Als Horrorfan hat man es wahrscheinlich nicht auf dem Schirm: das Transit Filmfest in Regensburg, das auch dieses Jahr vom 8. bis 15. November 2023 seine Pforten öffnet. Ein verhängnisvoller Fehler, liebe Freaks! Denn es sind die etwas kleineren Festivals, die das Filmherz höherschlagen lassen. Abseits von Mainstream und Multiplex kredenzt das Transit filmische Ergüsse, die mehr als nur eine Entdeckung wert sind.
Beim Transit handelt es sich um ein Festival im Wandel. Das Transit hieß früher Heimspiel und beherbergte bereits namhafte Gäste wie Ulrich Seidl, Peter Fleischmann, Roland Klick, Tom Schilling, Dominik Graf und Iris Berben. Inklusive der Heimspiel-Vorgeschichte gibt es das Festival bereits seit 14 Jahren. Seit einem Wechsel in der Leitungsebene 2020 schwingt die Medienwissenschaftlerin Chrissy Grundl das Zepter und bittet in drei traditionsreichen Programmkinos der Oberpfälzischen Metropole zum cineastischen Tango. Wegen der engen Anbindung an den Lehrstuhl der Universität Regensburg gestaltet sich das Programm hip, intelligent, anspruchsvoll und hart am Puls der Zeit. Zu Recht wurde das Festival 2023 mit dem Kulturförderpreis ausgezeichnet.
Unter dem Titel „(Nothing But) Life“ stellt das Transit in seiner kommenden Auflage die These auf: „Alles ist Symbiose!“ – du, ich, die Ameise und die Blattlaus, das Krokodil mit dem Piepmatz im Maul, die Biene und die Blume, und, ja, sogar Kino! Alles ist Symbiose und Interaktion, bedingt sich gegenseitig und wabert in einem gallertigen Glibber über die Leinwand. Das klingt abstrakt und hochgestochen, befasst sich aber lediglich mit den klassischen Sinnfragen: Wer bin ich? Was unterscheidet mich von einer Topfpflanze? Von einem Braunbären oder einer Seeanemone? Und wo ist der beste Sitzplatz im Kinosaal?
Das Transit zeigt nicht nur gute Filme, sondern auch wichtige. Fragen nach den Rahmenbedingungen unserer menschlichen Existenz stehen im Zentrum des Programms. Da dürfen aktuelle Festival-Hits wie TALK TO ME (Australien 2022) und ANIMALIA aka THE ANIMAL KINGDOM (Frankreich 2023) genauso wenig fehlen wie die Geheimtipps TIGER STRIPES (Malaysia 2023) und SHE IS CONANN (Belgien, Frankreich 2023).
Am Mittwoch, dem 8. November, geht’s los! Im Eröffnungsfilm CAMPING DU LAC (Belgien 2023) jagt eine junge Frau einen magischen Fisch und schildert sinnbildhaft die kippende Balance zwischen Mensch und Natur. Eine mysteriöse Seuche verwandelt Menschen in Tierwesen in ANIMALIA (Frankreich 2023), was das Liebesleben geschlechtsreifer Teenager empfindlich beeinträchtigt. BAD BEHAVIOUR (Neuseeland 2023) mit Jennifer Connelly entpuppt sich als bissiger Seitenhieb auf die Self-Care-Industrie.
Gäste reisen an von nah und fern und stellen ihre Filme vor, darunter der Österreicher Norbert Pfaffenbichler (ORGY OF THE DAMNED, 2023) und C. J. „Fiery“ Obasi aus Nigeria (MAMI WATA, 2023). Die in Ruanda geborene Schauspielerin Eliane Umuhire kommt zu Besuch mit dem metaphysischen Kultur-Clash OMEN (Belgien, Demokratische Republik Kongo, Südafrika 2023), dem neuesten Werk des belgisch-kongolesischen Rappers Baloji.
Deutschsprachige Beiträge gibt es in Hülle und Fülle, wie z. B. DEAD GIRLS DANCING (Deutschland 2023), ein Mix aus Coming of Age, Roadmovie und Geistergeschichte. Die Münchner Filmemacherin Anna Roller wird beim Screening anwesend sein. Regisseur Hannes Hirsch und Hauptdarsteller Lorenz Hochhuth bringen aus der Berliner Untergrund-Rave-Szene ihren Debütfilm DRIFTER (Deutschland 2023) mit. Regisseurin Katharina Huber besucht das Filmfest mit ihrem Anti-Heimatfilm EIN SCHÖNER ORT (Deutschland 2023), in dem in einem Bergdorf Menschen verschwinden und seltsame Hühner auftauchen.
