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M. NIGHT SHYAMALAN IM INTERVIEW ZU KNOCK AT CABIN

Nachdem M. Night Shyamalan seine Fans zuletzt mit OLD überwiegend enttäuschte, feiert mit KNOCK AT THE CABIN nun sein neuestes Werk Premiere. Mit der DEADLINE sprach er über die Unterschiede zum gleichnamigen Roman von Paul Tremblay, das Ende der Welt und Fehler der Hollywood-Industrie.

 

DEADLINE: Dein Film basiert ja auf dem Buch von Paul Tremblay, unterscheidet sich jedoch in einem Punkt stark von der Vorlage. Weshalb hast du diese Änderung vorgenommen?

 

Night Shyamalan: KNOCK AT THE CABIN wurde als Projekt an mich herangetragen, welches ich zunächst ausschließlich produzieren sollte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das Buch noch nicht gelesen. Ich habe daher als Erstes das Drehbuch gelesen, welches den Roman adaptierte. Die Prämisse für mich in dem Film ist, dass es um eine Familie geht, die eine Entscheidung zu treffen hat. Ich habe dann sofort gesagt, dass du die Familie auf keinen Fall in die Situation bringen darfst, gar keine Entscheidung fällen zu müssen. Der Vorfall, der im Buch geschieht, hat nichts mit dem aus dem Film zu tun. Es fühlte sich für mich einfach nicht richtig an, ich konnte mich nicht dazu überwinden, diesen Punkt vorlagengetreu umzusetzen. Die Prämisse ist einfach so emotional, so kraftvoll. Für mich war klar, dass die Familie auf jeden Fall eine Antwort geben muss, egal wie diese ausfallen mag. Deshalb hatte ich meine Teilnahme an KNOCK AT THE CABIN zunächst abgesagt. In der Folge kam das Projekt aus mir nicht bekannten Gründen nicht zustande, bis die Inhaber der Rechte am Buch irgendwann auf mich zukamen und sagten, dass sie meine Auffassungen absolut teilten. Da meinte ich dann, dass ich den Film liebend gerne machen würde, da die Geschichte eine der besondersten Prämissen aller Zeiten hat. KNOCK AT THE CABIN ist ein tragischer Film, eine intensive und düstere Erfahrung – vollkommen unabhängig davon, was mit den jeweiligen Figuren passiert. Als ich mich an das Drehbuch machte, rief ich Paul [Tremblay] an und erzählte ihm, was ich aus seiner Prämisse gemacht hatte. Die Zuschauer aus ihrer Komfortzone zu bringen ist etwas, das mich als Filmemacher antreibt. Ich glaube auch, dass das mit ein Grund ist, weshalb sich Menschen noch immer meine Filme anschauen: Sie wissen nicht, was bei mir passieren wird.

 

DEADLINE: Inwieweit beeinflusst es dich als Filmemacher, dass dein Publikum in deinen Filmen noch immer stets große inhaltliche Überraschungen erwartet?

 

Shyamalan: Das Tolle an meinem Verhältnis zu meinem Publikum ist, dass es auf Basis eines Films entstand, der von mir selbst geschrieben wurde. Wenn ich zu ihm hingegen über eine Buchadaption eine Verbindung aufgebaut hätte, wäre dies nicht so vorteilhaft gewesen. Dann hätte sich die Zuneigung nicht nur auf meine persönliche Arbeit bezogen, sondern auch auf die Vorlage selbst. Aber so kann ich sicher sein, dass die Zuschauer mir vertrauen und meine Art, Filme zu machen, schätzen, was mich darin bestärkt, weiterhin meinen Weg zu gehen und mich in der Welt des Unbekannten zu bewegen.

German Premiere of KNOCK AT THE CABIN in attendance of M. Night Shyamalan at the ASTOR Film Lounge im ARRI in Munich, Germany, Jan. 27 2023
©2023 Universal Pictures/Kurt Krieger

DEADLINE: Du lieferst in einer düsteren Zeit einen sehr düsteren Film. Hast du den Eindruck, dass es für so eine Art Film derzeit eine besondere Nachfrage gibt?

