TO KILL A MAN ist wahrlich ein bedrückender Film. Hoffnungslos der Brutalität seines Peinigers ausgeliefert, beschließt ein Familienvater, der Bedrohung ein gewaltsames Ende zu setzen und seinen Feind ein für allemal zu beseitigen. Doch wirklich besser geht es ihm danach nicht. Mit der DEADLINE sprach TO KILL A MAN-Regisseur Alejandro Fernandéz Almendras beim Filmfest München 2014 ausführlich über das Thema Gewalt und die Frage, inwieweit Rache wirklich glücklich machen kann. Zudem berichtet er, inwieweit er bisher selbst Opfer von Gewalt wurde und weshalb er seinen Film für ein wichtiges Gegenstück zum typischen Hollywood-Krawallkino hält.
DEADLINE:
TO KILL A MAN basiert ja auf einer wahren Begebenheit. Welche Änderungen musstest du hinsichtlich der filmischen Umsetzung vornehmen?
Alejandro Fernández Almendras:
Es waren vor allem Kleinigkeiten. Unter anderem habe ich die Namen der beteiligten Personen angepasst, sodass man am Ende nicht sagen kann, dass eine reale Geschichte filmisch dargestellt wurde, sondern als Inspiration diente. Das tatsächliche Ereignis ist lediglich der Ausgangspunkt für die Geschichte. Im Falle von TO KILL A MAN ist es so, dass die wahren Ereignisse mit dem Film bis zu der Szene sehr genau übereinstimmen, in der das Mädchen vom Peiniger der Familie angegriffen wird. Danach ist unter anderem ein Unterschied, dass in der Realität Vater und Sohn die Tat gemeinsam begehen, im Film aber nicht. Die beiden machten das auf eine sehr unbeholfene Art und Weise, was ich auch in TO KILL A MAN unbedingt darstellen wollte. Als die Polizei irgendwann feststellte, dass der eine Typ vermisst wird, haben die beiden geradeheraus zugegeben, die Tat begangen zu haben, wobei der Vater die Hauptschuld auf sich geladen hat. Er wurde zu ungefähr 20 Jahren Haft verurteilt und hat davon bereits in etwa die Hälfte abgesessen. Der Sohn musste hingegen nur 5 Jahre in den Knast. Beide Figuren habe ich im Film aber zu einer gemacht, weil ich die Schuld, welche die beiden sich aufladen, in einer Person konzentrieren wollte. Es hätte die Energie des Films zerstört, wenn du aus einem zwei Täter gemacht hättest. Es wäre kein Film über jemanden geworden, der einen anderen Menschen tötet, was ich aber unbedingt machen wollte, sondern ein Familiendrama. TO KILL A MAN sollte sich speziell darauf konzentrieren, was für eine Schuld man auf sich lädt, wenn man jemand anderen umbringt.
DEADLINE:
Dadurch, dass man die Geschichte auf eine Person konzentriert hat, ist sie für den Zuschauer auch wesentlich besser nachzuempfinden, oder?
Almendras:
Absolut. Mein Ziel war es, dass der Zuschauer in dieselbe gedankliche Situation versetzt wird wie der Protagonist. Es sollte ein sehr persönlicher Film werden, damit man sich in die Ereignisse besser einfühlen kann.
DEADLINE:
Inwieweit kannst du die Tat von Vater und Sohn nachvollziehen?
