Regie: Drew Goddard, Steven S. DeKnight, Phil Abraham, Brad Turner u.a. / USA 2015 / ca. 780 Min.
Darsteller: Charlie Cox, Deborah Ann Woll, Elden Henson, Rosario Dawson, Vincent D’Onofrio, Vondie Curtis-Hall
Produktion: Kati Johnston, Steven S. DeKnight, Alan Fine, Drew Goddard, Stan Lee, Jeph Loeb, Joe Quesada
Start: 10.04.2014
Den 10. April haben sich Marvel-Fans schon vor einer Weile dick im Kalender angestrichen, denn dann erscheint auf dem Streamingdienst Netflix auf einen Schlag die komplette erste Staffel von MARVEL’S DAREDEVIL. Wir haben die ersten fünf der dreizehn Folgen gesehen und sprechen die folgende Empfehlung aus: Stellt die Energydrinks kühl, es wird eine lange Nacht!
Die Erfolgswelle der Marvel Studios rollt unaufhaltsam weiter. Nach der erfolgreichen Expansion aufs Fernsehen mit den AGENTS OF S.H.I.E.L.D. und dem THE FIRST AVENGER-Spin-off AGENT CARTER folgt nun mit der Produktion einer Serie in Kooperation mit dem Streamingservice Netflix der nächste logische Schritt. Und tatsächlich ist DAREDEVIL nicht einfach nur mehr vom selben auf einem anderen Kanal, sondern schlägt eine gänzlich andere Richtung ein, als man es von den ansonsten eher farbenfrohen Produkten des Comicgiganten gewohnt ist. War zuletzt James Gunns GUARDIANS OF THE GALAXY noch eine farbenfrohe Achterbahnfahrt, ist DAREDEVIL in allen Belangen düster, kompromisslos und brutal.
Dass ausgerechnet dem „Man without Fear“ die Ehre zuteilwurde, den neuen Zweig des expandierenden Marvel Cinematic Universe zu eröffnen, hat schon bei der ersten Ankündigung viel Staub aufgewirbelt, was nicht zuletzt daran gelegen hat, dass Mark Steven Johnsons erster Versuch, den blinden Superhelden auf die Leinwand zu bringen, alles andere als einen guten Ruf genießt – selbst Hauptdarsteller Ben Affleck hat sich im Zuge der Verkündung seiner Besetzung als Batman in Zack Snyders kommendem BATMAN V SUPERMAN – DAWN OF JUSTICE mittlerweile deutlich davon distanziert. Sorgsam portionierte Informationshäppchen ließen jedoch schnell darauf schließen, dass man sich dieser Probleme auch im Hause Marvel durchaus bewusst ist und dieses Mal alles besser werden soll. Wenn man nun von den vorab gezeigten fünf Folgen auf den Rest der Staffel schließen kann, ist dieses Vorhaben auf geradezu beeindruckende Weise gelungen.
Um den platten Vergleich zu bemühen, könnte man anführen, dass die von Drew Goddard (CABIN IN THE WOODS) entwickelte und unter Showrunner Steven S. DeKnight (SPARTACUS) produzierte Serie um den blinden Anwalt Matt Murdock, der nachts als maskierter Vigilant die Unterwelt im New Yorker Bezirk Hell’s Kitchen aufmischt, am ehesten mit Christopher Nolans BATMAN-Trilogie vergleichbar wäre, und das ist sicherlich nicht falsch. „Dark and gritty“, wie man so schön sagt, um bodenständigen Realismus bemüht, komplex erzählt, exzellent besetzt und zentriert um einen Helden, der eigentlich gar keiner ist. Denn ähnlich wie der dunkle Ritter kann sich auch Murdock nicht auf Superkräfte verlassen, sondern ist das Resultat seines eigenen Trainings. Als Kind bei einem Unfall erblindet, hat er mit den Jahren nicht nur seine verbleibenden Sinne geschärft, sondern sich auch einen ziemlich effizienten Kampfstil zugelegt, den DAREDEVIL in langen Einstellungen ausstellt. So ist einer der zahlreichen Höhepunkte eine mehrminütige, ungebrochene Kamerafahrt, in der sich Murdock durch ein Versteck des russischen Mobs prügelt, die sich in Sachen Choreografie, Intensität und Körpereinsatz in keinem Moment hinter HAYWIRE oder THE RAID zu verstecken braucht.
Fast ebenso bemerkenswert ist, wie DAREDEVIL den narrativen Spagat vollbringt, Origin-Story und Exposition dermaßen kunstvoll zu verweben, dass Uninitiierte ebenso wie mit dem Stoff Vertraute schnell auf denselben Stand gebracht sind, ohne dass dies für eine der Parteien mit übermäßigen Redundanzen oder gar Langeweile verbunden wäre. Hier adaptiert Marvel im Wesentlichen seine patentierte Erfolgsformel, lotet dabei jedoch die Möglichkeiten aus, die sich bieten, wenn nicht alles Wichtige in maximal einer halben Stunde erzählt sein muss. So nimmt sich die Serie stattdessen zwei Folgen Zeit, um die Hintergründe ebenso auszuleuchten, wie sie ihre Figuren in präzisen Schritten für das große Spiel in Stellung bringt. Das Ergebnis ist mehr ein komplexes, urbanes Crime-Drama, als dass man hier noch wirklich von einer um sich selbst kreisenden Superheldengeschichte reden könnte.