Shyamalan: Ich habe im Laufe der Zeit viel darüber nachgedacht. Das Genre, in dem ich mich bewege, ist deshalb so beliebt, da es uns dabei hilft, mit unseren Ängsten umzugehen. Genauso wie ein Albtraum dazu dient, traurige Erlebnisse zu verarbeiten. Denn warum sollte die Biologie dies sonst vorsehen? Solche Erlebnisse helfen dir einfach dabei, Dinge zu verarbeiten und in der Realität bessere Entscheidungen zu treffen. Genauso ist es beim Genrefilm: Man muss sich seinen Ängsten stellen, hat aber die Gewissheit, dass man dennoch heil aus der Sache herauskommt. Und diese Erfahrung, eine Angst durchgestanden zu haben, kann sehr befreiend wirken. Ich selbst wiederum versuche, Dinge immer positiv zu sehen, selbst all die schlimmen Sachen, die derzeit um uns herum so passieren. Ich sehe nicht nur den Krieg in der Ukraine oder die Unruhen im Iran, sondern auch das kleine Mädchen im Iran, das in jungen Jahren die Kraft besitzt, für seine Rechte zu kämpfen. Es wird immer Dunkelheit und Verlust geben, aber stets auch Positives. Deshalb funktioniert Genrekino auch so gut für mich. Ich bin ein superpositiver Mensch, aber auch zuweilen sentimental. Genrekino balanciert das dann wieder für mich aus, da es immer Gutes und Schlechtes gibt.

 

DEADLINE: Wie wichtig war es für dich, dass das Mädchen im Film zwei Väter hat?

Shyamalan: Es mag ein wenig nach Hollywood klingen, aber ich muss sagen, dass es für mich im positiven Sinne keine Rolle gespielt hat. Denn das ist ja nicht der Kern der Story, sondern hat mit dieser gar nichts zu tun. Das ist auch das Tolle an KNOCK AT THE CABIN, dass es das erste Mal der Fall ist, dass ein Kind mit zwei Vätern in einem großen Film vorkommt, ohne dass dies noch mal auf eine besondere Weise thematisiert wird, sondern es ist einfach ganz selbstverständlich. Mich hat die Liebe des Paars zueinander tief berührt, ohne dass ich dir dafür einen bestimmten Grund nennen könnte. Vielleicht, weil die beiden Darsteller das so toll gemacht haben? Aber auch schon beim Schreiben des Films habe ich mich mit ihrer Liebe sehr verbunden gefühlt. Im Buch spielt die Liebe des Paares keine so große Rolle, deshalb war es mir wichtig, dass im Film deutlich wird, wie sehr die beiden einander nahestehen und wie tief ihre emotionale Verbindung ist. Ich hoffe sehr, dass das Publikum dies auch so wahrnimmt und der Punkt nicht polarisiert, denn darauf ist KNOCK AT THE CABIN nun wirklich nicht ausgerichtet.

 

DEADLINE: Weshalb neigt man deiner Meinung nach dazu, sich eher für eine bestimmte Person zu opfern als für die gesamte Welt?

 

Shyamalan: Vielleicht ist es einfach Egoismus. Die Definition, was man selbst ist, vergrößert sich, wenn man eine Familie, Kinder hat. Dann wird aus einem Ich ein Wir. Wenn du dann etwas für die Allgemeinheit tun sollst, was deinen Lieben jedoch vielleicht schadet, funktioniert das nicht. Dies funktioniert erst, wenn man das Opfer für jemanden aus seinem nächsten Umfeld bringt. Für meine jüngste Tochter würde ich zum Beispiel alles machen, oder auch für ihre Schwestern, damit sie alle ein großartiges Leben führen können.

 

Director and co-writer M. Night Shyamalan on the set of his film KNOCK AT THE CABIN

DEADLINE: Eine Entscheidung zwischen der Welt und der eigenen Familie zu treffen ist echt nicht so einfach. Möchtest du mit deinem Film daher auch sagen, dass man ganz allgemein die Welt nicht retten kann, ohne auch persönliche Opfer zu bringen?

Shyamalan: Biologisch sind wir darauf programmiert, stets unsere eigene Familie zu schützen. Das ist optimal für die Erhaltung unserer Art, dass der biologische Instinkt so funktioniert. Auf der anderen Seite führt das Verhalten, stets nur an sich zu denken und immer nur mehr von allem haben zu wollen, irgendwann zwangsläufig zum Ende der Welt. Vor 10.000 Jahren wurden die Geschichten der Religionen erfunden. Das Individuum ist der Gott, ein Abbild Gottes. Deshalb fingen wir irgendwann an, Dinge zu tun, die vielleicht nicht von Anfang an für uns vorgesehen waren. Wir sind jetzt viele Tausend Jahre auf dem Planeten. Aber wenn wir nicht dazu bereit sein sollten, einige Dinge umzustellen, werden wir keine weiteren 100 Jahre überleben. Insofern müssten wir eigentlich unmittelbar versuchen, das Ruder herumzureißen und das allgemeine Narrativ zu verändern.

