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SHIVERS FILM FESTIVAL 2021 (ZUM ZWEITEN!)

Endlich! Nachdem das Shivers 2020, normalerweise dick eingepackt in den stimmigen Novembernebel von Konstanz, nicht im unverwechselbar charmanten Zebra Kino stattfinden konnte – aufgrund dunkler höherer Mächte – und dafür im darauffolgenden April eine einmalige Online-Ausgabe den Schmerz darüber einigermaßen auffing, ging es im Ende Oktober 2021 wieder regulär vor Ort an den Start. Die große Leinwand wurde also erfolgreich zurückerobert, und die Freude darüber war bei den vielen Fans der kleinen, aber feinen Genreperle am Bodensee dementsprechend groß. Sich wieder gemeinsam mit Freunden viel Originell-Abgründiges an thrilligem Horror, knallharter Action, bahnbrechender Sci-Fi und absurder Komödie im gemütlichen Sessel ansehen zu können. Mit einem kühlen Bier in der einen und einem selbst gemachten Schnittchen in der anderen Hand, am besten noch beim allabendlichen Gewinnspiel laut reinrufend, damit’s ordentlich fette Preise regnet. Traditionen müssen schließlich sein!

 

Da im April der während des gesamten Online-Festivalzeitraums gratis zur Verfügung gestellte CRAZY WORLD mit rund 7.000 Zugriffen ein voller Erfolg war, ging das kreativ-engagierte Shivers-Team im November richtig steil mit «AN EVENING WITH WAKALIWOOD» und noch mehr satter sowie durchgeknallter ugandischer Action, Action und nochmals Action. Bezüglich des Line-ups und Ablaufs haben sich die Shivers-Programmer dieses Jahr dazu entschieden, sich auf eine erlesene Auswahl internationaler Festivalfavoriten und -geheimtipps zu konzentrieren und – auch aus zeitlichen Gründen – auf Klassiker sowie den traditionellen «Shivers Shorts»-Wettbewerb zu verzichten. Eine erlesene Auswahl an Kurzfilmen gab es jedoch auch in diesem Jahr zu Beginn einiger Vorstellungen zu sehen.

AN EVENING WITH WAKALIWOOD

 

Ebenso konnte auch wieder eine Handvoll Filmschaffender begrüßt werden, die vor Ort ihre Filme präsentierten und dem Publikum Rede und Antwort standen. Zum Beispiel Nikias Chryssos (DER BUNKER – war beim Shivers 2015 zu sehen), der mit seinem neuen Film A PURE PLACE im Gepäck anreiste, sowie der norwegische Regisseur und Gewinner des ersten «Shivers Shorts Awards» im Jahre 2015, Fredrik S. Hana, der sein Langfilmdebüt CODE NAME: NAGASAKI vorstellte. Bei anderen Filmen gab es im Anschluss an die Vorstellung Q&As per Videocall im Saal. Zu den Highlights zählte mit Sicherheit ebenfalls der diesjährige Eröffnungsfilm LAST NIGHT IN SOHO von Kultregisseur Edgar Wright, der mit seiner großartigen Zombie-Komödie SHAUN OF THE DEAD aus dem Jahre 2004 zum Genrefilm-Fanliebling avancierte. Hier findet ihr ein Interview mit Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy zu LAST NIGHT IN SOHO.

LAST NIGHT IN SOHO

 

 

MIDNIGHT IN A PERFECT WORLD

Dass man auch im hohen Alter von 83 Jahren nichts von seinem Biss eingebüßt haben muss, das bewies das niederländische Enfant terrible Paul Verhoeven (ROBOCOP, STARSHIP TROOPERS, ELLE) mit seiner Mischung aus Historienroman-Verfilmung und Nunsploitation: Unsere Titelstory der #90 BENEDETTA, der auf der Shivers-Leinwand vermutlich ein dankbareres Publikum fand als beim Filmfestival in Cannes. Darüber hinaus gab es philippinische Endzeitstimmung in MIDNIGHT IN A PERFECT WORLD, amerikanischen Southern Gothic in WHAT JOSIAH SAW, vertrackt-unterhaltsame Timeloops in BEYOND THE INFINITE TWO MINUTES, die schon vorgelobte wilde Kampala-Ultrakunst und noch vieles mehr! Hier einige Leckerbissen:

BENEDETTA

 

