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IM INTERVIEW MIT BILL NIGHY ZU THE LIMEHOUSE GOLEM

 

Es gibt kein Genre, in dem Bill Nighy nicht zu Hause ist: Ob Komödie, Drama oder Thriller – stets beeindruckt der Brite mit seinem unvergleichlichen Stil. Nun verkörpert Nighy im Mysterythriller THE LIMEHOUSE GOLEM einen Polizisten auf Verbrecherjagd. Im exklusiven DEADLINE-Interview erklärt er erstaunlich offen, was ihm im Leben Angst macht und wieso er sich auf seine Filmrollen kaum vorbereitet. Zudem erfahren wir, wie er an die Rolle in THE LIMEHOUSE GOLEM kam und was Alan Rickman damit zu tun hat.

Bill Nighy

 

 

 

DEADLINE: Für mich ist THE LIMEHOUSE GOLEM eine Mischung aus FROM HELL und SHERLOCK HOLMES. Wie würdest du deinen Film beschreiben?

 

Bill Nighy: Du triffst den Nagel bereits ziemlich gut auf den Kopf. Insbesondere bei FROM HELL. Das ist ein Genre, welches ich sehr gerne mag. Wir bringen dann noch zusätzlich einen ironischen Twist mit ein sowie eine amüsante Note. Insofern gruselt man sich einerseits bei THE LIMEHOUSE GOLEM. Andererseits amüsiert sich der Zuschauer aber auch.

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DEADLINE: Normalerweise bist du ja nicht in so düsteren Filmen zu sehen. Wie kamst du zu THE LIMEHOUSE GOLEM?

 

NIGHY: Ich war gerade dabei, IHRE BESTE STUNDE zu drehen, der unter anderem von Stephen Woolley produziert wurde. Er war auch für THE LIMEHOUSE GOLEM zuständig, bei dem Alan Rickman die Hauptrolle spielen sollte. Dieser erkrankte dann allerdings, konnte nicht weiterspielen und musste deshalb aus dem Projekt aussteigen. Da Stephen zu dem Zeitpunkt bereits mitten in den Vorbereitungen steckte, fragte er mich, ob ich kurzfristig einspringen könne. Ohne lange zu überlegen, habe ich zugesagt.

 

DEADLINE: Wirklich vorbereiten auf die Dreharbeiten konntest du dich also nicht?

 

NIGHY: Ein wenig Zeit hatte ich schon. Aber nicht so viel, wie man normalerweise hat.

 

DEADLINE: Insofern hast du wahrscheinlich auch nicht die Romanvorlage gelesen, oder?

 

NIGHY: Genau. Aber so etwas mache ich meistens eh nicht. Denn das Buch ist nicht der Film. Wenn überhaupt, lese ich den entsprechenden Roman, wenn die Dreharbeiten bereits abgeschlossen sind. Denn es hilft nicht wirklich, das Buch vorher zu lesen. Es bereitet dir viel eher Probleme. Denn das, womit du arbeiten wirst, ist das Drehbuch. Und im Roman stehen wahrscheinlich Dinge, die später im Film gar nicht enthalten sind oder abgeändert werden. So etwas verwirrt nur, und das muss ich echt nicht haben. Deshalb ist es besser, sich auf das zu konzentrieren, auf dessen Basis der Film entstehen wird, den du machst, und das ist das Drehbuch.

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DEADLINE: Verlässt du dich bei der Vorbereitung auf einen Film ausschließlich auf das Drehbuch oder unternimmst du darüber hinaus noch weitere Recherchen?

