Von Jessica Wittmann-Naun
Von vielen sehnsüchtig erwartet, von anderen schon ungesehen abgelehnt. Die Neuauflage von THE CROW war Thema einiger Diskussionen, bevor die Krähe überhaupt die Chance hatte, ihre Schwingen auf der Leinwand auszubreiten. Am 5. September feierte der Film in München Premiere und zeigte: Mit brutaler Action, messerscharfer Ästhetik am Puls der Zeit und einem brillanten Cast hat er das Potenzial, viele Zweifler Lügen zu strafen – sofern sie ihm die Chance dazu geben.
Bei der Premiere von THE CROW in der ASTOR Filmlounge im ARRI herrschte buntes oder, bezogen auf die Garderobe, eher dunkles Treiben. Passend zum Film konnten sich die geladenen Influencer, lokalen Promis und anderen Gäste ablichten und sich dank AI auf einem Foto in die Hauptdarsteller verwandeln lassen. Dann noch kurz einen kühlen Drink, je nach Geschmack den „The Crow“ oder als alkoholfreie Variante den „The Shelly“ und es ging in den Kinosaal, wo Leonine-CEO Fred Kogel zusammen mit Joe Neurauter (CEO Penzing Studios, Executive Producer), Philipp Kreuzer (maze Pictures, Executive Producer) und Produzent John Jencks (Electric Shadow Company), das Premierenpublikum begrüßte. Jencks fasste dabei zusammen: „Der Film ist für jeden gemacht, der schon mal jemanden verloren hat.“ und erinnerte auch daran, dass dieser den verstorbenen Produzenten Samuel Hadida und Edward R. Pressmann, Produzent des Originals, gewidmet sei.
Das Erbe von THE CROW ist übermächtig. Der Kultstatus des Films aus dem Jahr 1994 unter der Regie von Alex Proyas ist in der Popkultur nicht nur verankert, sondern geradezu zementiert. Brandon Lee in der Rolle der Titelfigur ist bis heute eine Ikone. Der Fankult ist ungebrochen und die Anhänger verteidigen ihre Liebe zum Original inbrünstig. Das Material auch nur anzutasten, wäre schon ein Tabu, so lauteten viele Stimmen. Wo Fanliebe ist, ist eben auch glühende Leidenschaft. Rupert Sanders wagte sich daher mit der einzig möglichen Perspektive an seine Version des Klassikers: einer völlig neuen. Das Ergebnis ist weder ein Remake noch ein Sequel, sondern eine radikale Neuinterpretation des Materials. THE CROW im Jahr 2024 teilt sich mit der 30 Jahre älteren Version aber eines: die Wurzeln in der Graphic Novel von James O’Barr. Und genau hier liegt das kreative Risiko des Films, das sich meiner Meinung nach absolut ausgezahlt hat.
Stärkerer Fokus auf der Liebesgeschichte
THE CROW im Jahr 2024 stellt das in den Mittelpunkt, was wir im ersten Teil nur rudimentär zu sehen bekommen, obwohl es das zentrale Motiv der Story ist: die Liebesgeschichte zwischen Eric Draven (Bill Skarsgård) und Shelly Webster (FKA Twigs). Statt nur durch einzelne Flashbacks und Fragmente erzählt, wird der Ursprung beleuchtet: zwei verlorene Seelen, die sich in einer Reha-Klinik für Drogensüchtige (die Insassen sind in erstaunlich farbenfrohe rosa Jogginganzüge gesteckt) kennenlernen und schicksalhaft verlieben. Gemeinsam fliehen sie, um sich dann vor Bösewicht Vincent Roeg (Danny Huston) zu verstecken. Warum genau, weiß Eric zu dem Zeitpunkt noch nicht, es scheint den liebestrunkenen Hünen aber auch nicht sehr zu interessieren.
