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OPERATION WHITE CHRISTMAS-REVIEW UND INTERVIEWS

Regie: Flo Lackner / Österreich 2023 / 116 Min.

Besetzung: Rauand Taleb, Yvonne Yung Hee Bormann, Tim Wilde, Roland Düringer, Tim Seyfi, Simon Hatzl, Julia Rosa Peer, Dany Sigel, Franz Buchrieser, Petra Morzé, Charles Rettinghaus, Andreas Vitásek

Produktion: Thomas Hroch, Gerald Podgornig

Vertrieb: Nameless/EYK Media

Start: 01.2025

Ein Liebesfilm mit Bazooka

Mitte Nachmittag, es dämmert bereits. Gestern war der kürzeste Tag des Jahres. Der Blick aus dem Bürofenster fällt auf den Garten. Kein Schnee. Nur noch zwei Tage bis Weihnachten. Wieder kein Schnee. Aber die Hoffnung bleibt. Im Briefkasten war ein Vorabexemplar des 4K-UHD-Mediabooks von OPERATION WHITE CHRISTMAS. Ein Omen? Man kann weiße Weihnachten nicht erzwingen, aber vielleicht kann man mit diesem Film ein bisschen nachhelfen, dem Guten zum Sieg verhelfen.

Dass es diesen Film überhaupt gibt, dass er doch in die Kinos kam, dass er jetzt im Abspielgerät liegt und das farbkräftige, gestochen scharfe Bild auf dem Bürofernseher zu sehen ist … das ist allein schon ein Sieg des Guten. Der erste (relativ) große Kinofilm des österreichischen Regisseurs Flo Lackner hatte alles andere als einfache Produktionsbedingungen. Produzenten und Förderstellen, die erst mühsam überzeugt werden mussten, Dreharbeiten mit diversen Coronapandemieeinschränkungen, die Startverschiebung, weil die Kinos geschlossen waren und sich nach ihrer Wiedereröffnung die amerikanischen Blockbuster gegenseitig im Weg standen, ein ursprünglich russischer Präsident auf Staatsbesuch, der nach dem Einmarsch in der Ukraine in eine kasachische Präsidentin geändert werden musste … Gedreht von Jänner bis März 2021 und im selben Jahr fertiggestellt, dauerte es bis zum Sommer 2023, bis OPERATION WHITE CHRISTMAS in Österreich ins Kino kam.

Regisseur Flo Lackner am Set

Man kennt das aus der Filmgeschichte, schwierige Produktionsbedingungen ergeben in der Regel schlechte Filme. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine dieser Ausnahmen ist APOCALYPSE NOW. Und nachdem Flo Lackner in seinem Film Francis Ford Coppolas Antikriegswahnsinn zitiert, passt es gut, dass sich auch sein Film in diese Riege – schwierige Umstände, gutes Ergebnis – einreiht. Dem Film sieht man auch nicht an, dass nicht alles ideal lief. Im Gegenteil. Gedreht wurde mit einem moderaten Budget von 1,4 Millionen Euro. Aber wie schon in seinen vorangegangenen Filmen, zuletzt PLANET USA im Jahr 2013, merkt man nicht auf den ersten Blick, dass er über kein Hollywood-Actionfilm-Budget verfügte. Bis zu OPERATION WHITE CHRISTMAS drehte Lackner quasi ohne Geld, mit 1,4 Millionen war also Großes zu erwarten. Und man wurde nicht enttäuscht.

Die Geschichte von Videothekenbesitzer Enis (Rauand Taleb, 4 BLOCKS) beginnt klein. Seine Videothek hat Schulden, eine Schließung scheint unvermeidlich. Doch zum Glück hat seine beste Freundin Domino (Yvonne Yung Hee Bormann) im Darknet den Kontakt von Geschäftsmann Bob (der österreichische Kabarettstar Roland Düringer) gefunden. Der ist bereit, die Schulden von Enis zu bezahlen, aber nur, wenn er dafür einen Auftrag ausführt. Dieser ist gleich ein paar Nummern zu groß für den liebenswerten, aber nicht besonders lebenstüchtigen Enis.

Es geht in dem Film – und man darf auf keinen Fall zu viel verraten – also um den Staatsbesuch der kasachischen Präsidentin, der verhindert werden soll, mit Bazooka, Skinheads, Explosionen und einem wilden Bären. Und man darf sich fragen, was das alles mit den weißen Weihnachten des Titels zu tun hat. So viel sei verraten: viel!

