Langsam und unheilschwanger verdunkelt sich der Raum, während die Jalousien heruntergelassen werden und das von Schlaflosigkeit gezeichnete Augenpaar noch ein letztes Mal vom Tageslicht getränkt aufblitzt, bis es endgültig eine tiefschwarze Allianz mit der Abgeschiedenheit des Zimmers eingeht. Die blauen Wellenlängen des Lichtes, mit dem LEDs den dort thronenden Laptop beleuchten, treffen jene Netzhaut und stimulieren sogleich wieder das Nervensystem. An Schlaf ist nun schließlich auch nicht zu denken. Es gilt, einen Krieg zu führen, denn das Lager ist gespalten, die Gemüter erhitzt, und da die Feder immer noch mächtiger ist als das Schwert, werden noch mal die Fingerknöchel geknackt, um dann wutschnaubend in die Tasten zu hauen. Von „der letzte Dreck“ über „Blasphemie“ bis hin zu „ich spreche euch jedwede Empathie ab“ fliegt die virtuelle Munition von Kritik zu Kritik, von Kommentar zu Kommentar. Freundschaften sowie der gesunde Menschenverstand werden infrage gestellt, während sich die Front des Shitstorms an der Bastion der Fangemeinschaft bricht. Es scheint so, als wäre der „Versus-Gedanke“ von der großen Leinwand direkt in die Köpfe der Rezipienten eingepflanzt worden, die daraufhin ihren Sturm im Wasserglas destruktiv wüten lassen. Kein Film hat in letzter Zeit wohl so stark polarisiert wie Zack Snyders BATMAN V SUPERMAN. Dabei kommt es bei der Wirkung eines Films gar nicht so sehr auf allgemeingültige Kritikpunkte an, sondern eher auf die individuelle Verfassung des Betrachters. Die gegenwärtige Stimmung, die Erwartungshaltung, prägende eigene Erfahrungen, welche bei bestimmten emotionalen Aspekten einfach eine wichtige Rolle spielen. Was für die einen Emotionspornografie par excellence ist, erreicht die anderen dafür genau dort, wo sie abgeholt werden wollen. Was für den einen furchtbar prätentiös wirkt, sind für den anderen ikonische Bilder mit Gänsehaut-Garantie. Einerseits ist es ja total toll, dass man anscheinend trotz Terror, „Flüchtlingskrise“ und Böhmermann-Affäre in seinem Alltag immer noch nicht so eingeschränkt ist, wie uns die (keine) AfD unbedingt suggerieren will, und man noch genug Zeit hat, aufgrund solch marginaler Dinge wie jener Superheldenkonfrontation einen riesigen Streit vom Zaun zu brechen. Andererseits zeigt uns dies mal wieder, wie wenig doch notwendig ist, um aus Freunden Feinde werden zu lassen, die sich gegenseitig (verbal) in Grund und Boden stampfen. Wenn die Unterhaltungsindustrie schon solche Anfeindungen hervorruft, wie weit würde es gehen, wenn wir auf politischer Ebene in globale Konflikte involviert wären? Mit dieser Frage konfrontiert uns der thematisch ähnlich wie Snyders Adaption gelagerte CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR, der die mittlerweile dritte Phase des MCU (Marvel Cinematic Universe) einläutet. Nachdem Mastermind Joss Whedon in AVENGERS: AGE OF ULTRON unsere Sinne zuletzt erneut mit nahezu größenwahnsinnigem Effekt-Bombast penetrierte, dessen Schlussakkord gar eine ganze Stadt wortwörtlich in der Luft zerfetzte, erden die Regisseure Anthony und Joe Russo das Franchise wieder. Das Brüderpaar inszeniert den dritten Auftritt des Übersoldaten in jenem actiontechnisch greifbaren Agenten-Stil, der auch schon ihren THE RETURN OF THE FIRST AVENGER auszeichnete. Neben der politischen Komponente gesellt sich zudem nun auch eine sich mehr und mehr entfaltende emotionale Wucht hinzu, die die Superhelden menschlicher, verletz-, aber auch unberechenbarer macht. Kollabierende Häuserschluchten und die martialische Dekonstruktion ganzer Weltmetropolen weichen kerniger Arschtritt-Action und knackigen Verfolgungsjagden, die, eingebettet in ein ernsteres und düsteres Grundgerüst, genau jene mitreißende Intensität erreichen, die den Puls permanent auf sportlichem Niveau hält.