 

NIGHY: Nein. Wieso auch? Ich bin mittlerweile alt genug, um auf eine solche Frage eine ehrliche Antwort geben zu können. Wenn du jung bist, musst du immer so tun, als würdest du dich total akribisch auf einen Dreh vorbereiten, da dies von der Allgemeinheit erwartet wird. Ich mache so etwas nicht, weil es nicht nötig ist. Denn ich steige meist dann bei einem Film ein, wenn das Drehbuch schon geschrieben ist. Und alles, was ich für einen Film benötige, steht dann da drin: auf welche Art ich etwas Bestimmtes sagen soll, wie ich mich zu bewegen habe oder was ich darstellen soll. Dafür muss ich nicht ewig recherchieren, sondern einfach nur das Drehbuch lesen. Wenn ich mit einem Akzent sprechen soll, eigne ich ihn mir auf einem so einfachen Wege wie möglich an. Vor Kurzem sollte ich einen Waliser spielen. Daraufhin bin ich nach Wales gefahren, mit meinem iPhone in der Tasche, und bin dort in ein Pub gegangen. Dort habe ich einigen Herren Pints spendiert und sie gebeten, Sätze in mein Handy zu sprechen, die ich vorher auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Auf dieser Basis habe ich dann meinen Akzent angelegt. Im Falle von THE LIMEHOUSE GOLEM war so etwas nicht nötig, und um einen Polizisten spielen zu können, muss ich nicht mit einem Polizisten gesprochen haben oder gar einer gewesen sein.

 

DEADLINE: In THE LIMEHOUSE GOLEM glauben die Menschen an etwas Übernatürliches, weil sie sich bestimmte Vorgänge nicht erklären können. Wie ist es bei dir? Glaubst du an etwas Übernatürliches?

 

NIGHY: Ich glaube eigentlich nur an Dinge, die ich sehen und als real verifizieren kann. Natürlich denkt jeder mal über das Übernatürliche nach. Aber ich selbst glaube nicht daran und hatte auch noch nie eine übernatürliche Begegnung oder etwas, das auch nur im Entferntesten daran erinnert.

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DEADLINE: Ist es nicht schwierig, sich in einen Film mit übernatürlichen Phänomenen einzufinden, wenn man so gar nicht an etwas Übernatürliches glaubt?

 

NIGHY: Nein. Denn hier gilt das Gleiche wie bei der Figur des Polizisten: Du musst nicht an so etwas glauben, um es spielen zu können. Zudem ist es so, dass Filme eigentlich immer nur andere Werke zitieren. Insbesondere bei einem Genrefilm wie THE LIMEHOUSE GOLEM wissen die Leute, innerhalb welcher Parameter sich ein solcher Stoff bewegt. Sie wissen, wie bestimmte Figuren agieren und welche Gefahren lauern. Auch welche Position das Übernatürliche in solchen Filmen für gewöhnlich einnimmt, wissen die Leute. Insofern zitierst du in erster Linie andere Filme, bevor du tatsächlich Person XY sein musst.

 

DEADLINE: Wenn schon nicht das Übernatürliche: Gibt es andere Dinge, die dir Angst machen?

 

NIGHY: Der Tod. Ganz eindeutig. Ich denke jeden Tag an ihn. Insbesondere in meinem Alter und wenn ich morgens nach dem Aufstehen in den Spiegel schaue und mich rasieren will. Denn dann sehe ich mein Gesicht. Wenn ich mich nicht rasieren müsste, würde ich mich wahrscheinlich nie im Spiegel anschauen. Abgesehen davon, habe ich Höhenangst und fühle mich schnell peinlich berührt.

 

DEADLINE: Weshalb macht dir der Tod Angst?

 

NIGHY: Um ehrlich zu sein, sorgte dieses Wort und dieses Thema vom ersten Moment an, in dem ich davon hörte, für ein ziemlich unwohles Gefühl bei mir. Ich erinnere mich daran, wie ich ungefähr acht Jahre alt war und aus einem Traum aufwachte. Ich träumte von einem Mann, der einen Tiger dabei hatte und mich mit einem langen Messer erstechen wollte. Ich wachte auf und realisierte in diesem Moment, dass ich, wie jeder andere Mensch auch, irgendwann einmal sterben werde. Bis dahin hatte ich zwar schon mal von dieser Sache gehört, sie jedoch nie mit mir in Verbindung gebracht und gedacht, dass mich dies auch irgendwann mal treffen könnte. Ich dachte, dass wahrscheinlich andere Menschen sterben, ich aber nicht. Dies änderte sich nach dem Traum und war ein echter Tiefschlag für mich, mit dem ich nicht sofort zurechtkam. Nun hoffe ich stets, dass ich irgendwann einmal einfach ins Bett gehe und dann nicht mehr aufwache und mein Tod nicht so schmerzhaft wie in diesem Traum sein wird.