Wie uns Tim Seyfi, der Enis’ Bruder spielt, der als Polizist einer Spezialeinheit für den Schutz der Präsidentin zuständig ist und daher zum Gegenspieler seines Bruders wird, im Interview am letzten Drehtag verraten hat: OPERATION WHITE CHRISTMAS ist (auch) ein Liebesfilm. Ein Film über alte und neue Freunde, über den Zusammenhalt in der Familie, über Weihnachten. An diesem letzten Drehtag im März 2021 trafen wir im Foyer des Hotels Sandwirth in Klagenfurt – in der Heimatstadt des Regisseurs wurde ein Großteil des Films gedreht – auch noch Hauptdarsteller Rauand Taleb. Beide erzählen uns von den Dreharbeiten, warum sie bereit waren, in dieser vergleichsweise kleinen Produktion in den kalten Kärntner Winternächten zu drehen, und warum sie sofort wieder bereit wären, mit Flo Lackner zu arbeiten.

Jetzt, fast vier Jahre nach der letzten Klappe, liegt es also da, das Mediabook mit vier Discs (UHD, Blu-ray, Bonus-Blu-ray, Soundtrack), vier Covervarianten und einem 36-seitigen Booklet mit Texten und Interviews von Wolfgang Brunner. Flo Lackner liebt das amerikanische Actionkino der 80er- und 90er-Jahre. Das merkt man an all seinen Filmen, nicht zuletzt auch am im besten Sinne zitierwütigen OPERATION WHITE CHRISTMAS. Aber mindestens genauso liebt er DVDs, Blu-rays, Videotheken und – darf vermutet werden – dieses wunderschöne Mediabook, dessen Bonusmaterial (327 Minuten!) unter anderem ein von Lackner selbst gestaltetes Making-of (mindestens genauso unterhaltsam wie der Film!) beinhaltet. Nicht nur ein Liebesfilm, auch ein Film eines Filmliebhabers, der alles, was er macht, ein bisschen auch für sich selbst macht, weil er genau so einen Film in seinem kleinen Kinosaal im Keller seines Hauses sehen will. (Christian Zechner)

 

Und während es draußen schon fast völlig dunkel ist, fallen die ersten Flocken …

 

 

Interview Tim Seyfi

„Es ist ein Actionfilm, wir machen ja kein Kammerspiel“

Tim Seyfi über die Erfahrung, zwei Filme gleichzeitig zu drehen, einmal mit Guy Ritchie in der Türkei, einmal mit Flo Lackner in Klagenfurt, und darüber, dass OPERATION FORTUNE und OPERATION WHITE CHRISTMAS bei allen budgetären Unterschieden mehr als ein Wort im Titel gemeinsam haben.

 

DEADLINE: Du hast sehr früh zugesagt, an OPERATION WHITE CHRISTMAS mitzuarbeiten, und dann, kurz vor Drehbeginn, musstest du wieder absagen. Ein Guy-Ritchie-Film ist dazwischengekommen. (Dieser hatte zum Zeitpunkt des Gespräches noch keinen Titel, kam später aber als OPERATION FORTUNE ins Kino, Anm.)

TIM SEYFI: Ich wollte Flo nicht absagen, aber ich fragte mich: Wie soll es klappen, wenn ich mitten in den Dreharbeiten von OPERATION WHITE CHRISTMAS diesen Guy-Ritchie-Film machen soll? Ich konnte mich gar nicht richtig über Guy Ritchie freuen, weil ich dachte: Verdammt, jetzt verpasse ich diesen Film, über den ich seit fünf Jahren mit Flo im Gespräch bin. Wir kennen uns schon Ewigkeiten, fast 15 Jahre. An sein Projekt habe ich immer geglaubt und habe manchmal auch zu ihm gesagt: „Komm, das packen wir, und wir rocken das Ding.“ Und dass es dann so kurzfristig nicht hätte klappen können, war schon traurig. Aber sie haben es dann hingekriegt, und deshalb bin ich jetzt hier und bin sehr happy, dass ich beides machen kann.

DEADLINE: Aber es war ungewöhnlich: Du hast in Klagenfurt mit wenigen Drehtagen begonnen, bist dann zum Guy-Ritchie-Set in die Türkei geflogen und jetzt bei den letzten Drehtagen wieder zurück in Klagenfurt.

TIM SEYFI: Genau.

DEADLINE: Ich nehme an, es war organisatorisch schwierig. Man hat auch einiges umschichten müssen?