Nachdem die Avengers den Blauen Planeten vor dem fehlgeleiteten Roboter Ultron beschützt haben, folgt Steve Rogers (Chris Evans) weiterhin seiner Berufung und operiert verdeckt mit einem neu zusammengestellten Team. Als der jüngste Einsatz von ihm, Falcon (Anthony Mackie), Black Widow (Scarlett Johansson) und Scarlet Witch (Elizabeth Olson) völlig aus dem Ruder läuft, werden Zivilisten getötet, was die Vereinten Nationen auf den Plan ruft. Jene wollen eine staatlich kontrollierte Instanz, welche den Avengers übergeordnet ist und diese lenkt, um weitere Kollateralschäden zu verhindern und dem skeptischen Teil der Weltbevölkerung die Angst vor jenem Unbekannten zu nehmen. Während Tony Stark (Robert Downey Jr.), der von Schuldgefühlen ob der zivilen Opfer seines letzten Iron-Man-Einsatzes zerfressen wird, dieser Doktrin zustimmt, will Rogers unabhängig bleiben. Bald schon spaltet sich das Team in zwei Lager, und es brodelt hinter den Kulissen mächtig. Als sich die Lage immer weiter zuspitzt, tritt mit Baron Zemo (Daniel Brühl) eine mysteriöse weitere Figur in Erscheinung, die nicht nur Öl ins Feuer gießt, sondern dabei auch ihre ganz persönlichen Ziele verfolgt. Eine heftige Konfrontation zwischen den einstigen Freunden, welche schließlich durch War Machine (Don Cheadle), Hawkeye (Jeremy Renner), Vision (Paul Bettany), den Winter Soldier (Sebastian Stan) und erstmals Black Panther (Chadwick Boseman) sowie Ant-Man (Paul Rudd) und Spider-Man (Tom Holland) ergänzt werden, scheint unausweichlich.
Heiliger Infinity-Stein, was für ein Namedropping! Bereits beim Verfassen der Credits fiel es dem Autor etwas schwer, überlegt zu selektieren, welche Berühmtheit aus Platzmangel dort noch mit eingeflochten werden soll. Auch wenn Thor (Chris Hemsworth) und Hulk (Mark Ruffalo) nun bei diesem gefühlten „Avengers 2.5“ nicht dabei sind, haben es derart viele Superhelden in die dritte Soloauskopplung von CAPTAIN AMERICA geschafft, dass man Gefahr laufen könnte, das Werk zu überfrachten. Erinnern wir uns an AGE OF ULTRON, so war dort genau das der kleine Stolperstein, der die etwas überladene Geschichte ein kleines bisschen holprig werden ließ. Zum Glück gelingt den Regiebrüdern in CIVIL WAR eine nahezu perfekte Balance zwischen all den differenzierten Kräften, die das Werk spielerisch hätten zum Bersten bringen können.
Das bereits in dem großen Bogen umspannende, etablierte Team der Avengers ist einem mittlerweile wohlig vertraut, die miteinander verzahnten Filme greifen hier erstmals vollends auf ihre stabil geschaffene Basis zurück, ohne dass eine Figur fremd wirkt. So fügt sich gleich zu Beginn auch die erst in AGE OF ULTRON dazugestoßene Scarlet Witch perfekt in die harmonierende Rächer-Vereinigung ein und peppt die authentische Jason-Bourne-Action mit ihren mystischen Kräften fantastisch auf, ohne die geerdete Prämisse dabei allzu sehr zu konterkarieren. Die physische Wucht der Kontrahenten ist in solchen Momenten bis in die hintersten Kinoreihen spürbar und dringt tiefer in die Magengrube als jede noch so groß angelegte Städtezerstörung. Wenn dann der Einsatz plötzlich aus dem Ruder läuft und wir anschließend in Person des Secretary of State (William Hurt) noch mal alle menschlichen Kollateralschäden der Avengers-Einsätze vor Augen geführt bekommen, so sind dies Kriegsbilder, welche in der momentan politisch sehr angespannten Lage erschreckend aktuell und beklemmend wirken. Überhaupt wird der Spaßfaktor einhergehend mit dieser den Film ummantelnden Thematik ordentlich heruntergeschraubt. Auch wenn hier und da noch Platz für ein kleines humorvolles Scharmützel ist, so fällt gerade bei der sonst so zynischen und narzisstischen Figur des Tony Stark auf, wie ihm die Konfrontation mit einem der Opfer emotional zusetzt und ihm beinahe jeden süffisanten Schabernack austreibt. In sich gekehrt und fast schon apathisch verteidigt er die Doktrin der Politik, welche er mit aller Macht durchsetzen will, auch wenn sein Freund Steve Rogers völlig anderer Meinung ist. Während sich die Helden im Zuge dessen in zwei Lager spalten, lernen wir den von Deutschland-Export Daniel Brühl (INGLOURIOUS BASTERDS) enigmatisch verkörperten Zemo kennen, der für das Einholen von Informationen über Leichen geht. Den bis zuletzt völlig nebulösen Gegner umgibt dabei eine dunkle Aura, welche sich auch dann nicht erhellt, wenn seine Motivation offenliegt. Brühl macht seine Sache dabei ganz ordentlich, auch wenn er durchgehend im Verborgenen agiert und seine Gegner lieber intrigant aufeinanderhetzt, als sich auf eine direkte Konfrontation einzulassen.
