Die Homepage des LUFF wechselt jährlich das Design, hat das wilde Neon der Edition des vergangenen Jahres gegen ein reduzierteres Schwarz und Weiß getauscht. Klickt man auf „Info“, empfangen einen diese Worte:
This year, LUFF is: 4 evenings of noise, 5 days of cinema, 93 films, 29 performances, 5 workshops, 4 radio programmes, 1 exhibition and 1 sound installation. It’s also 75 people who have thought it up for a whole year, 88 artists who travel to perform and more than 150 volunteers who give up their time. After 22 years, this strange event is still standing – it’s a miracle!
2022 hatte ich das Vergnügen, beim LUFF Teil der Feature-Film-Jury zu sein, und beim Lesen des letzten Satzes nicke ich schmunzelnd. Strange, ja, passt. Julien Bodivit, einen der künstlerischen Leiter des LUFFs, lernte ich 2015 auf dem MiFFF kennen. Einem ebenfalls strangen, wirklich ultrakleinen Filmfest auf Madeira. Tiefenentspannt und wohltemperiert, und der damalige Gewinnerfilm, CRUMBS, zählt immer noch zu meinen absoluten Lieblingen. „Strange“ klebt wie ein Gütesiegel auf diesen Wegkreuzungen, könnte man sagen. Nun also die Schweiz.
Lausanne liegt im französischsprachigen Teil, direkt am Genfer See. Eine schöne Stadt, von den ich in den vier Tagen, die ich dort verbrachte, nicht viel Touristisches zu sehen bekam. Warum auch? Das LUFF stopft dir die Sinne voll. Sightseeing wäre obsolet. Fünf Tage, vier Locations, und immer wieder die verdammte Frage: Schau nun das oder doch lieber das an? Musik trifft Kunst trifft Film, das Programm ist üppig und wird dem oft strapazierten „underground“ in vollen Zügen gerecht. Ich kann schlechten Witzen kaum widerstehen, und darum sei mir dieser verziehen: Auch der Zug, in dem ich in Lausanne ankam, war voll und hatte, wie es sich gehört, Verspätung. Also wurde ich direkt vom Bahnhof aus zum Kino und der ersten Jurysichtung chauffiert, mitsamt Koffer, gereizt, verschwitzt – und dann empfing mich das LUFF mit charmant offenen Armen.
Underground bedeutet oft, nicht die finanziellen Möglichkeiten zu haben, die Mainstreamigeres auch von Förderungsseite her genießt. Das LUFF hat viele private Supporter und bittet offen um Unterstützung: Wer Artists Unterschlupf gewährt, erhält Akkredition, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Gewichtung ist klar – möglichst viel der Finanzierung soll in die Kunst wandern, damit ein besonderes Festival auf die Beine gestellt werden kann. Mit diesem Wissen im Kopf fackelt man nicht lang und stimmt einer privaten Unterbringung zu. So landete ich in einer Frauen-WG, lernte fantastische Menschen kennen, fühlte mich wieder wie mit Anfang 20 und trank Kaffee, der zu stark und perfekt war.
Das LUFF bespielt vier Venues, Hauptspielstätte ist das Casino de Montbenon. Direkt am See gelegen, drumrum ein Park. Vor dem Eingang des Casinos, das ebenerdig mit einem Kino und darunter einer Club-Arena aufwartet, stehen Buden, ein Wohnwagen, Bänke, ein, zwei Zelte. Es hat etwas von einer Sideshow vor dem imposanten Bau, spricht sofort an. Aus einer Art Kapelle, die keine Front mehr hat, dringt rotes Licht nach außen. Innen sitzen Menschen auf ausgelegten Perserteppichen vor flimmernden alten Fernsehgeräten. Aus dem größeren Zelt wummert Bass. Es nieselt, egal.
Das Publikum ist jung, alternativ. Die Filme passend, von zum Teil sehr jungen Regisseurinnen, die auch vor Ort sind, um ihre feministisch geprägten Werke vorzustellen. Das Programm ist divers, ohne sich damit aufzudrängen. Angenehm fordernd. Ein wilder Mix, der Genres von Mockumentary über feine Art bis hin zu wirklich mutigem Splatter umspannt. Wir werden viel diskutieren, Steve Reverand, Ivana Kvesic und ich, und dann JETHICA den Preis für den Feature Film verleihen.
Pete Ohs‘ dunkle Komödie ist ein ungewöhnlicher, frischer Film, der – knapp gefasst – das Thema Stalking aufgreift. Nur, dass es diesmal, sagen wir, weiter geht als üblich. Sehr gutes Storytelling, Kameraführung, die die Weite der kargen Landschaft zur Bühne des auf wenige Personen reduzierten, bösen Dramas macht. JETHICA ist ein perfekter Independent-Haunting-Film. Auf mehreren Ebenen. Chapeau.
Eine Special Mention ging an die intensiv spielende June Carryl für ihre Darstellung der Mutter in BREATHING HAPPY, einem Mind-Blower über Drogensucht, Zerstörung von Familie und den Weg da raus. Ein beeindruckend persönlicher, im Gedächtnis bleibender Film. Trip, Leiden, Türen, die sich öffnen (können) und Backflashs vereint zu Hoffnung. Bitter und süß.
Und mit dem Kopf schon voll ging es weiter, bis spät in die Nächte hinein. Schauend, lauschend, ob im Zelt zu Klangperformances, die Heidnisches und Elektro vermengten, bis hin zu queerem New Yorker Hardcore der DELI GIRLS. Im weiträumigen Untergeschoss des Casinos, wo zuvor die Londoner Künstlerin On Yee Lo auf erstaunliche Art Küchengeräte zu Instrumenten werden ließ.
Diese Mischung ist exemplarisch für das, was dieses besondere Festival auszeichnet. Film. Musik. Underground.
Die 22. Edition, die in der kommenden Woche beginnt, trägt einen Untertitel.
LUFF 2023: A Trip Through a Strange Dimension Full of Exquisite Dissonances
Eröffnen wird THE BELGIAN WAVE, schließen wird APOCALYPSE CLOWN. Paranormal-Mysteriöses und ein Gruppe abgehalfterter Clowns nach dem Blackout.
Dazwischen gibt es viel zu entdecken. Musikalisches drumrum, elektronisch, tribal, weird. Und bevor die Adjektive überhand nehmen: Das Programm zu durchstöbern lohnt. Ein Besuch lohnt noch mehr.
(Germaine Paulus)
„For all followers of avant-garde and innovative sonic and cinematographic discoveries.“