WHAT JOSIAH SAW

Ähnlich wie der atmosphärisch-dunkle Shivers-Beitrag der Online-Ausgabe THE DARK AND THE WICKED kehren auch in diesem US-Horrorfilm zwei Geschwister ins Haus ihrer Kindheit zurück. Doch statt einer sich seltsam verhaltenden Mutter ist hier ein herrischer und trinksüchtiger Vater zugegen, der von Robert Patrick glaubwürdig verkörpert wird. Josiah lebt zusammen mit seinem jüngsten, offenbar geistig behinderten Sohn Thomas auf der heruntergekommenen Farm und macht sich einen Spaß daraus, diesen zu demütigen und sich über dessen religiöse Überzeugungen lustig zu machen. Bis Josiah anfängt, Visionen von seiner verstorbenen Frau in der Hölle zu haben und dass er und Thomas ihre Lebensweise drastisch ändern müssen, um sie zu retten. Als Eli und Mary – Josiahs andere beiden Kinder – auf der Farm ankommen, da eine Ölfirma das Grundstück aufkaufen will und beide das Angebot annehmen möchten, spitzt sich die Lage dramatisch zu. Regisseur Vincent Grashaw (COLDWATER) hat mit seinem dritten Spielfilm ein Drehbuch des Autoren-Neulings Robert Alan Dilts umgesetzt – und das hat es wahrlich in sich. Die Geschichte, die in drei verschiedene Segmente unterteilt ist, in denen wir jeweils einem der Geschwister und dessen Perspektive folgen, wandelt sich vom religiös angehauchten Horror zum düsteren Krimi mit ein paar Andeutungen des Okkulten, um dann die dunkelsten Geheimnisse zu offenbaren. Doch das soll nicht der letzte Story-Kniff sein, denn das verstörende Ende stellt nochmals alles auf den Kopf. WHAT JOSIAH SAW erzeugt nicht nur von Beginn an bis zum Schluss ein unbehagliches Gefühl, untermalt von einem ebensolchen Sound, den stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen in Oklahoma und den guten Darstellerleistungen. Besonders Nick Stahl als Eli ist großartig in der Rolle eines zutiefst konfliktbeladenen jungen Mannes, der selbst dann, wenn er bis zum Hals in seinen Problemen feststeckt, versucht, das Richtige zu tun. Fesselnd taucht die Geschichte tief in ein Southern-Gothic-Milieu ein, wo man den Familiensünden nicht entkommen kann, egal wie weit man rennt.

 

BEYOND THE INFINITE TWO MINUTES

In einem japanischen Café zieht sich dessen Besitzer Kato für die Nacht in seine Wohnung im Obergeschoss zurück und schämt sich wieder einmal dafür, dass er Megumi, die Nachbarin, die er mag, nicht eingeladen hat. Dann entdeckt Kato aber, dass sein zukünftiges Ich über seinen Fernseher mit ihm sprechen kann und ihm mitteilt, dass er zwei Minuten in der Zukunft ist. In der Folge ist Kato damit überfordert, sein zukünftiges Ich mit dem vergangenen abzugleichen, um die Zeitlinie nicht zu unterbrechen. Dann wenden sich bald auch noch drei Freunde an Kato, die von den Möglichkeiten zeitreisender Fernsehgeräte begeistert sind und herauszufinden versuchen, wie sie damit Geld machen können. Diese abgefahrene japanische Science-Fiction-Komödie ist die geistige Schwester der Zombie-Klamotte ONE CUT OF THE DEAD (2017), sowohl in Bezug auf die als einzige Plansequenz in einer Woche auf einem iPhone gedrehte Geschichte als auch auf den schieren Einfallsreichtum. Der Clou des Films besteht darin, immer wieder dieselben Gespräche aus verschiedenen Perspektiven – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – zu zeigen und dabei immer wieder clevere Wendungen und Verwicklungen einzubauen. Es ist schon schwer genug, den Überblick über all die Zeitschleifen und Paradoxe zu behalten, aber man wird auch verrückt, wenn man versucht, die Logik hinter den Dreharbeiten und die bemerkenswerten Fähigkeiten und den Einfallsreichtum des Produktionsteams zu verstehen. Der Film versucht, mit einigen Hinter-den-Kulissen-Sequenzen im Abspann etwas Licht in den Prozess zu bringen, trotzdem sollte man den Kopf am besten abschalten und die wilde Fahrt einfach genießen. BEYOND THE INFINITE TWO MINUTES ist eine höchst unterhaltsame No-Budget-Sci-Fi-Komödie, die ihre kopfzerbrechende Prämisse brillant ausnutzt und eine Reihe großartiger Gags serviert, die ebenso clever wie urkomisch sind. Regisseur Junta Yamaguchi, der hier zum ersten Mal Regie führt, sollte man definitiv im Auge behalten.