 

DEADLINE: Suspense ist ja ein Mittel, welches du in praktisch allen deinen Filmen nutzt. Hast du seit den 1990er-Jahren etwas an deinem Stil geändert?

 

Shyamalan: Eine Sache, die sich im Laufe der letzten Jahre geändert hat, ist der Besuch von Premieren. Aufgrund von Corona gab es hier eine lange Pause. Wenn ich nun eine Premiere besuche und interviewt werde, ist es oft nicht mehr die „New York Post“, die mit mir spricht, sondern Influencer, die vielleicht 17 oder 20 Jahre alt sind. Sie sagen dann, dass sie erst kürzlich einen Film wie SIGNS gesehen hätten, also zum Teil alte Filme, die entstanden, als sie gerade geboren wurden. Ich habe den Eindruck, dass sie fühlen, mit welcher Integrität sich um den Film jeweils gekümmert wurde. Die Lieblingsfilme meiner Kinder sind beispielsweise JURASSIC PARK oder DER WEISSE HAI – dieselben Filme, die ich liebte. Ich bin der Überzeugung, dass auch sie erkennen, wenn ein Film wirklich mit Hingabe und Leidenschaft realisiert wurde und nicht nur als buntes, berechnendes Zuckerl für das Publikum. Was mir ansonsten noch einfällt: Ein Film besteht ja aus verschiedenen Akten. Im ersten erfährst du in der Regel die Prämisse des Films. Mein Eindruck ist, dass das im Laufe der Zeit bei mir etwas kürzer geworden ist, dass ich mir für die Einführung in die Geschichte früher noch mehr Zeit gelassen habe. Die Geduld der Menschen, länger abzuwarten, bis der Film so richtig losgeht, hat abgenommen. Deshalb habe ich den Beginn von KNOCK AT THE CABIN angepasst.

DEADLINE: Wie hast du entschieden, einige Rollen mit Stars zu besetzen?

Shyamalan: Inzwischen mache ich Filme stets auf eine bestimmte Weise. Es sind eher kleinere Werke, keine großen Blockbuster. Wer Bock darauf hat, mich auf diesem Gig zu begleiten, ist erst einmal grundsätzlich herzlich eingeladen teilzunehmen. Ich sage dann, dass ich keine riesige Gage versprechen kann, dafür aber eine wundervolle künstlerische Erfahrung. Das Schöne an der Low-Budget-Herangehensweise ist, dass die Leute mit mehr Motivation dabei sind, da sie wissen, dass ich selbst erst Geld verdiene, wenn der Film auch wirklich refinanziert ist. Die Aufmerksamkeit gilt nicht irgendwelchen persönlichen Spleens, sondern voll und ganz dem Projekt. Wer sich damit identifizieren kann, für den steht die Tür offen. Zu mir kommen daher zwei Arten von Leuten: Es gibt diejenigen, die voll an das glauben, was ich sage, und sich voll der Sache hingeben, zum Beispiel Dave Bautista. Er könnte sicherlich noch ganz andere Sachen machen, aber ihm hast du angemerkt, dass er auf eine Möglichkeit wie diesen Film sein ganzes Leben gewartet hat. Er war dazu bereit, alles zu riskieren, und er weiß, was er im Leben will. Die anderen sind Newcomer. Bei KNOCK AT THE CABIN sind viele Menschen dabei, die ihre ersten Schritte im Business wagen und nun die Chance haben, sich auf einer größeren Bühne zu zeigen. Die Composerin unseres Films zum Beispiel kommt aus Island und hat vorher nur etwas Kleines für das Fernsehen gemacht.

 

DEADLINE: Die Story von KNOCK AT THE CABIN klingt zunächst wie eine wilde Verschwörungstheorie. Wie schwer ist es in der heutigen Zeit, zwischen Fake News und echten Nachrichten zu unterscheiden?

 

Shyamalan: Das ist das Geniale an unserer Prämisse, dass es tatsächlich sein könnte, dass sich da einfach nur vier Personen zusammengefunden haben, die an irgendeinen schrägen Kram glauben. Die Situation im Film könnte daher auch in der Realität passieren. Ich bin mir sicher: Wenn man lange genug suchen würde, würde man auch mindestens vier Personen finden, die Frösche für Götter halten. Da gibt es echt keine Grenzen. Es ist eine interessante Zeit, um zu beobachten, wie einfach Menschen sich derzeit verlieren und sich deshalb von den merkwürdigsten Dingen vereinnahmen lassen. Es ist eine schwierige und sich radikalisierende Zeit, und das nimmt KNOCK AT THE CABIN auch ein wenig humoristisch auf.

