Bevor Naoko Yamada ihren Weg zum Film fand, suchte sie sehr lange während ihrer Schul- und Studienzeit nach Dingen, die sie interessierten. Neben ihrer Passion für Animes und die Kinofilme, die das Lichtspielhaus in ihrer Heimat zeigte, waren dies Tennis, Volleyball und Fotografie. An der Kyoto University of Art and Design studierte sie Ölmalerei, war aber auch Mitglied in einem Special-Effects-Club. In Interviews über ihre Arbeit erklärt sie, in erster Linie stehe für sie die Perspektive ihrer Figuren im Mittelpunkt und nicht ein spezifisches Thema oder eine Agenda. Ihre Figuren versuchen ihren Weg in der Welt zu finden, probieren sich aus und verlaufen sich dabei auch das ein oder andere Mal, was sie sicherlich sympathisch für den Zuschauer macht.
Wenn man Yamadas Filme betrachtet, macht diese eine Mischung aus Fantasie und Coming-of-Age-Themen aus. Egal ob bei den Figuren aus A SILENT VOICE oder LIZ UND EIN BLAUER VOGEL, immer suchen die Charaktere nach ihrem eigenen Weg in der Welt und nach ihrer Stimme, wobei sie diese Suche immer wieder in Fantasiewelten führt. Vor allem Musik spielt dabei eine wichtige Rolle, wie auch in ihrem Film THE COLORS WITHIN, der am 27. April in den deutschen Kinos anläuft und am 19. Juni in einer Standard Edition sowie einer Collector’s Edition samt Soundtrack auf den Markt kommt.
Der Film erzählt die Geschichte der Jugendlichen Totsuko. Unter ihren Klassenkameradinnen auf dem Mädcheninternat ist sie eine Außenseiterin. Totsuko verfügt über die Fähigkeit, ihre Mitmenschen als Farben wahrzunehmen, was sie immer wieder fasziniert oder manchmal auch erschreckt. Aus Angst, als noch seltsamer zu gelten, verschweigt sie gegenüber ihren Mitschülerinnen, was sie wahrnimmt, bis eines Tages während eines Völkerballspiels ein folgenreiches Ereignis passiert. Überwältigt von der Farbe, die sie in ihrer Mitschülerin Kimi sieht, denkt sie tagelang an nichts anderes, verschließt sich in ihrem Zimmer im Wohnheim und versucht, außerhalb der Schule den Kontakt mit Kimi zu suchen.
Als sie Kimi durch einen Zufall wieder in der Stadt trifft, findet Totsuko heraus, dass das Mädchen sich ebenfalls als eine Außenseiterin sieht. Sie hadert mit den Erwartungen, die ihre Familie mit ihr verbindet, weshalb sie die Schule verlassen hat und zudem plant, von zu Hause wegzurennen. Gemeinsam mit dem ebenfalls sehr zurückgezogen lebenden Rui gründen sie eine Band. Was zuerst nur eine Ablenkung von ihren Sorgen ist, wird zunehmend zu einer wahren Passion für sie alle und die Songs zu einer Möglichkeit, angstfrei über all das zu sprechen, was ihnen auf der Seele brennt.
Die Themen und Figuren von THE COLORS WITHIN bilden die Basis für viele ähnliche Produktionen, wie man sie unter anderem aus dem Animebereich kennt. Wie schon in A SILENT VOICE ist es aber der erzählerische und vor allem der visuelle Ansatz, der den Unterschied ausmacht und THE COLORS WITHIN zu einem Hingucker macht. Natürlich geht die ein oder andere Wendung der Geschichte, ebenso wie so manches Bild, in den Bereich des Kitschs. Yamada findet jedoch immer wieder eine andere Ebene, die eine interessante Ebene eröffnet und der Geschichte sowie den Figuren und deren Konflikten nicht die Ernsthaftigkeit nimmt. Die Freiheit, welche Totsuko, Rui und Kimi in ihrem eigenen Leben bislang nicht finden, wird ausgelebt in der Musik, was in sehr beeindruckenden Sequenzen eingefangen wird, die bisweilen sogar Vergleiche zulassen mit Yuzuru Tachikawas BLUE GIANT. Yamada spielt mit dem Gegensatz der expressiven Kraft der Musik und den Beschränkungen und Erwartungen, mit denen die Figuren in ihrer Familie konfrontiert werden. Hier finden sich zugleich Parallelen zu dem Teenie-Kino der 80er, in dem Musik ebenfalls ein Mittel war, um aus der Falle der Konformität auszubrechen. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Musik der drei Figuren teils sehr Synthie-lastig ist, wohl kein Zufall.
Besonders im Kino wird THE COLORS WITHIN gut zur Geltung kommen, nicht nur wegen des Sounds, sondern auch wegen seiner Bilderwelten. Diese mögen nicht so weitschweifig und ausladend wie die einer Studio-Ghibli-Produktion sein, jedoch sind sie nicht weniger interessant und faszinierend. Naoko Yamada scheint von der Idee der Soundscapes inspiriert zu sein, wenn Totsuko während eines Musikstücks ganz in ihrer Farbenwelt aufgeht und sich aus dem Mischen zweier oder mehrerer Farbtöne ganz neue Ebenen eröffnen.
THE COLORS WITHIN ist ein Coming-of-Age-Drama, das gerade in technischer Hinsicht überzeugt. Naoko Yamada erschließt thematisch nicht unbedingt neue Aspekte, hat aber einen interessanten audiovisuellen Ansatz, der gerade in den Musiksequenzen punktet. (Rouven Linnarz)
Bunt, froh, berührend und viele nette Songs