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SLASH – DAS FESTIVAL DES FANTASTISCHEN FILMS 2025 – DIE RÜCKSCHAU

Von Lucas Vossoughi & Patrick Winkler

Im prachtvollen Wiener Gartenbaukino fiel Mitte September der Startschuss für das 16. SLASH – FESTIVAL DES FANTASTISCHEN FILMS, abgefeuert vom bestens aufgelegten Festivalleiter Markus Keuschnigg. Die beiden DEADLINE-Abgesandten erlebten zehn aufregende Tage mit wenig Schlaf, in denen es zwischen routinierter Genrekost auch einige cineastischen Perlen zu entdecken gab.

Die Eröffnung beginnt mit einem launigen Rückblick auf eineinhalb Jahrzehnte Festival sowie einem Ausblick auf die zehn kommenden Tage voll blutiger Highlights, gefolgt von der Weltpremiere von CHRISTIAN FETISH, dem neuesten Bandprojekt von Musiker, Autor und Filmkritiker Christian Fuchs. Die Musikanlage des denkmalgeschützten Kinos stieß dabei hörbar an ihre Grenzen, wovon sich weder die Band noch das Publikum die Laune verderben ließen. Denn der Höhepunkt des Abends kam noch: die Österreichpremiere des Alpen-Mysterythrillers WELCOME HOME BABY vom Genrespezialisten Andreas Prochaska (IN 3 TAGEN BIST DU TOT 1 + 2, DAS FINSTERE TAL), der nun auch in Deutschland seinen Kinostart erlebt– mehr dazu sowie ein Interview mit dem Regisseur findet ihr in der Breitwand-Online-Rubrik der kommenden DEADLINE #114.

WELCOME HOME BABY-Regisseur Andreas Prochaska mit Julia Franz Richter und Gerhard Liebmann

GOOD BOY

Ein Hund namens Indy zieht mit seinem Besitzer in ein abgelegenes Landhaus, wo finstere übernatürliche Mächte lauern. Als dunkle Wesen seinen Herrl bedrohen, setzt er alles aufs Spiel, um den zu beschützen, den er über alles liebt. So könnte man diesen ungewöhnlichen Horrorthriller zusammenfassen, der wahrscheinlich als erster „richtiger“ Genrefilm nur aus der Perspektive eines Hundes erzählt wird. Regisseur Ben Leonberg hat angeblich 400 (!) Tage mit seinem Hund Indy gedreht – diese Mammutarbeit hat sich aber ausgezahlt. Technisch toll umgesetzt, gelingt es dem Film, mit minimalen Mitteln eine packende Atmosphäre zu erschaffen und den Zuschauer tief in die düstere Welt hineinzuziehen. Auch wenn er symbolisch leider allzu platt und visuell viel zu konkret daherkommt (wie schade!), bleibt GOOD BOY als einzigartige, effektive und durch die wunderbare Darstellung Indys auch entzückende Genreperle in Erinnerung. Wau!

ONE-WAY-TICKET TO THE OTHER SIDE

ist eine Anthologie persönlicher, stilistisch sehr unterschiedlicher Kurzfilme/Musikvideos, die alle von den Songs des Debütalbums des Musikduos Pornographie Exclusive (Séverine Cayron und Jérôme Vandewattyne) inspiriert sind. Dieses Projekt bietet kurze melancholische, philosophische und auch surreale Reisen, die im Guerilla-Filmstil mit einem symbolischen Budget von nur 99 US-Dollar pro Film von mit der Band befreundeten Filmemachern realisiert wurden. Verwoben werden die einzelnen Geschichten von einer Metaerzählung zweier maskierter Misfits (Alter Egos von Cayron und Vandewattyne, die sie auch inszeniert haben), die auf einer Reise zwischen Traum und Wirklichkeit unterwegs sind. Beim SLASH fand eines der raren immersiven Livekonzerte von PORNOGRAPHIE EXCLUSIVE statt, das Cold Wave, Electro-Rock, Industrial und Ambient vereint und die Filme dabei vor der Leinwand (fast!) auf die Note genau begleitet.

ROQIA

Das Langfilmdebüt des algerischen Regisseurs Yanis Koussim feierte seine Weltpremiere in Venedig. Der Horrorfilm spielt auf zwei Zeitebenen: 1993 verliert Ahmed nach einem Autounfall sein Gedächtnis. Drei Jahrzehnte später sorgt sich ein junger Schüler um seinen alten Lehrer, einen muslimischen Exorzisten, der zunehmend an Alzheimer leidet. Während Ahmed fürchtet, sich wieder zu erinnern, bangt der Schüler davor, dass der Exorzist vergisst – und damit ein uraltes, vor 30 Jahren gebanntes Böses zurückkehrt. Koussim verbindet intime Charakterstudien mit der Reflexion der Traumata der „Schwarzen Dekade“ (1992–2002), als Algerien von extremistischer Gewalt erschüttert wurde. Mit begrenzten Mitteln erzeugt er starke Wirkung: Nahaufnahmen natürlich agierender Schauspieler, reale Schauplätze und spärliches Licht verleihen dem Film fast dokumentarische Intensität. Ein kraftvolles, beklemmendes Kinoerlebnis.

