Der in Norwegen geborene Jungregisseur Tommy Wirkola gilt als eines der hoffnungsvollsten Talente des Genrefilms. Seine Filme sind frech, mutig, direkt und sprechen trotz ihres oft derben Humors ein erstaunlich breites Publikum an. Nach einer verrückten norwegischen Interpretation von KILL BILL gelang Wirkola mit DEAD SNOW der Durchbruch in Fankreisen – und auch Hollywood wurde hellhörig. So stattete man ihn mit genügend Budget aus, um seinen Jugendtraum HÄNSEL UND GRETEL: HEXENJÄGER verwirklichen zu können. Nach einem Heimaturlaub und DEAD SNOW 2 hat sich Wirkola des anspruchsvollen Sci-Fi-Stoffs um sieben Schwestern angenommen, die aufgrund staatlicher Unterdrückung wie eine Person auftreten müssen – und so jeweils nur an einem Tag der Woche das Haus verlassen können: WHAT HAPPENED TO MONDAY? ist Science-Fiction mit Köpfchen, vor allem aber mit Charakter – siebenmal!
Ein Review von WHAT HAPPENED TO MONDAY? findet ihr in der aktuellen DEADLINE #65.
DEADLINE: 2009 kam dein kleiner Kultfilm DEAD SNOW ins Kino, vier Jahre später hattest du für HÄNSEL UND GRETEL: HEXENJÄGER ein großes Hollywood-Budget zur Verfügung. Wer hat dich damals entdeckt?
Tommy Wirkola: Die Idee zu HÄNSEL UND GRETEL hatte ich schon seit meiner Zeit in der Filmschule, als ich Mitte zwanzig war. Es gab da einen kleinen Wettbewerb, bei dem wir 30 Sekunden hatten, um eine Filmidee zu pitchen. Nach meinen paar Worten zur Story bat mich ein Freund, nicht mehr mit jemand anderem über den Film zu reden, denn er war sicher, die Idee nach Hollywood verkaufen zu können. DEAD SNOW lief auf dem Sundance-Festival und wurde dort sehr gelobt. So bekam ich die Gelegenheit, mich in Hollywood vorzustellen. Dort brachte ich erneut HÄNSEL UND GRETEL ins Spiel, und so wurde das mein erster Film in den USA.
DEADLINE: Anschließend bist du jedoch in deine norwegische Heimat zurückgekehrt, um DEAD SNOW 2 zu machen. Wie hat es dich dann wieder nach Amerika für WHAT HAPPENED TO MONDAY? verschlagen?
Tommy Wirkola: Das Drehbuch des Films war in Filmkreisen für seinen interessanten Ansatz bekannt, galt jedoch als nur schwer verfilmbar. Als ich es las, war ich sofort Feuer und Flamme. Ursprünglich sollte es um Mehrlingsbrüder gehen, meine Idee war jedoch, daraus weibliche Siebenlinge zu machen. Offensichtlich mochten die Produzenten meinen Ansatz und ließen mich an dem Film arbeiten.
Ich liebe Filme mit einer anspruchsvollen Prämisse, auf die sie sich konzentrieren, ohne alles über Gott und die Welt erzählen zu wollen. Die Geschichte von sieben Schwestern, die sich eine einzige Identität teilen müssen, hielt ich für sehr interessant. Außerdem gefiel mir, dass der Film nicht in einer weit entfernten, sondern einer unmittelbaren Zukunft spielen würde. Ich bin schon immer ein großer Fan der Sci-Fi-Filme von Paul Verhoeven gewesen. Das Drehbuch schien von seinen Werken inspiriert zu sein. Ich ließ den Look sogar noch mehr dem Verhoeven-Stil anpassen, als das in dem Ursprungsmaterial der Fall war. Wir wollten keine Hochglanzproduktion. Wir fügten eine Prise Humor hinzu und konzentrierten uns auf möglichst originelle Actionszenen.
DEADLINE: In der Vergangenheit hast du deine Filme selbst geschrieben. Diesmal hast du das Skript aus der Hand gegeben – dabei aber natürlich mit den Autoren eng zusammengearbeitet.
Tommy Wirkola: Das war ein sehr spannender Prozess. Ich habe versucht, mich etwas zurückzuhalten. Die Autoren sollten ihre beste Arbeit abliefern, und ich würde mich dann um das Gleiche beim Dreh bemühen. Es hat echt Spaß gemacht, und ich versuche demnächst wieder mit denselben Autoren für ein Projekt zusammenzukommen.
DEADLINE: Du erwähntest den Humor in WHAT HAPPENED TO MONDAY?. Deine vorherigen Filme sind berüchtigt für ihren schwarzen und meist sehr derben Humor. Diesmal gibt es zwar diesbezüglich Ansätze, jedoch hält der Film sich eher zurück. Eine bewusste Entscheidung?