TIM SEYFI: Ja, den Drehplan ein bisschen ändern. Ich war am Anfang und am Ende der Dreharbeiten da. Aber ich muss sagen, großen Respekt für die Produktion, die Mona Film, die das auf die Reihe gekriegt, die es organisiert hat. Ich habe mich so gefreut, dass beides klappt. Flo ist ja nicht nur ein Regisseur, sondern ein langjähriger Freund. Ihn bei diesem Projekt zu unterstützen, dabei zu sein und ihn nicht allein zu lassen, war mir ganz wichtig. Und heute haben wir den letzten Drehtag …

DEADLINE: Ist es für einen Schauspieler schwierig, zwischen den Projekten und den Rollen hin- und herzuwechseln?

TIM SEYFI: Eigentlich nicht. Aber ich kann nur für mich und nicht für alle anderen sprechen. Für mich ist das mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Ich habe es aber auch nicht anders gewollt. (lacht) Ich wollte ja immer in internationalen Projekten arbeiten, weil ich mehrsprachig bin, fünf Sprachen spreche. Da ist es mittlerweile schon Standard, vom Englischen ins Deutsche und dann ins Türkische zu switchen, und dann habe ich noch ein Casting auf Französisch und dann sogar eines auf Italienisch. Es ist einfach genau so, wie ich es wollte. Man kann sich nicht immer aussuchen, wann die Termine sind, aber wenn man das irgendwie parallel hinkriegt, mache ich auch fünf Sachen, weil ich meinen Job über alles liebe.

DEADLINE: Du wolltest bei dem Film von Flo dabei sein, du warst auch bei seinem letzten Projekt, PLANET USA, dabei.

TIM SEYFI: Wir kennen uns von einem anderen Film, vor 15 Jahren, bei dem er Making-of-Kamera gemacht hat, DAS JÜNGSTE GERICHT mit Tobias Moretti und Christoph Waltz. Ich glaube, es war der letzte Film, den Christoph Waltz in Deutschland oder Österreich gemacht hat. Da haben wir uns kennengelernt und gemocht und ein paar Jahre später PLANET USA gedreht. In der Zwischenzeit ist viel passiert, wir sind aber immer in Kontakt geblieben und haben uns zwischendurch auch getroffen. So ergab sich das. Und ich hoffe, es bleibt nicht unser letzter Film. (lacht)

DEADLINE: PLANET USA war ein Film ohne Budget.

TIM SEYFI: Ja.

DEADLINE: Aber es war für dich trotzdem selbstverständlich, neben allen Kino- und Fernsehfilmen, neben allen Serien bei einem Film ohne Budget dabei zu sein?

TIM SEYFI: Für mich ist das Dominante immer der Mensch, wenn der Mensch, dem ich gegenüberstehe, mich überzeugt mit dem, was er macht. Da geht es nicht darum, wie viel Geld man dabei verdient. Da erliege ich der Leidenschaft für die Arbeit. Und das bestätigt sich immer wieder. Ich war bei High-Budget-Projekten mit dreistelligen Millionenbeträgen und bei No-Budget-Projekten dabei, wo ich noch Geld reingebracht habe. Und es hat sich immer gelohnt. Es hat sich künstlerisch gelohnt, es hat sich beruflich ausgewirkt. Ich vertraue immer meinem Bauch. Das hat bisher immer ganz gut funktioniert.

DEADLINE: Wenn man jetzt, am letzten Drehtag, resümiert: ein gutes Gefühl für dich, bei diesem Projekt dabei gewesen zu sein?

TIM SEYFI: Ja.

DEADLINE: Es war auch dieses Mal ein kleines Projekt.

TIM SEYFI: Klein, aber sehr, sehr motiviert. Natürlich haben wir sehr anstrengende Drehtage gehabt, aber das wusste man vorher. Ich wusste, dass es schwierig würde. Aber ich kann das ganz gut einteilen und gehe jetzt, am letzten Tag, noch immer mit einem Lächeln zum Set – und aus dem Set. Auch, wenn es im Rücken zwickt oder man ein bisschen friert. Aber dafür drehen wir so einen Film mit allem Wahnsinn, all der Action. Es ist ein Phänomen, wie das alles zustande kommt, mit den begrenzten Mitteln, die wir hier haben. Es ist ein Actionfilm, wir machen ja kein Kammerspiel. Dafür ein Lob an das Team, das echt durchgehalten und trotz aller Müdigkeit und Erschöpfung die Laune nicht verloren hat. Da merkt man, man hat die richtigen Leute zusammengebracht. Das ist das Fantastische an der Filmarbeit, dass man sagt: „Wie soll das funktionieren …“ – und am Ende geht es sich aus. Irgendwie scheinen die Götter die Filmleute zu unterstützen. In diesem Fall waren sie auf alle Fälle ganz nah bei uns.

