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SHIVERS Film Festival 2022

Ein Déja-vu?
So halb, denn schon im letzten Jahr berichteten wir am Starttag über das kleine, ausgesprochen feine Filmfest am Rand des Bodensees.

Und auch 2022 soll es so sein:
Am heutigen Freitag startet das SHIVERS FILM FESTIVAL 2022 und bietet rund um ein Wochenende ausgewähltes Filmvergnügen in Konstanz. Drei Festivaltage sind es diesmal geworden, man hat sich aus den bekannten Gründen, die die letzten beiden Jahre erschwerten, ein wenig verkleinert. Freilich nur, was die Tage betrifft, das liebevoll kuratierte Programm ist immer noch ein ganz schön großes, vielfältiges. Lädt zum Staunen ein, zum Weinen, zum Lachen – das zumindest umreißt die drei Filme, die wir im Vorfeld sichten konnten, ziemlich genau. Doch dazu kommen wir gleich.

Acht Filme präsentiert dieser 7. Jahrgang SHIVERS also, darunter mit STRAWBERRY MANSION, V/H/S/94, THE ANTARES PARADOX, CHRISTMAS BLOODY CHRISTMAS und MANFISH nicht weniger als fünf Deutschlandpremieren, und, wie eigentlich immer, auch einen ausgewählten Klassiker – und der Aussage, dass man das HOTEL „ZUM VERUNGLÜCKTEN ALPINISTEN“ aus dem Jahr 1979 am besten auf der großen Leinwand genießen sollte, kann man nur zustimmen. Eigenwillig, zudem als die erste estnische Genrefilm-Produktion geltend, ist Grigori Kromanovs Verfilmung des Romans von Arkadi und Boris Strugazki ein bemerkenswerter Mix aus Mystery, Crime, Sci-Fi und alpiner Kulisse, in der bekannterweise schon so manches eingeschneite Hotel für feine Kinokost Garant war.


Aber kommen wir zum Eröffnungsfilm. STRAWBERRY MANSION. Und dem Versuch, zum umreißen, was man da erleben wird. Auf die Story bezogen erscheint das recht schlicht: In gar nicht weit entfernter Zukunft, geht ein stereotypischer „Mann von der Steuer“ seinem Job nach. Unscheinbar, Anzug, Krawatte, Hut, Koffer. Doch schon das alte Auto und der irgendwo zwischen 1950ern, 60ern und einer seltsam pappmachée-artigen Atmosphäre inkl. 80er Jahre Videospiel-Touch lässt erahnen, dass da optisch was kommen wird. Und das tut es. Preble, so der Name des Steuerprüfers, hat die Aufgabe, Träume nach Steuerschulden zu durchforsten. Denn im Jahr 2035 werden alle Dinge, die einen Wert haben und geträumt werden, versteuert. Etwas, das Bella, die ultraliebenswürdige alte Dame in dem erdbeerfarbenen Haus, viele, viele Jahre versäumt hat. Preble macht sich also an die Arbeit und beginnt, Bellas Träume zu sichten, die, wie die aller braven Bürgerinnen und Bürger, Nacht für Nacht aufgezeichnet und auf VHS gespeichert werde. Und spätestens dann weiß der Mensch im Kino, was er zu tun hat. Lächeln, genießen, nachdenken und sich von dem so unglaublich freien Einsatz von Stilmitteln, Metaphern, Versatzstücken aus Märchen, Abenteuern, Gefahr und Liebe einweben lassen. STRAWBERRY MANSION setzt sich keine Grenzen, Effekte sind kein CGI-Gewitter, sind bewusst bühnenhaft gestaltet, roh, bisweilen grotesk und traumhaft eben. Ein buntes Loblied auf Fantasie und den Kampf gegen Alltagstrott und gedankenlosen Konsum. Wunderschön.


Weniger schön wird es dann bei dem spanischen THE ANTARES PARADOX. Aber auch bei diesem Sci-Fi-Kammerspiel werden Gefühle durchgerüttelt und Welten infrage gestellt: Alexandra ist Wissenschaftlerin durch und durch. Das Observatorium, in dem die junge Frau arbeitet, ist Teil des SETI-Programms, das seit 1984 nach extraterrestrischen Signalen sucht. Und an diesem Abend, inmitten des aufkommenden Sturms, scheint es endlich so weit zu sein. Vermeintlich am Ziel ihrer Träume angekommen, findet sich Alexandra in einer Prämisse wieder: Ihr Vater liegt im Sterben, der Sturm fordert eigentlich ein Abschalten der Anlage – und ein zweites Observatorium muss das Signal bestätigen … THE ANTARES PARADOX greift an die Nervenenden und drückt zu. In dem nahezu hermetisch abgeschlossenen Setting, in das nur via Anruf oder Videocall Interaktion eindringt, leidet man mit Alexandra, die sich entscheiden muss. Das ist heftig, sehr heftig – was nicht zuletzt an der grandiosen Darstellung von Andrea Trepat liegt – und rundum sehenswert.


Harter Cut. Denn nun kommt … MANFISH. Tja. Wie sagt man das … Vielleicht mit den Intro dieses schrägen Teils aus UK. Ein unattraktiver Strand an irgendeiner englischen Küste. Industrie drumherum, Trostlosigkeit. Ein Mann angelt. Das Seil reißt. Der erboste Angler wirft eine Plastikflasche ins Meer und beginnt, seine Sachen zu packen. Die Flasche wird zurückgeworfen. An seinen Kopf. Kurz darauf landet ein verrosteter 4er-Träger Dosenbier im Sand. Der Angler bückt sich danach, tappt in die ausgelegte Fallschlinge und wird ins Meer gezogen … Das hat in sich schon viel derben britischen Humor. Aber ist noch lange nicht alles. Denn in MANFISH geht es um … nun ja, ein Fischwesen, das nicht zum Angriff ausholen kann, sondern sich – durch einen absurden Zufall – im abgerockten Häuschen von Terry und Tracy wiederfindet. Am Esstisch. Mit Frühstücksloops. Und selbstgedrehten Kippen. Was dann passiert, ist so herrlich trocken weird, dass man es einfach gesehen haben muss. MANFISH vereint Komödie, Außenseiterdrama, Märchen, Horror, Nippes, Frotteejogginganzüge, Speed und freie Liebe. Toll!

 

Wenn ihr also im Umfeld lebt und noch nichts vorhabt am Wochenende oder gerade in der Nähe seid – gönnt euch das SHIVERS. Packt die ein, die ihr eigentlich „nur“ besuchen wolltet, und schleppt sie nach Konstanz ins Zebrakino. Es lohnt.

Alle Infos zu Programm und Ticketing findet ihr hier.

(Germaine Paulus)