Darren Aronofsky hat eine ganz schöne Geheimniskrämerei aus seinem neuesten Film MOTHER! gemacht. Die Produktion hat er weitestgehend geheim gehalten, und selbst der erste Teaser/Trailer zeigte keine Bilder, nur Audio, die Geschichte blieb weitestgehend unbekannt. Bei einem Regisseur wie Aronofsky, der Kritiker wie Publikum mit PI, REQUIEM FOR A DREAM, THE WRESTLER oder BLACK SWAN zum Großteil begeistern konnte, schraubt das die Erwartungen in nahezu unermessliche Höhen. Und dann macht der gebürtige New Yorker das, was man von einem echten Künstler erwarten könnte/sollte – das Unerwartete.
Die Frage, worum es bei MOTHER! geht, ist mindestens genauso komplex wie eine eindeutige Bewertung für den Film zu finden. Ein Versuch: In der Synopsis heißt es, dass es um einen (namenlosen) Dichter (Javier Bardem) und seine (ebenfalls namenlose) Ehefrau (Jennifer Lawrence) geht, die sich in die Abgeschiedenheit eines viktorianischen Landhauses zurückgezogen haben. Dort versucht er, seine Schreibblockade zu überwinden, während sie das Haus einrichtet, Essen kocht, wäscht – und dabei zunehmend von albtraumhaften Eindrücken geplagt wird. Das ist oberflächlich betrachtet – und zumindest auf der narrativen Ebene – augenscheinlich richtig. Doch als plötzlich mit einem Fremden, gespielt von Ed Harris, und später seiner Ehefrau (Michelle Pfeiffer) überraschender Besuch vor der Tür steht, merkt nicht nur sie, dass etwas nicht stimmt. Auch der Zuschauer beginnt zu realisieren, dass er immer weiter in eine Mischung aus Arthouse-Mindfuck, Thriller und Drama hineingerät. Eingenommen ist man ja schon von der wieder mal auf den Punkt gebrachten Inszenierung sowie der Darstellung aller Figuren auf höchstem Niveau. Neben der fantastisch diabolischen Michelle Pfeiffer sei vor allem Jennifer Lawrence erwähnt, die die meiste Laufzeit über zu sehen ist und den Film mit einer einnehmenden Welt an Emotionen trägt. Die Kamera verfolgt ihre Figur nahezu die gesamte Laufzeit – die Zuschauer sehen entweder ihr Gesicht oder per Überschulter-Perspektive das, was sie sieht. Somit ist das Publikum untrennlich mit ihr und ihren Gedanken sowie Befindlichkeiten verbunden. Eingenommen von diesen direkten Emotionen, von ihrer Unschuld und dem Unverständnis für das, was alles um sie herum passiert, wird der Zuseher mitgerissen, geschluckt, zerkaut und wieder ausgespuckt.
Aronofsky nimmt das Publikum nicht an der Hand, sondern überlässt es den Eindrücken und vor allem der eigenen Interpretation des Gesehenen. Oder besser: des Erlebten. MOTHER! ist ein audiovisueller Rausch, ein Trip. Aber ein anstrengender, der sich leider nie ganz zwischen Arthouse und Narrative entscheiden kann oder will. Zudem ist der Weg zum sehr vorhersehbaren (narrativen) Ende nicht nur erschöpfend, sondern auch zäh und sperrig. Und genau daran werden sich die Geister bei Aronofskys siebter Regiearbeit scheiden. Gottverdrossenheit, Verlustängste, der Überlebenskampf von Mutter Natur, Schöpfung, Geburt, Leben, Tod – all das sind, oder können zumindest, Themen von MOTHER! sein. Ist das Kunst oder kann das weg? Für die einen ist das Kunst, für die anderen kann das weg – und beide liegen richtig. Oder falsch. Will der Drehbuchautor und Regisseur das Publikum spalten, erreicht er das spielend. MOTHER! ist kein Film für den Mainstream-Gucker oder den Gelegenheits-Kinobesucher.
Eine spannende und interessante Geschichte, das versucht das Drehbuch zumindest immer wieder mal ankurbeln zu wollen. Doch dann verliert es sich in Bilder- und Sound-Design-Exzessen, die durchweg für extremes Unbehagen sorgen. Diese Intensität, die besonders gegen Ende das Ruder übernimmt, ist auch Kino, ist auch Kunst. Sie führt jedoch nirgendwo hin. Es gibt keine (befriedigende) Antwort. Es gibt ein vermeintliches „Ende“ der Handlung, doch darum geht es eigentlich nicht bzw. nur vordergründig. Es geht um die Frage, was das Ganze soll. Und da ist MOTHER! ganz besonders und auch besonders gut – ein ideales Stück Film für den Deutsch- oder Philosophie-Leistungskurs, ein Paradebeispiel für Polarisation. Echtes Arthouse-Publikum könnte die Rahmenhandlung stören, die immer wieder bremst und lediglich Eye-Candy sowie Pseudospannung bringt, die für die Interpretation weniger von Bedeutung sind.
So werden einige MOTHER! als Kunstwerk verehren, während sich andere wohl darüber ärgern, dass Aronofsky trotz aller Intensität zu vage in seiner Aussage bleibt und mit Pseudohandlung langweilt. Beide Seiten verdienen volles Verständnis. Das schafft nur wahre Kunst. Unterhaltend ist das Ganze aber nur bedingt. (Manuel Magno)
Mother! polarisiert