DEADLINE: Wie war die Arbeit mit Flo bei seinem ersten Projekt, bei dem er Geld zum Ausgeben gehabt hat?

TIM SEYFI: Das Phänomenale an Flo ist, dass er – egal was ist – wie ein Zen-Buddhist immer die Ruhe, immer den Humor behält. Ich denke, er ist der Traurigste, wenn der Dreh vorbei ist. Ich glaube, er würde gerne noch ein paar Wochen weiterdrehen. Ich habe ihm gesagt: „Eigentlich musst du jetzt sofort hinterher noch einen Film machen. Man merkt, was es mit dir macht, wie es dich pusht.“ Man merkt auch, wie froh er ist, dass die Leute einfach durchhalten und alle alles für den Film geben. Bisher war er immer für alles selbst verantwortlich, und hier gibt es Menschen, die ihm Sachen abnehmen, und er kann das machen, wovon er träumt. Das schätze ich sehr an ihm, dass er das sehr wertschätzt und sehr dankbar ist. Darum war es mit ihm super. Wir hatten sehr schöne Szenen, haben sehr lustige Sachen erlebt und trotz all des Wahnsinns sehr viel zu lachen gehabt. Das bezeichnen wir als unsere Arbeit, das ist so ein Geschenk. Wunderbar.

DEADLINE: Von der Kärntner Winterkälte bist du in die warme Türkei gewechselt …

TIM SEYFI: Ja, wir haben in Antalya gedreht. Jason und Hugh waren dabei und der Josh, also Statham, Grant und Hartnett. Jetzt rede ich so wie all die Leute, die nur von Vornamen sprechen … (lacht) Das war schon ein unfassbares Erlebnis. Sagen wir es mal so: Es war vom Aufwand her nicht vergleichbar, weil wir dort ein 490-Mann-Team hatten, eine in ein Studio gebaute Jacht und einfach extreme Dimensionen. Aber im Kern der Sache ist es trotzdem dasselbe. Das Set, das Spiel ist ja am Ende dasselbe, das ändert sich ja nicht. Und schlussendlich ist es schön, beides zu erleben – und beides hat seine Besonderheit. Aber so ein Ausmaß erlebe ich auch nicht gerade jeden Tag als Münchner Bua aus der Türkei, auch wenn ich dann in der Türkei drehe. Es war ein sehr schönes Erlebnis.

DEADLINE: Und es war schön, mit den Kollegen, mit Jason, Hugh und Josh, zu spielen …

TIM SEYFI: Aubrey Plaza war auch noch dabei. Vor allem entsprach die Art zu drehen meinem Geschmack, weil wir viel improvisiert haben. Alle Texte, die wir hatten, wurden beiseitegeschoben. In der Früh bekamen wir neue, und dann hat man sie in einer Stunde gelernt … Dann war aber am Set wieder alles anders. Das ist Guy Ritchies Arbeitsstil. Ein Rat, den ich immer allen gebe, die am Film arbeiten: „Erwartet das Unerwartete.“ Immer bereit sein, immer wach sein. Man muss auf so einer Wachheitsebene sein, dass man sagt: „Ich muss immer flexibel sein, alles anpassen.“ Da kommt mir dann wieder meine türkische Mentalität zugute, die von Natur aus flexibel für alles ist, weil nicht immer alles so funktioniert wie geplant. Parallel mit der deutschen Eigenschaft, gut zu planen, und wenn irgendetwas nicht so läuft, trotzdem eine Lösung zu finden. Das ist meine Kombination, und dafür bin ich sehr dankbar, weil ich nicht den Kopf verliere. (lacht)

DEADLINE: Du bist in Deutschland einer der Schauspieler mit türkischem Hintergrund, die sich überhaupt nicht einengen ließen. Bei manchen, hast du einmal gesagt, bleibe nur der Gemüsehändler. Ich habe gelesen, du hättest bei diesen Rollen eine Zeit lang immer Nein gesagt, und dann habest du die anderen angeboten bekommen.