Almendras:
Als ich begonnen habe, an diesem Film zu arbeiten, war ich sehr davon überzeugt, dass diese Männer das absolut Richtige getan haben. Im Nachhinein realisierte ich aber, dass ich selbst nicht dazu in der Lage war, mich in ihre Situation hineinzuversetzen, weil ich so etwas selbst nie getan habe. Meiner Meinung nach rechtfertigt TO KILL A MAN auch nicht die Tötung des Mannes, aber er bringt dich in eine Situation, in der du selbst dazu neigst, diesen Menschen umbringen zu wollen. So nach dem Motto: „Nun töte ihn doch endlich! Er hat es verdient! Worauf wartest du noch?“ Wir haben den Film auch in den USA, in Miami, gezeigt, und dort haben fast alle Menschen genau so reagiert. Die Zufriedenheit, die du nach der Erfüllung deines Wunsches erwartest, stellt sich aber nicht im Geringsten ein, wahrscheinlich deshalb, weil du das Gefühl erhalten hast, doch nicht etwas Richtiges getan zu haben. Man fragt sich plötzlich, ob man das selber auch so getan hätte. Ich finde es sehr interessant, wenn man aus einem Film herauskommt und nicht genau weiß, was man über ihn bzw. seine Hauptfigur denken soll.
DEADLINE:
Was änderte deine Meinung dahingehend, dass die Selbstjustiz doch nicht gutzuheißen ist?
Almendras:
Ich hatte stets das Gefühl, dass etwas an dem, was Jorge macht, falsch war. Dennoch hegt man Sympathien für diesen Menschen. Der Mann wusste selbst, dass er etwas Falsches macht. Er war sehr unbeholfen, aber er wusste, was er machte. Er ist ja auch nach der Tat nochmals an den Tatort zurückgekehrt. Er war sich dessen sehr bewusst, was er da tut, aber trotzdem hat er für sich einen Weg gefunden, seine Tat zu rechtfertigen. An einem gewissen Punkt habe ich erkannt, dass ich dem Film keine Moral zu sehr aufdrücken darf, sondern der Charakter von selbst wachsen muss, da ich mich nicht wirklich genau in den Charakter einfühlen konnte. Es wäre für mich als Filmemacher auch aus moralischer Sicht nicht in Ordnung gewesen, das Verbrechen als gerechtfertigt oder gar gut darzustellen, da es sich nun mal um ein realistisch dargestelltes Verbrechen handelt. Für jemand Gutes zu fühlen, der etwas Schlechtes getan hat. Deswegen ging es mir darum, genau das Gegenteil darzustellen, dass Jorge sich nach der Tat nicht wie erhofft besser, sondern noch schlechter fühlt.
DEADLINE:
Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit der Tat, dass seine Familie Jorge nicht als richtigen Mann angesehen hat?
Almendras:
Das ist für den Film sehr wichtig. Ich denke, es ist eine der Hauptfragen und eines der Probleme des Films: Wie sieht das Image eines “echten Mannes“ aus‘? Und warum ist das so? Und ist das wirklich ein gutes bzw. richtiges Bild, welches da gezeichnet wird? In Actionfilmen und Thrillern ist ein richtiger Mann immer der, der für die Unterdrückten aufsteht und sagt: So geht es nicht weiter! Dieses Bild entspricht jedoch meistens nicht wirklich der Realität. Vielmehr ist es so gut wie immer so, dass wir Feiglinge sind, wenn wir mit bedrohlichen Situationen wie diesen konfrontiert werden. Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen. Ich denke auch nicht, dass es richtig ist, zu versuchen, jeden Menschen in diese Richtung zu bugsieren. Besser wäre es meistens, sich einfach so zu verhalten, als würde einen das Geschehene nicht interessieren. Denn wenn man auf die Gewalt der anderen zu sehr eingeht, ist die Gefahr, selbst gewalttätig zu werden, extrem groß, was dann in einem nicht endenden Kreislauf mündet. Ich habe den Mann, auf dem dieser Film basiert, mehrfach im Gefängnis gesprochen. Eines Tages erklärte er mir ebenfalls, dass er nach all den Jahren realisiere, dass es für ihn und seine Familie wesentlich einfacher gewesen wäre, schlicht in eine andere Stadt zu ziehen. Im Filmbusiness, vor allem aber natürlich in unserer Gesellschaft selbst wird so etwas jedoch leider als Feigheit abgetan, sodass es dann oft zu anderen Reaktionen kommt, auch weil man sich selbst als Feigling wahrnimmt. Man meint, kein richtiger Mann zu sein, sodass man am Ende Gewalt mit Gewalt bekämpft. Das ist die zentrale Frage des Films, denn mein Protagonist ist eigentlich kein gewalttätiger Kerl, sondern einer, der sich dazu verleiten lässt. Insofern sollte man sich wirklich die Frage stellen, was es tatsächlich bedeutet, ein richtiger Mann zu sein.