 

DEADLINE: Seit jeher verkörperst du Charaktere unterschiedlichster Art. Wie hast du es hinbekommen, nie in eine darstellerische Schublade gesteckt zu werden?

 

NIGHY: Letztlich habe ich vor allem Glück gehabt. Als ich noch jünger war, sah ich nicht gut genug aus, um in romantischen Filmen die Hauptrolle spielen zu können. Deshalb war meine damalige Agentin sehr clever und schickte mich zu Castings für Rollen, mit denen man mich normalerweise nicht sofort in Verbindung gebracht hätte. Sogenannte Charakterrollen, in denen man mit einer anderen Stimme arbeiten musste oder man anders auszusehen hatte, als man es in Wirklichkeit tat. Manchmal hat es dann sogar wirklich geklappt mit einer Rolle. Insofern spiele ich bereits vom Beginn meiner Karriere an Charaktere, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

 

DEADLINE: Nun war ja mal ein Polizist an der Reihe. Mochtest du diese Erfahrung, und könntest dir vorstellen, mal wieder einen zu spielen?

 

NIGHY: Ich fand es ziemlich cool, ein Detektiv zu sein. Ich bin fast verrückt geworden, weil ich den Satz „Mein Name ist Detektiv Hauptkommissar (detective superintendent) John Kildare von Scotland Yard“ so gerne mochte. Das Interessante war also gar nicht so sehr, ein Polizist zu sein, sondern ein Detektiv. Und das auch noch in einem Film. Ich wollte schon immer so tun, als wäre ich ein Detektiv und würde nach Hinweisen suchen und viele Fragen stellen. Ich mag diese Attitüde. Du wirst in so einem Fall sehr viel beim Nachdenken gefilmt. Das fand ich amüsant. Wenn ich mich die ganze Zeit wie ein Detektiv aufführen dürfte, wäre ich ein sehr glücklicher Mensch.

 

DEADLINE: Weshalb hat es so lange mit einer Polizisten-Rolle gedauert?

 

NIGHY: Keine Ahnung. Vielleicht haben sich die Menschen mich bisher noch nie als einen vorstellen können. Vielleicht sehe ich den Menschen nicht männlich genug aus.

 

DEADLINE: Du hast gesagt, du magst Genrefilme. Welche guckst du dir an?

 

NIGHY: Ich mag vor allem Vampire. Ansonsten auch Science-Fiction-Filme und vor allem Bücher zu diesem Thema. Ich lese William Gibson, Philip K. Dick, Neal Stephenson. Das sind nicht zwangsweise Sachen, die außerhalb der Erde spielen, aber in einer eventuellen nahen Zukunft. Und solche Filme mag ich dann auch, beispielsweise MINORITY REPORT. Sci-Fis, in denen spekuliert wird, wie es in der nahen Zukunft aussehen könnte, basierend auf unserer aktuellen Technologie, und welchen Einfluss diese dann auf unser Leben haben könnte.

 

DEADLINE: Du sagst, du magst keine und glaubst nicht an übernatürliche Dinge – liebst aber Vampire. Wie passt das zusammen?

 

NIGHY: Es ist nicht unbedingt so, dass ich an rein gar nichts glaube. Ich habe lediglich keine Informationen über Dinge, die ich nicht konkret erfassen kann, und möchte deshalb auch nicht wild drauflosspekulieren. Leute fragen mich zum Beispiel manchmal: Glaubst du an Gott? Ich sage dann: Woher zum Teufel soll ich das denn wissen, ob es ihn gibt? Es ist das größte Mysterium auf dieser Welt, und ich sehe mich nicht in der Verantwortung, diese Frage zu lösen und darauf eine verbindliche Antwort zu geben. Ich habe zu dieser Frage ganz einfach keine Informationen. Zudem gilt wie bei den anderen Punkten von vorhin auch hier: Ich muss nicht an Vampire glauben, um sie gut finden zu können.

 

DEADLINE: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Interview geführt von Heiko Thiele