TIM SEYFI: Das ist meine einzige Chance als Schauspieler, um die Dinge so zu kanalisieren, wie ich sie möchte. Ich als Schauspieler will, dass es nicht am Migrationshintergrund scheitert, gewisse Rollen spielen zu können. Ich habe schon sehr früh darauf geachtet, die richtigen Projekte zu wählen, um nicht in diese Klischees zu kommen und die Menschen auch ein bisschen zu erziehen. Das hatte zur Folge, dass man zwischendrin auch nicht so leichte Zeiten hatte, aber ich war bereit, das einzugehen. Und jetzt, in den letzten zehn Jahren mindestens, ist es so, wie ich es mir immer gewünscht habe, ich drehe französische Kinofilme und Serien, englische, amerikanische, bayrische, türkische … Die Diversität ist zwar noch nicht da, wo wir sie wollen, aber wir bewegen uns in eine sehr, sehr gute Richtung. Man muss halt die Gesellschaft widerspiegeln. Die Gesellschaft besteht nicht nur aus blonden, blauäugigen Menschen – auch wenn ich selber blaue Augen habe, als Türke. Da bewegt sich vieles in eine gute Richtung. Es könnte noch ein bisschen schneller gehen, wir müssen aber weiter dafür kämpfen. Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir ein viel diverseres Fernsehen, ein viel diverseres Kino, diverseres Streaming erleben. Die Amerikaner machen es vor, die Engländer machen es vor, die Franzosen sowieso. Deutschland und Österreich werden auch immer besser, da bin ich zuversichtlich.

(Regisseur Flo Lackner kommt zu unserem Tisch, um Tim Seyfi für den Dreh abzuholen. Er bekommt von Tim ein Geschenk überreicht, das er gleich auspackt. Es ist ein Geschenk vom Guy-Ritchie-Dreh in der Türkei, eine türkische Kaffeetasse. Tim erklärt den Hintergrund: „Nach dem Motto: Eine Tasse Kaffee ist so viel wert wie 40 Jahre Freundschaft.“ Er lacht. Flo: „Das relativiert einiges.“ Tim lacht. Flo: „Ja, vielen Dank.“ Tim: „Ich danke dir.“)

DEADLINE: Gut, dass Flo wieder weg ist, er will ja nicht, dass man irgendetwas über den Film verrät, aber ich muss trotzdem fragen: Was darf das Publikum von OPERATION WHITE CHRISTMAS erwarten?

TIM SEYFI: Es ist wahrscheinlich eine Frage der Perspektive, was es für ein Film ist. Für mich ist das vor allem eine Geschichte von Enis, meinem Bruder, der im Leben noch nicht so viel auf die Reihe gekriegt hat und so ein bisschen „lost“ ist. Wie es die Jugend manchmal halt so ist, auch wenn er fast 30 ist. Enis gerät in verrückteste Abenteuer und vor allem auch mit seinem Bruder in Konfrontation, der ein Mitglied der Cobra (die österreichische Polizei-Spezialeinheit, Anm.) ist. Zwei türkischstämmige Brüder gehen unterschiedliche Wege, der eine hat seinen Weg noch nicht gefunden, und der andere hat sich hochgearbeitet, wollte gegen alle Klischees erfolgreich sein, sehr sauber Deutsch können, hochgradig engagiert, in allem der Musterbürger sein. Weit von mir ist das ja nicht entfernt. (lacht) Es gibt diese Diskrepanz zwischen den Brüdern, die sich auch ein bisschen bekämpfen. Der Film hat insgesamt viele Aspekte, die hinter der sehr lustigen Fassade stecken, viele tiefe Einblicke in unsere Gesellschaft und in unsere Lebensweise. Auch Ziele und Wünschen, dass wir die Welt ein bisschen besser machen wollen, das schwingt auf jeden Fall mit in diesem Film.

 

DEADLINE: Und es ist ein Weihnachtsfilm.

TIM SEYFI: Ja, auf jeden Fall. Es sollte ja auch ein Fest der Liebe sein. Es ist auch ein Liebesfilm. Auf seine Art ist es auch ein Liebesfilm.

DEADLINE: Das würde ich jetzt anhand dessen, was Flo bis jetzt gemacht hat, nicht erwarten.

TIM SEYFI: Ja, ich würde ihn auch als Liebesfilm bezeichnen. Es geht um Liebe in jeder Form. Freundschaft, Geschwister, Brüder, Familie, es geht viel um Familie. Und Zusammenhalt. Das ist auch das, was wir in der heutigen Zeit sehr gut gebrauchen können. Zusammenhalt, Hoffnung und positives Denken. Auch wenn alle klagen, uns geht es gut. Das zu würdigen, das zu schätzen ist schon die halbe Miete zum Glück. Davon erzählt auch der Film. Das war jetzt doch der perfekte Schlusssatz. (lacht)

DEADLINE: Ich wollte noch etwas fragen, aber das war wirklich der perfekte Schlusssatz. Dann bleibt mir nur noch, Danke für dieses Gespräch zu sagen.