DEADLINE:
Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern, damit sich ein Mann wie Jorge nicht mehr dazu genötigt sieht, eine solche Tat zu begehen?
Almendras:
Dies ist eine Frage der persönlichen Einstellung. Die Justiz kann vieles regeln. Aber es gibt bestimmte Bereiche, da können auch die nichts machen. Beispielsweise wenn es zu häuslicher Gewalt kommt. Die Frage, die sich eine Frau stellen muss, die von ihrem Ehemann geschlagen wird, ist: Bekämpfe ich diesen Mann, oder trenne ich mich und ziehe woanders hin? Die Polizei kann da nur im Nachhinein eingreifen, der Hauptpunkt ist deine persönliche innerliche Einstellung. Die Justiz wird da nichts verändern. Vielleicht schicken sie deinen Mann mal wieder ins Gefängnis. Aber danach kann er genauso gut wiederkommen und dir noch wütender gegenübertreten. Man darf sich also nicht nur auf die Justiz verlassen bzw. darauf ausruhen, sondern muss auch selbst tätig werden.
DEADLINE:
Hast du selbst schon mal Erfahrungen mit Gewalt gemacht?
Almendras:
Ja klar. Vor etwa einem Monat war ich in Kolumbien, wo mich mitten auf der Straße ein Kerl mit einem Messer in der Hand ausrauben wollte. In dem Moment sagte ich ihm einfach: „Halt die Klappe und hau ab!“ Er wollte mein Handy, aber ich habe es ihm nicht gegeben, sondern gesagt: „Sorry, aber ich brauche das Telefon noch.“ Ich konnte nur deshalb so reagieren, weil ich gemerkt habe, dass der Typ voll auf Drogen ist und eh nichts gegen mich hätte ausrichten können, da ich deutlich schneller hätte davonrennen können als er.
DEADLINE:
Dennoch gehört eine Menge Mut dazu, sich auf diese Weise zu wehren. Nicht jeder hätte das gekonnt.
Almendras:
Das stimmt schon. Aber normalerweise bin ich auch nicht der Typ, der so cool reagiert. Das war nur in diesem Fall so. Ich bin bereits zweimal ausgeraubt worden, einmal in Lima, und da hatten sie eine Pistole auf mich gerichtet. In dieser Situation habe ich natürlich nicht zu diskutieren angefangen. (lacht) Ein anderes Mal gab es eine Gang, da bin ich um mein Leben gerannt und habe an fremde Türen geklopft, damit ich irgendwo zum Schutz unterkommen konnte. Das Gefühl, das man nach solch einem Erlebnis hat, selbst wenn man noch gut davongekommen ist, ist echt beängstigend, auch wenn es eigentlich nur eine kleine Sache war. Filme zeigen uns immer große, üble Dinge, Sachen im blutigen Tarantino-Style, stets spektakulär und aufregend, aber die meisten Sachen im realen Leben spielen sich im kleinen Rahmen ab, der kaum jemandem auffällt. Auch darauf wollte ich mit meinem Film aufmerksam machen. So ist in TO KILL A MAN die mit Abstand gewalttätigste Szene die, wo die Tochter von Jorge attackiert wird. In so gut wie jedem anderen Film wäre dieser Moment nur zu einer unauffälligen Nebensächlichkeit verkommen. Auch das wollte ich mit in meinen Film einbringen: Selbst wenn die erlebte Gewalt noch so klein ist, hat sie in der Regel einen richtig großen Effekt auf dich. Das fängt schon damit an, dass man in der Schlange bei der Bank wartet und von hinten rüde geschubst wird. Auch das ist bereits eine sehr schlechte Sache und kann sehr viel Wut auslösen. Genau das wollte ich zeigen. Auf genau das wollte ich das Kino zurückbesinnen. Das ist auch der Grund, warum ich im gesamten Film nicht eine Tötung „hautnah“ gezeigt habe. Alles entsteht in deiner eigenen Vorstellung und nicht durch mich. Dadurch brennt sich der Horror noch mehr in deinen Kopf ein. Denn wenn man im Film eine Tötung oder Vergewaltigung sieht, dann weiß das Gehirn automatisch, dass es ein Fake ist. Bleibt es der Fantasie überlassen, dann ist dies nicht so.