BUFFET INFINITY

Hier wird Wahnsinn à la carte serviert: Ein scheinbar harmloses All-you-can-eat-Restaurant wird zum Nabel eines albtraumhaften Strudels aus sinkenden Parkplätzen, verschwindenden Menschen und VHS-verzerrtem Grusel. BUFFET INFINITY bringt Found Footage auf ein anderes Level. Er besteht ausschließlich aus fiktiven TV-Spots, Lokalwerbung und News-Snippets – was zunächst wie Trash-TV wirkt, entwickelt sich zur hypnotischen Horrorvision über Konsum, Irrsinn und Medienmanipulation. Keine Helden, kein Plot – nur flackernde Bildstörungen, groteske Figuren und ein Grauen, das sich langsam ins Hirn frisst. Der erste Langfilmdes kanadischen Comedians und Karikaturisten Simon Glassman (er arbeitete fünf Jahre daran!) ist schrill, schräg und ziemlich clever – ein Lo-Fi-Trip in die mediale Hölle.

DEAD LOVER

Mitreißende Euphorie – zum Ersten: Eine echte Perle ist dieser große kleine Film über eine einsame Totengräberin, die im viktorianischen England endlich ihre große Liebe trifft und nach dessen Ableben beschließt, ihn aus dem Reich der Toten zurückzugewinnen. In einer anderen Welt könnte DEAD LOVER auch ein Film von Robert Eggers sein, Regisseurin und Hauptdarstellerin Grace Glowicki orientiert sich aber lieber an John Waters. Mit nur vier SchauspielerInnen und gänzlich in einfachen Kulissen realisiert, ist der Film in seiner Euphorie und Lust am Erzählen einfach unwiderstehlich.

FUCKTOYS

Mitreißende Euphorie – zum Zweiten: Regisseurin Annapurna Sriram stellte ihr Regiedebüt persönlich in Wien vor. In selbigem mit dem verführerischen Titel FUCKTOYS spielt sie selbst die Hauptrolle als Sexarbeiterin, die von einer Wahrsagerin einen üblen Fluch diagnostiziert bekommt, den sie mithilfe ihrer Ex Danni (Sadie Scott), 1.000 Dollar und eines Opferlamms wieder loswerden muss. Äußerlich wie innerlich sehr trashig, bezirzt der Film durch sein anarchisches Selbstbewusstsein, wobei so manches erzählerische Manko gerne verziehen wird.

OMUKADE

Von der Moderation als „Human Decentepede“ – ein Hybrid zwischen HUMAN CENTEPEDE und THE DECENT – angepriesen, erzählt dieser thailändische Horrorfilm von einer Handvoll japanischer Soldaten, die 1941 mit einigen thailändischen Zwangsarbeitern in einer Höhle verschüttet werden, die das Jagdrevier eines gigantischen, menschenfressenden Tausendfüßlers ist. Das Regieduo Chalit Krileadmongkon und Pakphum Wongjinda ist bei der Österreichpremiere seines unterhaltsamen und technisch aufwendigen Films anwesend, der ein wahres Fest der Jump-Scares ist. Im Kleinen mangelt es aber an kohärenter Dramaturgie und einer gut etablierten Hauptfigur, sodass OMUKADE über die Laufzeit ein wenig monoton wird.

HANDSOME GUYS

Außenwirkung – zum Ersten: Zwei grobschlächtig wirkende Brüder (Lee Sung-min und Lee Hee-joon) wollen ein einsam gelegenes, verfallenes Haus renovieren. Für die hippen Kids, die nebenan Party machen, wirken sie wie Serienmörder, blöd nur, dass die jungen Leute nach und nach schreckliche Unfalltode sterben, sodass deren Angst für Außenstehende tatsächlich berechtigt zu sein scheint. Das koreanische Remake von TUCKER & DALE VS. EVIL nimmt den Kultfilm von 2010 und erweitert ihn minimal um eine übernatürliche Zutat, ist aber ansonsten genauso unterhaltsam wie das Original – ein willkommener Crowd-Pleaser auf dem SLASH.