Interview geführt von Christian Zechner

 

 

Interview mit Rauand Taleb

„Ich war noch nie so Feuer und Flamme“

 

Rauand Taleb (4 BLOCKS) über die Dreharbeiten von OPERATION WHITE CHRISTMAS, die in der Nacht und der Kälte manchmal hart waren, über seinen Filmberuf als Videothekar und darüber, warum er Regisseur Flo Lackner für einen Visionär hält.

 

DEADLINE: Du spielst in OPERATION WHITE CHRISTMAS einen Videothekar in Geldschwierigkeiten, der mit einem gewagten Auftrag seine Videothek rettet. Wie war es für dich, als du von dem Projekt gehört hast und dann das Drehbuch gelesen hast? Es ist eine etwas seltsame Geschichte …

RAUAND TALEB: Flo hat vor längerer Zeit versucht, mich über Facebook zu erreichen. Er hat geschrieben, er wolle einen Teaser drehen, und er habe 4 BLOCKS gesehen und sei ein Riesenfan und habe Bock, mit mir das zu machen. Da habe ich gesagt: „Bitte die Anfragen an die Agentur.“ Das war in einer Phase, in der sehr viele Anfragen hereinkamen und ich nicht alle beantworten konnte. Dann ging es relativ gut, wir haben miteinander telefoniert, und dann bin ich das erste Mal nach Kärnten gekommen. Dann haben wir den Teaser, den Trailer, für die ganzen Förderstellen gedreht, damit sie eine visuelle Vorstellung haben, was wir machen wollen. Und da habe ich schon Flos Idee gesehen, was er machen will, und bin relativ überrascht gewesen, wie gut das geworden ist. Das heißt, mit den Mitteln, die er hatte, hat er schon sehr viele große Sachen machen können. Dann kam das Go. Flo hat gesagt, er habe das Geld beisammen. Dann hat er das Drehbuch noch mal umgeschrieben. Wir haben öfters telefoniert, über die Figur gesprochen. Und dann war es fix. Ich habe gesagt, ich hätte Megabock, es war ein super Drehbuch, und ich habe gesagt: „Ich bin dabei, ich mag das, ich steh voll darauf, was du machst. Und ich bin überzeugt davon, dass du ein ganz großer Visionär bist und das durch die Decke geht.“ Die reine Überzeugung. Ich habe bei einigen mehr oder weniger guten Produktionen mitgemacht, aber ich war noch nie so Feuer und Flamme wie bei diesem Projekt. Bis auf 4 BLOCKS, da war ich auch Feuer und Flamme. Aber hier ist es noch einmal intensiver, weil es ein Herzensprojekt ist.

DEADLINE: Es war für dich selbstverständlich, dass du beim Teaser mitmachst? Da hing ja noch das komplette Projekt in der Luft.

RAUAND TALEB: Ich war überzeugt davon, dass das etwas Gutes wird und ich der Sache einfach eine Chance geben muss. Das ist besser, als zu sagen: „Nein, will ich nicht.“ Mit dieser Nein-will-ich-nicht-Haltung kommt man nicht weit.

DEADLINE: Was kannst du mir über deine Rolle erzählen?

RAUAND TALEB: Enis durchlebt sehr viele Höhen und Tiefen und kämpft unglaublich stark für seine Videothek, damit diese erhalten bleibt. Damit ein Stück Tradition beibehalten wird und nicht einfach den Bach runtergeht, weil so viel neue Medien dazugekommen sind und die Leute gar nicht mehr in die Videothek gehen und sich was ausleihen, sondern sich einfach online die Filme anschauen. Das fand ich doch interessant, die Figur zu erleben, wie sie dann durch so viele Höhen und Tiefen geht und diesen Kampf in sich zu kämpfen hat, die ganze Zeit. Dass er auch Weihnachten rettet, dass er ein Druckmittel hat, dass er seinem Bruder gleichgestellt sein möchte, dass er auf eine Höhe mit seinem Bruder kommt, dass er Akzeptanz kriegt, Anerkennung. All diese wichtigen Aspekte spiegeln sich schon in ihm wider. Er versucht, auf seiner Linie zu bleiben und zu kämpfen, ja, er ist ein Kämpfer. Das sieht man, und das soll man auch sehen – dass er für etwas brennt, das ihm sehr am Herzen liegt.