DEADLINE:
Was mir an TO KILL A MAN besonders gefallen hat, ist die klaustrophobische Atmosphäre. Wie kam es zu der Entscheidung, äußerst wenige Cuts und wenige Kameraeinstellungen zu setzen?
Almendras:
Im Film sind die meisten Charaktere in der unteren Bildhälfte bzw. von schräg oben zu sehen. Dies entstand aus purem Zufall. Für eine bestimmte Szene hatten wir unsere Kamera bereits gezielt ausgerichtet und ausgeleuchtet, als einer der Darsteller plötzlich ins Bild lief. Zufällig befand er sich im unteren Bildausschnitt, ich sah mir das Bild an und dachte sofort, dass wir diesen Weg unbedingt weiterverfolgen müssen, da diese Kameraeinstellung den gesamten Film sehr gut charakterisiert. Immer befindet sich der Himmel oder irgendetwas anderes über ihren Köpfen, was ein Gefühl der Demut erzeugt, da man sich plötzlich wie ein Insekt fühlt, das einfach mal eben erschlagen werden könnte. Und dass wir praktisch durchgehend fixierte Frames haben, kommt auch davon und auch noch daher, dass den Zuschauer das Gefühl erreichen soll, dass sich die Protagonisten lediglich in einem kleinen Käfig aufhalten, in dem sie sich eingeengt fühlen – so wie in ihrem gesamten Leben. Durch die sich kaum bewegende Kamera wird das Bild zu einer Falle, in die die Menschen hineintappen und aus der sie nur mit Mühe wieder herauskommen. Außerdem wusste ich, dass TO KILL A MAN einen bestimmten Rhythmus haben muss, der sich von Szene zu Szene fortsetzt. Jeder Schnitt, den ich mehr gesetzt hätte, hätte diesen Rhythmus zerstört.
DEADLINE:
Apropos Rhythmus: In allen Mundharmonika-Szenen wird das Lied „Oh Susanna“ gespielt. Weshalb suchtest du dieses Lied aus, und welche Bedeutung hat es für den Film?
Almendras:
Letztlich gar keine. Der Schauspieler, der diese Mundharmonika spielt, spielte diese selbst. Und dieses Lied war so ziemlich das Einzige, welches er konnte. Wir hatten erst während der Dreharbeiten herausgefunden, dass er Mundharmonika spielen kann: In einem Nachtclub hatten wir eine Szene zu drehen, er spielte einen Typen an der Bar. Aus irgendeinem Grund lag da eine Mundharmonika herum, welche dieser Schauspieler dann in einer Drehpause zu spielen begann. Als er mir bestätigte, dass er wirklich spielen könne, forderte ich ihn auf, dies weiterhin zu tun, da es besser für ihn sei, Fernsehen zu gucken und dabei Mundharmonika zu spielen, statt zu trinken und zu rauchen. Ich mochte seine Musik sehr, weil sie sich hervorragend mit dem Charakter des Films deckt.
DEADLINE: Vielen Dank für das Interview!
Interview geführt von Heiko Thiele