DRAGONFLY

Außenwirkung – zum Zweiten: Im Gespräch mit Regisseur Paul Andrew Williams über seinen Film erzählt Moderator Severin Fiala (selbst Regisseur, u. a. DES TEUFELS BAD), das er lange nicht gewusst habe, ob DRAGONFLY zum SLASH passt. Das tut er, auch wenn dieser schöne Film über eine unerwartete Annäherung zwischen einer alten und einer jüngeren Frau (Andrea Riseborough und Brenda Blethyn), die zunächst nichts gemeinsam haben als zufällig Nachbarinnen zu sein, als stilles Sozialdrama beginnt. Doch auch hier ist der Blick von außen auf die ungewöhnliche Freundschaft misstrauisch und führt schließlich dazu, dass alles, was gut sein könnte, zerbricht. DRAGONFLY ist ein Meisterstück, basierend alleine auf der Idee, in der Pandemie einen Film unter einfachen Bedingungen realisieren zu können – was das Resultat umso beeindruckender macht.

BULK

Regisseur Ben Wheatley (KILL LIST, SIGHTSEERS) war schon mit einigen Filmen auf dem SLASH zu Gast, umso schöner, dass er seinen neuen Film BULK persönlich vorstellt. Der zurückhaltende, trockene Humor des sympathischen Briten im anschließenden Q&A ist ein Highlight, sein neuer Film ist das leider weniger. Die tolle Besetzung – Alexandra Maria Lara und Ehemann Sam Riley sowie Noah Taylor – kämpft sich durch mehrere Metaebenen eines verkopften, postapokalyptischen Agenten-Plots, der mit absichtlich (?) minimalistischem Aufwand in 4 : 3 auf iPhones gedreht wurde und dessen daraus resultierender trockener Stil es fast unmöglich macht, der Handlung folgen zu wollen.

RABBIT TRAP

Folk-Horror zum Ersten: Ein englisches Künstlerpaar (Dev Patel und Rosy McEwen) zieht sich in den 70er-Jahren in ein einsam gelegenes Haus auf dem Land zurück. Dort treffen sie auf einen seltsamen Jungen, dessen Hilfsbereitschaft zunächst willkommen ist, die sich nach und nach aber als Zwang herausstellt, ein fester Teil im Leben des Paares sein zu wollen. RABBIT TRAP lebt von schönen Bildern und einer eindringlichen Tonebene und ist dadurch ebenso verführerisch wie der von der Schauspielerin Jade Croot eindringlich porträtierte Junge und erzeugt unterm Strich eine spannende filmische Allegorie über das Zusammenleben des Menschen mit der von ihm gefährdeten Natur.

HOLY BOY

Folk-Horror zum Zweiten: Der ausgebrannte Ex-Ringer Sergio (Michele Riondino) kommt als halb motivierter Sportlehrer in ein Dorf in den norditalienischen Bergen. Dass dort alle seltsam gut gelaunt sind, passt dem Griesgram nicht wirklich, bis er den Grund für die allumfassende Euphorie erkennt. Ein schüchterner Junge im Ort (Giulio Feltri) kann durch eine einfache Umarmung mit ihm alle negativen Gefühle vertreiben. Um ihn herum hat sich eine Art Kult entwickelt, doch stellt der Film von Regisseur Paolo Strippoli die berechtigte Frage, wie sinnvoll es ist, Ängste und Trauer einfach wegzuschieben anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

DEATHGASM II – GOREMARGEDDON

Zum finalen Wochenende lädt das SLASH zur „Nacht der 1000 Messer“, und diese beginnt dieses Jahr mit der Fortsetzung des gelungenen Heavy-Metal/Horror-Hybrids von 2015, erneut von Regisseur Jason Howden. Zehn Jahre nachdem der Metalhead Brodie (Milo Cawthorne) die Welt um sich mittels eines okkulten Textes in eine Dämonen-Apokalypse gestürzt und dann wieder davor gerettet hat, droht ihm die Notstandhilfe gestrichen zu werden. Also möchte er mit ebenjenem Fluch damals verstorbene Mitstreiter ins Leben zurückholen, um mit ihnen bei einem Band-Wettbewerb nicht nur Geld, sondern auch das Herz seiner Ex (Kimberley Crossman) zurückzugewinnen. Auch wenn Teil eins nicht der anspruchsvollste Film aller Zeiten war, machte er verdammt viel Freude. Die ansteckende Leidenschaft ist auch in der Fortsetzung spürbar – und wird vom noch fitten SLASH-Publikum am Beginn dieser langen Nacht euphorisch abgefeiert. Jedoch ist der unschuldige Charme des Originals einem noch brachialeren Humor gewichen, der die Grenzen der Fremdscham nicht nur einmal überschreitet und eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Figuren und der Handlung aufkommen lässt.

Lucas Vossoughi & Patrick Winkler

(c) Festivalbilder Teresa Wagenhofer

SLASH – DAS FESTIVAL DES FANTASTISCHEN FILMS 2025 – DIE RÜCKSCHAU