DEADLINE: Du bist 1992 geboren, Videotheken waren in deiner Jugend ja eigentlich schon etwas von gestern.

RAUAND TALEB: Nein, ich habe das schon erlebt. Ich habe mir schon Videos ausgeliehen, das war schon noch meine Zeit. Ich habe sogar noch VHS-Kassetten gehabt, wo ich oft, wenn mir etwas im TV oder ein Musikvideo gefallen hat, etwas aufgenommen habe – oder Musikkassetten mit einem Rekorder. Das habe ich alles noch erlebt, das war eine spannende Zeit.

Rauand Taleb und Ingo Kowatsch, der echte Betreiber der Videothek Bellissimo in Klagenfurt, wo Operation White Christmas spielt. Foto von Flo Lackner

DEADLINE: Das Besondere von VHS spielt ja im Film auch eine Rolle.

RAUAND TALEB: Ja, es war eine spannende Zeit, aber jetzt ist es vorbei, jetzt gibt’s die ganzen Online-Streamingplattformen. Da macht man das nicht mehr mit VHS. Aber ein Stück Kultur ist immer schön.

(Tim Seyfi kommt vorbei und flüstert Rauand etwas ist Ohr, das klingt wie: Wer ist der beste Mann? Rauand lacht. Tim: „I love you.“ – Rauand: „I love you, brother. Tim ist ein ganz Großartiger. Ich mag ihn. Er ist wie ein großer Bruder. Wir haben schon miteinander zu tun gehabt. Er hat mir auch bei vielen Sachen geholfen. Wir kennen uns schon von früher.“)

DEADLINE: Flos Cousin Ingo Kowatsch betreibt ja die letzte Videothek in der Stadt. Du hast für deine Rolle bei ihm recherchiert?

RAUAND TALEB: Ja, als ich hier war, um den Teaser zu drehen, habe ich Ingo kennengelernt, und dann konnte ich auch schon in seiner Videothek hinter die Theke gehen und mir alles genau anschauen.

DEADLINE: Und du hast mitgeholfen?

RAUAND TALEB: Ja, ich habe schon mitgeholfen. Ich habe viele Fragen gestellt, wie das genau abläuft. Ich kannte das schon von damals, als ich Videos ausgeliehen habe. „Videoland“ hieß es bei uns in Nürnberg, es war eine Kette, ich weiß nicht, ob es die noch gibt. Ingo hat mir schon einiges beigebracht, einiges erzählt, wie das Ganze funktioniert, wie man mit den Kunden spricht und dass er mittlerweile auch eine Kundschaft hat, die bei ihm ist und entspannen will und über Gott und die Welt quatscht. Das ist schön, es ist wie eine Familie, die sich da entwickelt im Laufe der Zeit. Man erlebt die Geschichten der Menschen mit, man hilft auch mal, man ist auch ein bisschen Psychologe, Therapeut, der zuhört, Ratschläge gibt, alle diese Sachen. Das ist schon spannend. Es sind immer dieselben Stammgäste, die kommen und miteinander reden und auch ein Video ausleihen oder auch nicht. Das war schön zu sehen.

DEADLINE: Sind österreichische Regisseure, du hast ja für 4 BLOCKS auch mit Marvin Kren zusammengearbeitet, anders als deutsche? Gehen sie anders an die Sache heran?

RAUAND TALEB: Von den Strukturen her sind sie schon gleich. Aber jetzt, bei diesem Herzensprojekt, ist es ein wenig anders, das ist klar. Es ist nicht so, wie man es von anderen Projekten kennt, dass es so zack, zack, zack auf einen Schlag geht. Hier ist es ein Herzensprojekt, man nimmt sich die Zeit, nimmt mehr Einstellungen auf, damit das Ganze voluminöser und ein Actionfilm wird. Es lebt von schnellen Bildern.

DEADLINE: Heute ist ja der letzte Drehtag. Wenn du bilanzierst, was war das Schwierigste, was war die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten?

