwohl der Film insgesamt doch einen Hauch ernsthafter und vor allem härter ausfällt. Im Zentrum der Handlung steht der Polizei-Informant Jo Tae-bong (Jo Bok-rae, THE VEIL), der im Zusammenspiel mit dem reichlich unfähig agierenden Detective Oh Nam-hyuk (Heo Sung-tae, HUNT) eine Schmugglerbande hochnehmen will. Als seine Tarnung auffliegt, will Letzterer ihn retten, tritt jedoch eine falsche Tür ein – und die beiden finden sich im Visier einer ganz anderen, wesentlich gefährlicheren Bande wieder, die sich in der Wirtschaftskriminalität betätigt und beste Verbindungen bis in höchste Polizeikreise hat. Ihr Boss erweist sich als hochgradig gestört, blutrünstig und rachsüchtig, was unsere Helden ein ums andere Mal um ihr Leben fürchten lässt … THE INFORMANT gestaltet sich als atemlose Verwechslungs- und Verfolgungshatz, die mit wilden Storywendungen und großartig komisch inszenierten Actionszenen hervorragend unterhält, während sie sich immer wieder scharfzüngig über Genre- und Geschlechterrollen-Klischees lustig macht.
HITMAN 2 (Choi Won-sub / Südkorea 2025 / 114 Min.)

Die nächste Krimikomödie. Ebenfalls unterhaltsam, aber nicht so vielschichtig und überdreht wie INFORMANT: Diese Fortsetzung eines mir unbekannten Films von 2020 handelt von einem legendären ehemaligen Auftragskiller, der seinen Job an den Nagel gehängt hat und nun erfolgreicher Webtoon-Zeichner ist. Oder: war. Denn wie sich herausstellt, war seine Comicserie „Assassination Agent Jun“ nur deshalb so beliebt, weil sie seine eigene gewalttätige Vergangenheit authentisch aufgearbeitet hat. Die hat er inzwischen auserzählt, und die zweite Staffel seines Webtoons fällt mit ihren zunehmend fantastisch (und klischeehaft) geprägten Erzählungen beim Publikum radikal durch. Mit einiger Mühe verfasst er eine neue Crime-Story, die sich stärker an der Realität orientiert – und muss erleben, dass finstere Kriminelle sie als Vorlage für eine echte Tat verwenden. Bald wird er verdächtigt, diese nicht nur inspiriert zu haben, sondern sie sogar zu verantworten. Verzweifelt versucht er, die wahren Schuldigen zu enttarnen … HITMAN 2 ist überlang und mitunter etwas kitschig, wurde aber dennoch einer der zehn erfolgreichsten Filme des Jahres in Korea. Neben seinem charmanten Helden liegt das sicherlich auch an der wirklich gelungenen Einbindung animierter Sequenzen in die insgesamt allemal amüsante Handlung.
NOISE (Kim Soo-jin / Südkorea 2024 / 93 Min.)

Viel Lärm um wenig: Der koreanische NOISE macht auf J-Horror, verbleibt dabei allerdings überwiegend in Klischees. Er erzählt die Geschichte einer schwerhörigen jungen Frau, die in einem düsteren Apartmenthaus mit noch düstererer Historie nach ihrer verschwundenen Schwester sucht, stattdessen jedoch rachsüchtige Geister findet. Das ist filmisch einigermaßen edel umgesetzt, baut ein paar interessante Gimmicks ein und sorgt durchaus für einen gewissen Creep-Faktor. Wirkliche Neuigkeiten sind dagegen Fehlanzeige. Wer klassische Spukgeschichten, finstere Atmosphäre und effektive Jump-Scares schätzt, wird mit dem teilweise stark an DARK WATER erinnernden Film vermutlich trotzdem recht glücklich werden: Kompetent umgesetzt ist er nämlich allemal und bietet genau das, was das Genre auszeichnet. Mehr aber leider auch nicht.
A NORMAL FAMILY (Hur Jin-ho / Südkorea 2023 / 116 Min.)

Die bereits vierte Verfilmung des Bestsellerromans HET DINER des niederländischen Schriftstellers Herman Koch, in Deutschland 2010 unter dem Titel ANGERICHTET erschienen. Die US-Version namens THE DINNER von 2017 prunkt mit Darsteller:innen wie Richard Gere, Rebecca Hall und Chloë Sevigny, wird vom Autor jedoch erklärtermaßen gehasst. Seine Meinung zur koreanischen Fassung ist nicht überliefert – Fans abgründiger Thriller mit schmerzhafter moralischer Einfärbung dürfte diese jedoch unbedingt überzeugen. Im Mittelpunkt stehen zwei sehr unterschiedliche Brüder, der eine skrupelloser Anwalt, der andere Kinderarzt, die sich auf einmal mit einem Skandal konfrontiert sehen, in den ihre Kinder verwickelt sind. Bald stellt sich die Frage, wie weit sie zu gehen bereit sind, um ihre Familien vor Unheil zu bewahren. Und inwieweit ihre jeweiligen moralischen Überzeugungen wasserfest sind. Die hervorragend gespielte Erzählung gestaltet sich bitter, mitunter geradezu zynisch – und wartet mit einem brutalen Ende auf, das reichlich Diskussionsstoff bietet.
YADANG: THE SNITCH (Hwang Byeong-gug / Südkorea 2025 / 122 Min.)