Dem Transit ist es ein großes Anliegen, dem queeren Kino eine Plattform zu bieten. BLUE JEAN (Großbritannien 2022) erzählt die Geschichte einer lesbischen Sportlehrerin im Großbritannien von Margaret Thatcher. Die Dokumentation KOKOMO CITY (USA 2023) berichtet über schwarze Transfrauen und ihre Erfahrungen in der Sexarbeit. Bei ROTE OHREN FETZEN DURCH ASCHE (Österreich 1991) dürfte es sich um Österreichs ersten und vermutlich wichtigsten Beitrag zur queeren Avantgarde handeln. Kenneth Anger, dem erst kürzlich verstorbenen Vorreiter und Enfant terrible des homosexuellen Kinos, wird eine Hommage gewidmet. Gezeigt werden.
(USA 1963) und LUCIFER RISING (USA 1972/80), zwei cineastische Experimente zwischen Avantgarde und Okkultismus.
Am Samstag, dem 11. November, hält das Transit eine Schwarze Messe ab und feiert den 100. Geburtstag des satanischen Stummfilmklassikers HÄXAN. VORTEX, die Dark-Ambient-Band um Mastermind (und unser langjähriger IM ABSEITS-Kolumnist) Prof. Dr. Marcus Stiglegger, gibt sich zu diesem Anlass die Ehre und vertont in einem „Tribute to Häxan“ das stumme Hexenwerk live vor Publikum. Musikalisch irgendwo zwischen Doom, Drone und Black Metal, gewiss ein einmaliges „Konzert meets Kino“-Erlebnis.
Dazu passend: die Sondersektion „Such great Heights“, welche zu Gruppenpsychose und kollektivem Durchdrehen einlädt. Unter dieser Rubrik laufen z. B. SHE IS CONANN (Belgien, Frankreich, Luxemburg 2023) von Bertrand Mandico (THE WILD BOYS, AFTER BLUE), der transzendente Schwarz-Weiß-Acid-Trip DIVINITY (USA 2023) mit Stephen Dorff und AFTER (Frankreich 2023), eine ekstatische Höllenfahrt in die Pariser Technoszene. Das New Yorker Mash-up-Duo Soda Jerk wird zu Gast sein und seinen Cut-up-Mindfuck HELLO DARKNESS (Australien 2022) vorstellen. Und wem das noch nicht abgefahren genug ist, der bekommt in Form von I.K.U. – THIS IS NOT LOVE, THIS IS SEX (Japan 2000), SAFE WORD (Japan 2022) und SHIN ULTRAMAN (Japan 2022) die volle Bandbreite japanischer Weirdness verpasst.
Wer im Kino in Partystimmung kommt, kann diese in der Aftershowparty am Freitag, dem 10. November, mit DJs, VJs und Live-Acts rauslassen. Mit dabei u. a. melancholischer Hyperpop von Jasna, unprätentiöse Cosmic Disco von Minju und der aufgehende Stern am Rap-Himmel, die afro-österreichische Künstlerin Bex.
Das Transit Filmfest hat einiges zu bieten. Neben der breit gefächerten Filmauswahl stehen auch ein Kurzfilmblock, die „Transit Filmschool“ und die Ausstellung „Die Tödliche Doris: Tournee“ auf dem Programm, Letzteres anarchischer West-Berliner Avantgardismus, auf dem Transit als Begleitausstellung laufend.
Am Sonntag, dem 12. November, findet eine Podiumsdiskussion über feministische Filmgeschichte und den Grenzbereich zwischen Kunst und Punk statt.
Ganz im Zeichen des Punk auch die diesjährige Retrospektive „All the good girls go to hell“, welche das „Riot Grrrl“ ins Rampenlicht stellt und nonkonformes weibliches Undergroundkino präsentiert, darunter DROP OUT – NIPPELSUSE SCHLÄGT ZURÜCK (Deutschland 1998), MOD FUCK EXPLOSION (USA 1994) von Underground-Legende Jon Moritsugu – mehr Punk als in diesem Film geht nicht! – und der Kultfilm LIQUID SKY (USA 1982), ein Genderfuck über sexsüchtige Aliens.
„It’s a symbiotic world“ – wenn wirklich alles Symbiose ist, stellen sich natürlich schon die Fragen: Wer ist der Wirt? Wer der Symbiont? Ist der Zuschauer die Biene und die Leinwand die Blume? Oder umgekehrt? Wer bestäubt wen? Oder bestäuben wir uns alle gegenseitig? Im übertragenen Sinne kann man ja tatsächlich sagen, dass man nach jedem Kinobesuch mit einer Prise imaginärem Blütenstaub herausschwirrt und diesen summend in die Welt hinaus trägt. Oder so ähnlich.
Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und in das schillernde Ökosystem des Transit Filmfestes eintauchen will, der muss keine Biene sein und auch keine Seeanemone, sondern kann einfach nach Regensburg kommen und sich die geistige Bestäubung abholen. Das Transit Filmfest findet vom 8. bis 15. November im Ostentorkino, im Andreasstadel und im Leerer Beutel statt, den geschichtsträchtigen Spielstätten der Regensburger Altstadt. Tickets sind ab Mitte Oktober erhältlich unter www.transit-filmfest.de.
(Dominik Raith)
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