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SILENT NIGHT – STUMME RACHE

OT: SILENT NIGHT

Regie: John Woo / USA 2023/ 104 Min.

Besetzung: Joel Kinnaman, Kid Cudi, Catalina Sandino Moreno

Freigabe: FSK 18

Verleih: LEONINE

Start: 14.12.2023

Es gibt ein gängiges Klischee, wenn es um Actionfilme geht. Bei all den Effekten, Schussgefechten und Verfolgungsjagden seine Aspekte wie Dialoge oder Figurenentwicklung so vernachlässigbar, dass man sie auch ganz weglassen könnte. Ganz so einfach sollte man es sich dann doch nicht machen, selbst wenn durchaus etwas dran ist an der Idee, dass Actionfilme auch ohne die gesprochene Sprache auskommen können. Man denke nur an die JOHN WICK-Reihe, die mehr als einmal (aber im zweiten Teil ganz besonders) auf die Stummfilme Buster Keatons ansprechen und diese gar direkt zitieren. Zum einen ist es die Kinetik an sich, die Bewegung und die Folgen, die im Vordergrund stehen und zum anderen das halsbrecherische Unterfangen an sich, was Keaton mit seiner berühmten minimalistischen Mimik quittiert, so als wäre eigentlich gar nichts geschehen.

In diesem Sinne stehen eigentlich alle Actionfilme gewissermaßen in der Tradition solcher Pioniere wie Keaton einer war. Regielegende John Woo bildet da keine Ausnahme, wobei er selbst mit Werken wie A BETTER TOMORROW, THE KILLER und HARD BOILED stilbildende Meilensteine des Genre schuf, die bis heute unvergessen sind und ihren Einfluss zeigen. Sechs Jahre nach seinem letzten Film MANHUNT kehrt Woo in das Actiongenre zurück und zugleich zu den eingangs erwähnten Vorbildern des Genres, denn die „Stille Nacht“ auf die SILENT NIGHT – STUMME RACHE im Titel anspielt, ist keinesfalls nur als Verweis auf das bekannte Weihnachtslied zu verstehen, sondern Stille ist hier Programm.

Bei der Schießerei zweier verfeindeter Banden gerät die Familie von Brian Godlock (Joel Kinnaman) ins Kreuzfeuer, wobei sein Sohn tödlich verwundet wird. Auch er wird verwundet, als er einen der Täter stellen will, der ihm kurzerhand in den Hals schießt. Zwar überlebt Brian, doch er ist von nun an stumm und von Trauer zerfressen. Während seine Ehe immer mehr zerbricht, schmiedet er insgeheim einen Racheplan und beginnt fleißig zu trainieren. Der Umgang mit Waffen, Fahrtraining und der Kampf mit dem Messer sind für ihn nun der neue Alltag bis zum nächsten Dezember, dem Todestag seines Sohnes und dem Tag, an dem er endlich Rache an denen nehmen will, die sein Leben zerstört haben.

An der Oberfläche erscheint SILENT NIGHT wie einer jener Rachethriller, von denen es seit dem Erfolg von 96 HOURS und JOHN WICK eine Vielzahl gibt. Jedoch verbirgt sich hinter dem Titel weitaus mehr, denn wer sich auf eine dialoglastige Auseinandersetzung mit Themen wie Rache, Schuld und Selbstjustiz einstellt, wird bei John Woos neuem Film eine Überraschung erleben. Wenn man von wenigen Ausnahmen, wie Stimmen aus einem Radio, absieht, kommt SILENT NIGHT gänzlich ohne Dialoge aus – auch die Nebencharaktere, unter anderem gespielt von US-Rapper Kid Cudi, hüllen sich in Schweigen. Die Reduktion, die das Drehbuch von Robert Archer Lynn ausmacht, wird in Woos Inszenierung zu einem Stilmittel, was in den besten Momenten durchaus Verweise zu seinen bekannten Klassikern aus den 90er Jahren zulässt. Schon damals war Woo am besten, wenn es um das audiovisuelle Spektakel ging, als Ausdruck einer Welt, die für die Titelfigur aus den Fugen geraten ist.

Im Mittelpunkt steht aber neben der Action ganz klar die Darstellung Joel Kinnamans, der einmal mehr Gelegenheit hat, zu zeigen, was er kann. Seit seiner Rolle in der Serie THE KILLING hatte Kinnaman kaum eine Möglichkeit bekommen, seine Qualitäten als Schauspieler zu zeigen, doch in SILENT NIGHT hat er eine Rolle, bei der er sich ganz und gar auf seine Mimik und Gestik verlassen muss. Er ist weit entfernt von dem toughen Actionhelden, auch wenn sich Brian alle Mühe macht, so auszusehen und so zu agieren. Wie viele Helden Woos ist er gebrochen und verwundet, sodass die Rache immer mehr wie ein letzter trauriger Akt wird, um den Schock über die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit zu überwinden, für die der Verlust der Stimme sicherlich der passende Ausdruck ist.

Mit Sicherheit erfindet SILENT NIGHT das Rad nicht neu, aber unterhaltsam ist der Film in jedem Fall und hat bei genauer Betrachtung sehr viel mehr zu bieten. Vor allem bleibt die Darstellung Joel Kinnamanns im Gedächtnis sowie das blutige Finale, mit dem John Woo noch einmal unter Beweis stellt, dass er zwar älter geworden ist, aber mitnichten zum „alten Eisen“. (Rouven Linnarz)

Unterhaltsamer Actionthriller, bei dem es sich lohnt genauer hinzuschauen (und hinzuhören)

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SILENT NIGHT – STUMME RACHE

OT: SILENT NIGHT

Regie: John Woo / USA 2023/ 104 Min.

Besetzung: Joel Kinnaman, Kid Cudi, Catalina Sandino Moreno

Freigabe: FSK 18

Verleih: LEONINE

Start: 14.12.2023