YADANG ist der zweiterfolgreichste einheimische Film des Jahres in Korea (Platz 1 wird von der albern-kitschigen Komödie MY DAUGHTER IS A ZOMBIE belegt) – kein Wunder, handelt es sich doch um einen gestylten Blockbuster mit starken Bildern und vor allem spektakulären Actionsequenzen. Überraschend allerdings, dass er stellenweise echte Härten bietet, sowohl in Sachen Gewalt als auch Emotion, wenn etwa eine lieb gewonnene Figur aus heiterem Himmel getötet wird. Die Handlung dreht sich um den langjährigen, höchst erfolgreichen Undercover-Drogen-Spitzel Lee Kang-soo (Kang Ha-neul, SQUID GAME), der die Zusammenarbeit mit Staatsanwalt Goo Gwan-hee perfektioniert hat: Während Letzterer die ihm von Lee vermittelten Informationen nutzt, um große Fälle zu lösen und die Karriereleiter emporzuklettern, hat Lee Gelegenheit, sich jede Menge Diebesgut und -geld in seine Taschen zu schaufeln. Als sie sich jedoch an eine brisante Ermittlung gegen den Sohn eines mächtigen Politikers machen und dabei in Konflikt mit dem unerbittlichen Drogenfahnder Oh Sang-jae (Park Hae-joon, EMERGENCY DECLARATION) geraten, stellt sich heraus, dass Goo bereit ist, für den Erfolg über Leichen zu gehen. Im Zweifelsfall auch über die von Lee … Neben seiner spannend und rasant erzählten, wendungsreichen Geschichte und hochwertigen Produktion überzeugt der Film auch durch sein scharfes Anprangern von Korruption in den koreanischen Behörden.
ONLY GOD KNOWS EVERYTHING (Paek Seung-hwan / Südkorea 2025 / 116 Min.)

Seit sich eine mysteriöse Sekte in der Stadt niedergelassen hat, sind mehrere Einwohner spurlos verschwunden. Ein frischgebackener katholischer Priester, dessen Mutter vor 13 Jahren ebenfalls verschwand, und eine junge Kommissarin ermitteln – und stoßen auf finstere Wahrheiten. Der Film beginnt zwar enorm atmosphärisch, sein donnernder Score kann jedoch nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier sowohl von der Kameraarbeit als auch den Darstellerleistungen her eher um ein flaches TV-Drama handelt. Ebenso lässt das Skript Spannung vermissen und bietet viel zu viele Worte bei viel zu wenigen Taten. Hinzu kommt dann noch ein Übermaß an christlichen Indoktrinationsversuchen. Eine internationale Premiere, aber leider keine beeindruckende.
HOLY NIGHT: DEMON HUNTERS (Lim Dae-hee / Südkorea 2025 / 92 Min.)

Das genaue Gegenprogramm zu ONLY GOD …: laut, simpel, actionorientiert. Wie sollte es auch anders sein, die Hauptrolle übernimmt schließlich kein Geringerer als Ma Dong-seok aka Don Lee (THE ROUNDUP), der hier den schlagkräftigen Leiter des kleinen Dämonenjägerteams „Holy Night“ spielt. Gestaltet sich das Geschehen in der ersten Hälfte noch eindeutig als Komödie, bei der es statt Jump-Scares „Jump-Laughs“ zu erleben gibt, kippt die Stimmung irgendwann in Richtung ernsthaft dargebotenen Dämonen-Horrors. Durch den Einsatz der Bilder verschiedenster Überwachungskameras entsteht zeitweise sogar leichtes PARANORMAL ACTIVITY-Flair, die Hauptattraktion ist aber natürlich Don Lee im Tauziehen gegen die Hölle, Don Lee, der per Vorschlaghammer Feuerwellen durch Häuserwände rollen lässt, Don Lee, der dem Teufel eins auf die Nase gibt. Klar, das Ganze gerät ziemlich trashig, speziell die VFX fallen teils unterirdisch aus. Die Maskeneffekte dagegen sind insgesamt gelungen – und der Film als Ganzes ist enorm unterhaltsam. (Dominic Saxl)
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