42 – DIE WAHRE GESCHICHTE EINER SPORTLEGENDE-Star Chadwick Boseman ist als Black Panther der Neuzugang mit der größten Leinwandpräsenz und wird erfreulicherweise nicht einfach nur als ein mit netten Gimmicks ausgestattetes Bonbon in das Superhelden-Potpourri geworfen, sondern erhält eine ganz elementare Storyline, die sich perfekt in die Kernthematik des Films einfügt. Rache, Vergebung, Familie und Vergangenheitsbewältigung sind die emotionalen Stützpfeiler von CIVIL WAR, welche die Konfrontation der Avengers glaubhaft, menschlich und vor allen Dingen komplett nachvollziehbar machen. Man ist hin- und hergerissen zwischen all jenen Figuren, deren Antrieb man stets verstehen kann, was die endgültige Kulmination so mitreißend, intensiv und mitunter schmerzhaft macht. Die Ambivalenz aller Charaktere ist dabei das Zünglein an der Waage, und so glaubt man ihnen, wenn sie ihrem Schicksal folgen müssen, auch wenn ihr Herz dabei blutet und sie einem Freund wehtun müssen. Diesem geerdeten Konzept bleibt sich der Film konsequent treu und begeht nie den Fehler, alles zugunsten großer, überbordender Actionsequenzen über Bord zu werfen. Einmal mehr ist die tragischste Figur der Geschichte dabei Rogers‘ alter Freund Bucky Barnes alias Winter Soldier, den nicht nur die Dämonen der Vergangenheit einholen, sondern der erkennen muss, dass er sich nicht mal vor sich selber schützen kann. Umso wuchtiger ist dann die Szenerie, wenn im großen Kampf beide Seiten am Leipziger Flughafen aufeinanderprallen und sich mit allen Mitteln bekriegen, die ihnen als „Übermenschen“ zur Verfügung stehen. Hier treffen dann auch Tom Holland (IM HERZEN DER SEE) als Spider-Man und Paul Rudd in Form des Ant-Man auf den Rest der Crew und geben dem Affen ordentlich Zucker. Hier blitzt zum ersten und einzigen Mal in CIVIL WAR jene Leichtfüßigkeit auf, die wir von Marvel bisher so gewohnt sind. Tom Holland macht seine Sache dabei richtig gut, denn sein „Spidey“ ist trotz aller Bewunderung für die großen Avengers frech und buchstäblich nicht nur verbal entwaffnend. In dieser Kombination taut auch Iron Man etwas aus seiner depressiven Schockstarre auf, und es schimmert jener Schalk durch, der für Tony Stark bisher stets obligatorisch war. Paul Rudd sorgt als Ant-Man dann auch nach seinem letztjährigen Soloauftritt erneut für die originellsten Szenen, während ein besonderer Moment ganz ihm gehört, der sich jedoch in dem sonst so geerdeten Spektakel wie ein Fremdkörper anfühlt. Als einen Stilbruch könnte man es noch ein bisschen schärfer formulieren, mindestens ist jene Sequenz allerdings irritierend, auch wenn sie mit der Comicvorlage konform geht. Wenn die Geschichte dann ihren letzten entscheidenden Stich setzt, schließt sich der Kreis und trifft sowohl die Figuren als auch den Zuschauer mit voller emotionaler Intensität und hebt die Auseinandersetzung auf ein komplett neues Level.
Den Regiebrüdern Anthony und Joe Russo ist nach dem großartigen CAPTAIN AMERICA: WINTER SOLDIER erneut ein Film gelungen, der mit zum Besten gehört, was an Comicadaptionen jemals auf der großen Leinwand zu bestaunen war. In kinetisch perfekt inszenierter Action treffen geerdete Martial-Arts-Fights auf Superheldenbombast, während die emotionale Komponente mit spritzigem Witz und großem Drama fesselt. (Daniel Gores)
Ein weiterer Höhepunkt aus der Marvel-Schmiede