 

CODE NAME: NAGASAKI

Fredrik Hana und Marius Lunde sind enge Freunde, die in Norwegen als Independentfilmemacher arbeiten. Hana als Regisseur und Lunde als Schauspieler sowie Autor bilden zusammen ein kreatives Team. Diverse Ausschnitte aus ihrem bisherigen Schaffen sowie neues Material sind auch in ihrem Langfilmdebüt CODE NAME: NAGASAKI zu sehen. Dieser dokumentiert Marius‘ Suche nach seiner leiblichen Mutter. In Japan geboren, zogen seine Eltern mit ihm bald darauf nach Norwegen. Als Marius fünf Jahre alt war, verließ die Mutter jedoch die Familie und kehrte in ihr Heimatland zurück. Die persönliche Reise ist dabei stilecht wie ein alter Film Noir aus den 40er-Jahren aufgebaut. Damit schaffen Hana und Lunde eine fantasievolle Erkundung von Familie, Trauer und Identität, die eine Vielzahl von Filmtechniken einsetzt, um den Zuschauer so tief wie möglich in die Erzählung einzubeziehen. Lundes halb japanische Wurzeln haben eindeutig zu einer Faszination für die Kultur seiner Mutter geführt, und er schlüpft in Kostüme und Personen in inszenierten Sequenzen und Nachstellungen, die an Samurai-Filme, Kabuki-Theater und J-Horror erinnern, wobei die Bilder aus seinem Bewusstsein in das unsere überschwappen. Die ganze Zeit über geht er verworfenen Hinweisen seiner Mutter nach, indem er zunächst die japanische Botschaft und dann einen Privatdetektiv einschaltet, um ihren Aufenthaltsort zu finden. Später fügt Hana auch Animationen hinzu, um die Momente zu verdecken, die er nicht filmen konnte. Die Wirkung dieser einzelnen intensiven Elemente ist nicht linear, sondern exponentiell, wenn sie zusammenkommen. Wir taumeln vor der Wucht der Emotionen und gehen doch nicht erschöpft aus der Katharsis hervor, sondern erfrischend gereinigt. Abwechselnd spielerisch und tiefgründig, wobei der eine Ton den anderen kaum ausschließt, wird CODE NAME: NAGASAKI mit jeder Szene spannender und ist zum Schluss nicht nur eine Liebeserklärung an die Menschen, sondern auch an das Medium Film.

 

AN IDEAL HOST

Eine kleine Farm im australischen Nirgendwo. Hier proben Liz und Jackson ihren Heiratsantrag, der am nächsten Abend nach dem Abendessen stilecht vor ihren Freunden vorgetragen werden soll. Liz ist aufgrund dessen – schließlich musste sie fast eine Dekade auf diesen Moment warten – verständlicherweise gestresst und aufgeregt. Den ganzen Tag und nächsten Morgen hat sie bis ins kleinste Detail durchgeplant, ihr Telefon auf einen stündlichen Erinnerungsalarm für den genauen Ablauf eingestellt. Der Tisch und die Küche müssen festtauglich sein, auch wenn das bedeutet, dass alles dreimal neu dekoriert wird, ohne dass Jackson ihr dabei hilft. Als die Freunde zusammen mit einem ungebetenen Gast eintreffen, scheint der Abend auf Krawall gebürstet zu sein. Doch dieser nimmt eine ganz andere chaotische Wende. Die australische Low-Budget-Horror-Komödie AN IDEAL HOST – das Erstlingswerk von Regisseur Robert Woods und Autor Tyler Jacob Jones – ist ein wenig gaga, aber auf erfrischende Art und Weise. Auf das glaubhafte Gezanke am Dinnertisch folgt ein Sprung in den Wahnsinn. Alle Charaktere sind hier herrlich drüber, und die witzigen Ideen sorgen für etliche Überraschungen – vor allem Nadia Collins als Hausgöttin Liz ist urkomisch –, auch die Splatterkanone wird im letzten Drittel ausgepackt. Die Fülle an kreativem Input und insbesondere die Kameraführung sind bestechend. Sie glänzt mit einigen raffinierten Aufnahmen in langen, kreisförmigen, ununterbrochenen Takes in entscheidenden Momenten und einigen großartigen Farbabstufungen. Der australische Nachthimmel und die trostlosen trockenen Pferdekoppeln kommen in ihrer schrecklich-schönen Isolation gut zur Geltung. Auch die Filmmusik ist ein Pluspunkt, sie wechselt von einer ironischen Jazz-Stimmung zu dröhnenden Horror-Tönen und einem glorreichen Orchester-Crescendo. Hier ist ganz viel Unterhaltung drin bis zu und mit dem Shit-happens-Schluss. (Sarah Stutte)

https://www.facebook.com/shiversfilmfestival

SHIVERS FILM FESTIVAL 2021 (ZUM ZWEITEN!)