Natürlich wird die düster-romantische Liebesblase von Eric und Shelly auch durch einige klischeegetränkte Bilder erzählt. Dies aber durchaus gelungen, auch wenn es ein paar kleine Fragezeichen gibt. Wie etwa das leerstehende mondäne Apartment von Shellys Bekanntem, der in Antigua weilt, aber netterweise seine Luxus-Boxershorts für Eric dagelassen hat. Die Optik des Paares wirkt an der ein oder anderen Stelle etwas zu gewollt – trotz Drogenproblem sehen sie aus wie das blühende Leben, perfekt trainiert, einige Hipster-Anleihen in der Garderobe. Aber wir schauen hier auch einen Fantasy-Film und kein Reality TV. Erics Tattoos à la Post Malone und der Vokuhila funktionieren erstaunlicherweise mit Fortgang des Films für mich immer besser. Dass Bill Skarsgård diesem doch etwas schrägen Look die Komik nimmt, verdankt er seinem schauspielerischen Können und der Ernsthaftigkeit, die er in den Charakter legt.
Eine Filmwelt glänzend wie schwarzes Vinyl
Die Geschichte der verlorenen Seelen, die füreinander Anker und Sturm zugleich sind, ist nicht neu, sie funktioniert aus gutem Grund immer wieder. Die Amour fou bietet eine Projektionsfläche für dunkle Sehnsüchte. Liebe, Schmerz, Ekstase – ein leidenschaftlicher Tanz am Abgrund. Sich ineinander verlieren. Gemeinsam gegen den Rest der Welt. Das alles getaucht in düsterromantische Bilder, die auch das hohe technische Niveau der Produktion zeigen: tiefe Häuserschluchten, schwere Regentropfen und nasser Asphalt, konspirative Krähen, die ihre Kreise ziehen. All das erschafft einen Neo-Noir-Look und eine Welt so glänzend wie schwarzes Vinyl, die an BATMAN und JOHN WICK erinnert und einfach Spaß macht.
Die erste Hälfte des Films hätte man an der einen oder anderen Stelle noch straffen können, dennoch ist sie nötig, um die Dynamik aufzubauen und das in den Mittelpunkt zu stellen, was den zweiten Teil und das Kernthema ausmacht: Die Auferstehung und Verwandlung von Eric in „The Crow“ und sein Motiv für den Rachefeldzug. Hier gibt es wieder die Brücke zum Original: Eric und Shelly werden von Vincent Roegs Handlangern ermordet, weil Shelly in Besitz eines für ihn gefährlichen Videos ist. Eric kehrt als die Krähe zurück, um Shellys Tod zu rächen und gar einen schicksalhaften Seelentausch auszuhandeln. Ab hier nimmt der Film ordentlich Fahrt auf und Bill Skarsgård ist wieder ganz in seinem düsteren Element. Insbesondere die mehrere Minuten lange Action-Sequenz in der Oper hebt THE CROW nochmal auf ein neues Level: eine wahre Symphonie des Gemetzels, die perfekt inszeniert ist und das Herz jedes Splatter-Fans höherschlagen lässt. Das gleiche gilt meiner Meinung nach auch für den Soundtrack, der die Stimmung und Themen des Films zu jeder Zeit perfekt unterstreicht, etwa mit dem punkigen „Disorder“ von Joy Division, oder dem melancholischen „Meaning“ von Cascadeur.
Kleine Makel ändern nichts am gelungenen Gesamteindruck
Einige Abzweigungen des Plots und Nebenfiguren sind überflüssig, es gibt ein paar redundante oder auch ungewollt komische Momente (vor allem wenn Eric sich zum wiederholten Mal in der Zwischenwelt wiederfindet), mancher Dialog hätte noch etwas Feinschliff gebraucht oder funktioniert in der Originalversion besser. Insbesondere bei Eric hört es sich in der deutschen Fassung manchmal zu sehr nach betont lässiger Jugendsprache an. Nichtsdestotrotz: THE CROW schafft den Sprung von der Ikone der Neunziger zum aktuellen Zeitgeist. Der Film emanzipiert sich vom Original als eigenständiger Rache-Thriller am Puls der Zeit – mit einer düsteren Lovestory, Action und perfekt orchestrierten Splatter-Momenten. Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern funktioniert und Bill Skarsgård hat sich als würdiger Action-Antiheld bewiesen.
Das sah meiner Wahrnehmung nach auch der Großteil des Premierenpublikums in München so. Es gab nicht nur Applaus nach dem Film, sondern auch viele positiv überraschte Stimmen. Insbesondere die Action und die Ästhetik sorgten für Begeisterung. Natürlich bleibt die Liebe für das Original groß und für immer. Getreu dem Motto von THE CROW: True love never dies. (Jessica Wittmann-Naun)