Ridley Scott präsentiert uns mit NAPOLEON bereits seinen nächsten Historienfilm, nur knapp zwei Jahre nach THE LAST DUEL. Doch für diejenigen, die 2021 vielleicht leichte Langeweile empfanden, ist diese 158-minütige Materialschlacht keineswegs ermüdend. Ganz im Gegenteil, der Film rast durch 30 Jahre Zeitgeschichte und stellt den früheren General und späteren Kaiser der Franzosen sowie seine entscheidenden Schlachten in den Mittelpunkt. Wir werden Zeugen des Aufstiegs und Falls von Napoleon Bonaparte, eines aus einfachen Verhältnissen stammenden, aber stolzen Korsaren.
Die Handlung beginnt im Jahr 1789, dem ersten Jahr der Französischen Revolution. Die Royalisten verlieren die Macht über Frankreich, das nun von den Jakobinern um Robespierre (Ian McNeice) regiert wird. Napoleon (Joaquin Phoenix), ein unsicherer Charakter, aber mit großem Ehrgeiz, gewinnt seine erste wichtige Schlacht um den Hafen von Toulon und wird zum General befördert.
In dieser Zeit lernt er im privaten Umfeld der neuen Machthaber die Liebe seines Lebens kennen. Josephine (Vanessa Kirby) ist verwitwet und bringt zwei Kinder mit in die sprunghafte Beziehung zu Napoleon. Trotz einiger Differenzen wird geheiratet, kurz bevor sich Napoleon auf den Weg zum nächsten Feldzug macht. Durch seine Erfolge und taktisches (wenn nicht gar opportunistisches) Geschick wird er erst Konsul, später gar zum Kaiser der Franzosen. Zu Hause läuft es nicht so rund, denn Josephine erweist sich als nicht ganz so vertrauenswürdig wie von Napoleon erwartet.
Da dies keine Geschichtsstunde werden soll, können die restlichen zwei Stunden Spielzeit auch kürzer zusammengefasst werden. Auf der einen Seite werden etliche Schlachten in ihrer ganzen grausamen Pracht und mit einem unverwundbaren Napoleon mittendrin gezeigt, auf der anderen Seite der emotional verletzliche Ehemann, der im trauten Heim höchstens mal mit Essen wirft. Die Versuche, einen Thronfolger mit Josephine zu zeugen, scheitern. Die blutjunge Marie-Louise, Tochter des Kaisers von Österreich, kommt da nicht ganz zufällig zur genau richtigen Zeit
Von da an geht es so langsam bergab mit ihm. Nach einem verlustreichen Russlandfeldzug wird er ins Exil nach Elba verbannt, wo er es aber nicht lange aushält. Nach seiner Rückkehr und der legendären Schlacht von Waterloo wird er erneut ins Exil verwiesen, dieses Mal auf die wesentlich weiter entfernte Hochseeinsel St. Helena. Ohne Josephine und sein Heer fehlen ihm allerdings die beiden wichtigsten Elemente im Leben.
Ridley Scott hat die Kostümschlacht voll und ganz auf Joaquin Phoenix zugeschnitten. Die Nebenrollen sind nebensächlich, bis auf die von Vanessa Kirby. Auch gehen einige Figuren im Rausch der Gefechte gänzlich verloren, wahrscheinlich sind auch die Schicksale der Kinder und des Bruders von Napoleon im Schnittraum entfernt worden. Phoenix porträtiert den Feldherrn durchgängig als trotziges Kind, dem das Spielzeug weggenommen wurde. Dazu kommt der immer sauertöpfische und unzufriedene Gesichtsausdruck, den auch Til Schweiger sehr gut beherrscht. Es wäre sehr interessant geworden, wenn auch noch andere Facetten des sagenumwobenen Feldherrn gezeigt worden wären. Vielleicht mag er bei den nächsten Oscar-Verleihungen wieder prämiert werden, im Gegensatz zu seinem Joker vermag sein Napoleon aber leider nicht gänzlich zu überzeugen. Schade ist auch, dass die deutsche Nachwuchshoffnung Jannis Niewöhner als Liebhaber von Josephine vollends stumm bleibt. Dafür dürfen sich demnächst Kunden von Apple-TV auf den vierstündigen Director´s Cut freuen, der hoffentlich noch einige Handlungsstränge nachliefert. (Rainer Bachmann)
„Frankreich … Armee … Josephine“
Auch damit könnte der Inhalt gut zusammengefasst werden.