DEADLINE: Hast du manchmal die Sorge, dass der Tag des Jüngsten Gerichts unabwendbar ist?

 

Shyamalan: Auf jeden Fall ist die Uhr am Ticken. Einer der größten Punkte ist, dass sich die Dinge immer schneller verändern. Hat es früher 25 Jahre gedauert, bis sich etwas grundlegend verändert hat, sorgt heute unter anderem die technische Entwicklung dafür, dass große Umwälzungen nur noch wenige Jahre in Anspruch nehmen. Die Leute haben oftmals gar nicht mehr die Möglichkeit, sich so richtig auf neue Entwicklungen einzustellen, da in dem Moment, wo die Gewöhnung anfängt, schon wieder die nächste Umwälzung im Anmarsch ist. Auf der anderen Seite ermöglicht es die immer schnellere Entwicklung auch, schneller auf Missverhältnisse zu reagieren, als es früher vielleicht der Fall war. Ich verliere nicht meinen Optimismus, dass wir die Dinge noch vor Ablauf unserer Zeit entscheidend ändern können, auch, da die Technik immer wieder neue Dinge hervorbringen kann, die helfen können. Meine Kinder haben eine ganz andere Art, über die Dinge nachzudenken, aber selbst bei meinen drei Töchtern kann ich massive Unterschiede in der Wahrnehmung der aktuellen Situation wahrnehmen. Die Älteste ist kämpferisch und engagiert sich beispielsweise bei Protestmärschen, während meine Jüngste die Fragen noch nicht mal versteht, die den anderen Sorgen bereiten.

 

DEADLINE: Auch im Kino gibt es in den letzten Jahren massive Umwälzungen. Viele befürchten: in eine schlechte Richtung, die sich nicht mehr umkehren lässt. Wie siehst du das?

Shyamalan: Ich kämpfe, kämpfe und kämpfe gegen die Dinge, die in letzter Zeit so passieren. Es gab vor allem zwei Sachen: Es gab Kooperationen, welche manche Studios in eine Zwangslage versetzten, den Zuschauern eine bestimmte Form des Schauens zu propagieren und dass es in Zukunft nichts anderes mehr geben werde. Deren Meinung nach haben die Leute in Zukunft nur noch Netflix und sonst nichts. Es ist wie eine Religion, die einen bestimmten Weg eingeschlagen hat und für nichts anderes mehr zugänglich ist. Das wiederum traf mit der Pandemie zusammen, welche eine extreme Individualität erzwang, weshalb sich die Entwicklung wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung anfühlte. Ich habe seitdem immer versucht, dagegen anzubrüllen und zu betonen, dass der Besuch eines Kinotheaters eine ganz andere Kunstform ist als ein Film im Stream. Das ist der Königsweg, einen Film zu schauen: zusammen in einem großen Theater, im Dunkeln mit anderen Leuten, mit der besten Musikqualität und ohne die Möglichkeit zu multitasken. Du hast das Zugeständnis gemacht, extra Geld dafür zu bezahlen, um außerhalb deines Zuhauses einen Film zu sehen. Du bist bereit, dich vollkommen auf den Film einzulassen. Einen Film im Kino zu sehen ist einfach die beste Form des Sehens, und Kino ist für mich die größte Kunstform, da hier alle anderen Künste, die es gibt, miteinander vereint werden. Insofern war meiner Meinung nach die Industrie in den letzten drei Jahren dabei, bewusst Selbstmord zu begehen, es aber Mord zu nennen.

DEADLINE: Und dann kam Tom Cruise und rettete die Welt?

 

Shyamalan: Tom ist auf jeden Fall jemand, der sich nichts sagen und sich vor allem nicht benutzen lässt. Menschen wie Tom, ich oder auch Quentin Tarantino werden gar nicht erst gefragt, was wir wollen. Vielmehr unternimmt man den Versuch, uns direkt in ein System zu zwängen, welches wir nicht wollen. Wir sagen da aber nur: „Wenn ihr Streaming toll findet, dann erzählt mit euren eigenen Autoren eure Geschichten. Wir machen da nicht mit! Lasst uns lieber in Schönheit im Kino sterben!“ Die Studios setzen alles daran, die Kultur der Kinotheater zu zerstören, aber zumindest an uns beißen sie sich hoffnungslos die Zähne aus. Insbesondere Warner Bros. haben ihr Glück versucht, dafür aber auch eine umso größere Pleite kassiert. Inzwischen haben sie ihre Lektion gelernt.

 

DEADLINE: Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Interview geführt von Heiko Thiele

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