Tommy Wirkola: Ich habe das Gefühl, dass die Zeit meiner sehr abgedrehten Filme ein bisschen vorbei ist. Ich wollte diesmal einen bodenständigeren und ernsthafteren Film machen – auch, um das Publikum mehr in die Geschichte zu ziehen. Es gibt hier und da kleinere Lacher, aber sie prägen nicht nachhaltig die Grundstimmung. Die Charaktere stehen im Vordergrund, und das Publikum soll sie als echte Personen erleben, die spürbaren Bedrohungen ausgesetzt sind. Es war eine Herausforderung, an der ich Spaß hatte, weniger Spaß einzusetzen. (lacht)
DEADLINE: Wie schwer war es, eine Darstellerin zu finden, die alle sieben Schwestern spielen konnte?
Tommy Wirkola: Ich habe schon sehr früh an Noomi Rapace gedacht, bereits, als ich das Skript gelesen habe. Ich gab es ihr, und sie war sofort dabei. Ich brauchte eine mutige Darstellerin für diesen Part. Eine solche Rolle kann einem Schauspieler durchaus Angst machen.
DEADLINE: Die Szenen, bei denen alle sieben Schwestern gleichzeitig anwesend sind, müssen sehr anspruchsvoll sowohl für sie als auch für dich als Regisseur gewesen sein.#
Tommy Wirkola: Das war ohne Zweifel eine sehr große Herausforderung. Wir haben vor dem Dreh sehr viel geprobt. Vor und manchmal auch während des Drehs hatten wir sogenannte Schauspiel-Doubles, die Noomi in ihrem Spiel unterstützen und in dem Moment für die jeweils anderen Schwestern einspringen sollten. Der Dreh war sehr anstrengend, und man musste schon sehr akribisch vorgehen, um nicht aus Versehen einen Anschlussfehler zu machen. Dabei ist es vor allem für die Schauspieler bei besonders emotionalen Szenen schwer, bei jeder Wiederholung die gleiche Intensität zu erreichen. Es gab auch viel Greenscreen-Arbeit, die ebenfalls ein hohes Maß an Konzentration und Vorstellungskraft bedarf.
DEADLINE: Inwieweit haben die Tage, an denen die Schwestern jeweils das Haus verlassen durften, die Charaktere beeinflusst?
Tommy Wirkola: Das wurde im Drehbuch sehr gut herausgearbeitet. Je nachdem, wann sie am öffentlichen Leben teilnehmen, haben sie auch entsprechende Eigenheiten. Monday ist das Arbeitermädchen, während zum Beispiel Saturday das Partygirl ist. Gleichzeitig sollte es aber auch nicht zu übertrieben, einseitig und nur des Effekts willen eingesetzt werden. Jede Schwester sollte eine glaubhafte Persönlichkeit mit komplexen Zügen sein.
DEADLINE: Neben Noomi Rapace spielt auch der großartige Willem Dafoe in deinem Film.
Tommy Wirkola: Ich bin ein großer Fan von Willem. Ich liebe seine Filme – und er hat so viele gemacht! Er hat oft den Bösen gespielt, und hier wollte ich mal seine gütige, väterliche Seite zeigen. Es gibt schon einen Grund, warum viele Regisseure mit ihm arbeiten wollen – er ist einfach toll und gibt sich für seine Filme her.
DEADLINE: Netflix hat den Film gekauft und zeigt ihn im Auslnd über seinen Streamingdienst. Wann hast du davon erfahren, und hat das deine Arbeit am Film beeinflusst?
Tommy Wirkola: Netflix hat den Film letztes Jahr in Toronto gekauft, aber nur für einige Märkte, in vielen Ländern läuft er regulär im Kino. Netflix ist sehr hungrig auf neues, originelles Material, und für die USA und Großbritannien wollten sie unbedingt die Exklusivrechte. Ich denke, wir bekommen mit dem Deal das Beste aus beiden Welten. Menschen, die viele Filme auf Streamingplattformen sehen, bekommen so einen Zugang zu ihm, während er sich zum Beispiel in Europa im Kino frei entfalten kann.
Als wir den Film gemacht haben, haben wir natürlich nur an die Vorführung im Kino gedacht – da wurden wir nicht beeinflusst. Netflix hat Millionen von Abonnenten – wir können nur dankbar sein, ein so großes potenzielles Publikum für unseren Film zu haben.
DEADLINE: Wenn du nur an einem Tag in der Woche leben oder das Haus verlassen könntest, welchen würdest du wählen?
Tommy Wirkola: Ich denke, Samstag, das wäre der Jackpot. (lacht) Du hast Spaß, musst nicht arbeiten und so … Aber nach einiger Zeit würde auch das langweilig werden – ähnlich, wie es den Schwestern im Film geht, die sich nach Abwechslung sehnen.
DEADLINE: Vielen Dank für das Interview und deine schönen Filme!
Interview geführt von Leonhard Elias Lemke