RAUAND TALEB: Die größte Herausforderung war es, bis sechs Uhr in der Früh zu drehen und immer noch da zu sein als Schauspieler. Die Texte noch so gut zu geben, wie es notwendig ist, auch wenn die Müdigkeit mitspielt, auch wenn es ein bisschen in die Psyche geht und man auch kaputt ist und es einem die Energie raubt. Aber wir haben viele Actionszenen gehabt, viele Rennmomente, die Kälte hat auch eine Rolle gespielt. All diese Herausforderungen waren schon ein Kampf, aber wir haben es geschafft. Und ich denke, wenn man ein bisschen leidet, ach, was heißt leidet, wenn man kämpft, wird der Film umso stärker und besser.

DEADLINE: Ist es für einen kurdischstämmigen Schauspieler schwierig – oder schwieriger –, immer die Rollen zu bekommen, die man gerne hätte?

RAUAND TALEB: Also, ich bekomme wirklich sehr gute Rollen. Ich kann mich nicht beschweren. Ich kann mich glücklich schätzen. Es gibt aber Kollegen, die bekommen vielleicht im Jahr zwei Drehs rein, davon kannst du nicht leben, kannst du keine Familie ernähren. Aber seit vier Jahren geht es gut.

DEADLINE: Seit 4 BLOCKS?

RAUAND TALEB: Ja, seit 4 BLOCKS geht es kontinuierlich und fast lückenlos. Aber es reicht ja, wenn man sechs oder sieben Projekte im Jahr macht. Die Gage ist dementsprechend, dass du damit gut auskommst, wenn du nicht in Saus und Braus lebst. Aber ich bin dankbar und glücklich. Man sagt ja, in Deutschland leben 25.000 Schauspieler, und davon können sich nur vier Prozent ernähren. Es ist hart. Auch Flo hat mir gesagt, 4 BLOCKS sei für ihn so interessant gewesen, dass er mich unbedingt besetzen wollte. Das heißt, 4 BLOCKS hat mir schon ein einen Riesenweg geebnet für andere Projekte.

DEADLINE: Bei OPERATION WHITE CHRISTMAS haben die Schauspieler Abstriche bei ihren Gagenforderungen gemacht. Das heißt, du glaubst auch an dieses Projekt?

RAUAND TALEB: Absolut, da spielt die Gage nicht so eine große Rolle. Es reicht zum Leben, es ist nicht wenig, es ist wirklich gut, finde ich, und das reicht mir auch. Da ist die Gage nicht so relevant, sondern das Projekt ist im Fokus.

DEADLINE: Was kann sich das Publikum von dem Projekt erwarten?

RAUAND TALEB: Viel Action. Ich sagte ja, Flo ist – entschuldige, dass ich ihn hier die ganze Zeit loben muss (lacht) – wirklich ein Visionär. Er hat so unglaubliche Visionen, die vergleichbar sind mit Hollywood. Das ist zwar weit hergeholt, aber er hat Visionen, die nicht dem entsprechen, was wir normalerweise im Fernsehen oder bei uns im Kino sehen. Hier ist es noch einmal anders, etwas höher angesetzt, mit Action geballert. Mit vielen Höhen und Tiefen, mit viel Emotionalität, mit viel Witz. Es ist für jeden etwas dabei. Und es ist für jeden eine gute Unterhaltung. Das wollte ich immer machen, Filme, in denen ich drinsitze und sage: „Wow, es hat sich gelohnt. Die 11 oder 15 Euro, die ich an der Kinokasse bezahlt habe, haben sich gelohnt.“ Und das ist so ein Film, bei dem ich sage, das ist auch für mich als Schauspieler eine Verantwortung, dem Zuschauer die beste Qualität, die ich als Schauspieler draufhabe, zu geben. So, dass man nach Hause geht und sagt: toller Film. Tolle Filme sind dann gut, wenn sie durch Mundpropaganda weitergegeben werden.

 

DEADLINE: Das heißt, du glaubst, dass wir uns von Flo noch viel erwarten können? Wenn er dann größere Filme dreht, bist du auch wieder dabei?

RAUAND TALEB: Unbedingt. Ich habe Flo schon gesagt, er solle jetzt alle zwei Jahre einen Film drehen. (lacht) Er ist ein toller Typ. Es ist jetzt das erste Projekt, bei dem wir alle zusammenkommen, es war am Anfang nicht ganz so einfach, aber wir haben uns alle mit der Zeit super verstanden. Es ist ein Team, es ist wie Klassenfahrt. Die Eindrücke, die man sammelt, kann man durch kein Geld der Welt ersetzen.

DEADLINE: Danke für das Gespräch.

 

 

Interview geführt von Christian Zechner

© Fotos Flo Lackner und Mona Film

 

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Regie: Flo Lackner / Österreich 2023 / 116 Min.

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