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INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR

Regie: Alan Taylor, Keith Powell, Levan Akin, Alexis Ostrander / USA
2022- / 39-63 Min. pro Folge
Besetzung: Sam Reid, Jacob Anderson, Bailey Bass, Eric Bogosian, Assad
Zaman
Streamingdienst: WOW

Queer, divers, kosmopolitisch: Funktioniert die Modernisierung des Anne Rice Stoffes?

Das literarische Universum von Anne Rice gehört bis heute zu den beliebtesten und erfolgreichsten weltweit. Lange bevor Horror- und Fantasy-Produktionen mit bombastischen Special Effects und Budgets ausgestattet waren, erschuf die in New Orleans geborene Autorin unsterbliche Figuren – im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre CHRONIK DER VAMPIRE (THE CAMPIRE CHRONICLES) umfasst zwölf Bände und startet mit dem Roman INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR, der 1994 mit Brad Pitt und Tom Cruise in den Hauptrollen verfilmt wurde. Bereits 2020 und damit noch vor ihrem Tod Ende 2021 hat sich der US-Sender AMC (u.a. THE WALKING DEAD) die Rechte an 18 ihrer Bücher gesichert. Mit INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR präsentiert er eine Serienadaption des kultigen Vampirstoffs, bei uns zu sehen bei WOW. Diese bricht in der ersten Staffel teilweise radikal mit der Vorlage und zeigt eine modernisierte Version, die manchmal zwischen unfreiwilliger Comedy und Genialität oszilliert.

Die sieben Folgen unter der Regie von Alan Taylor drehen sich genau wie der Film um das Interview von Journalist Daniel Molloy (Eric Bogosian) mit dem Vampir Louis de Pointe du Lac (Jacob Anderson, GAME OF THRONES). Während sich in der Filmversion Brad Pitt und Christian Slater in einem schummrigen Zimmer gegenübersitzen, findet das Gespräch in der Serie während der Coronapandemie in einem Penthouse in Dubai statt. Die Rahmenhandlung spielt also in der Jetztzeit, während der Vampir von seinen Erlebnissen in New Orleans ab 1910 erzählt. Damit spielt die im Rückblick erzählte Geschichte im Vergleich zum Original etwa 120 Jahre später. Mit der Besetzung eines afroamerikanischen Hauptdarstellers wird außerdem gleich zu Beginn klar, dass wir einen neuen Louis kennenlernen. Er ist nun ein schwarzer Geschäftsmann im Rotlichtbezirk statt Besitzer einer Plantage.

Altbewährte Dynamik und inhaltliche Neuerungen, die nicht immer gelungen erzählt werden

Die Serie bekommt durch New Orleans und die Verfrachtung ins frühe 20. Jahrhundert einen historischen Anstrich und die düstere Ästhetik, die man sich von einer Anne Rice Vorlage wünscht. Dennoch gibt es inhaltlich entscheidende Neuerungen: Durch die Identität von Louis als junger Afroamerikaner streifen die Folgen auch immer wieder die Themen Rassismus und Diskriminierung. Ausgrenzung erfahren die Figuren auch durch ein weiteres Novum: Während eine homosexuelle Beziehung zwischen Louis und seinem Erschaffer Lestat de Lioncourt (Sam Reid) im Film höchstens angedeutet wird, ist sie in der Serie nun sogar zentrales Thema. Dieses wird leider manchmal in unnötig theatralischen und unfreiwillig komischen Szenen erzählt. Etwa wenn das Paar seinen ersten Sex in schwebender Position hat oder sich die Vampire anachronistisch selbst als „queer“ bezeichnen. An der einen oder anderen Stelle liefert die Serie hier Diversität und Inklusion eher mit dem Vorschlaghammer denn als subtile Note in der Erzählung.

Dennoch transportiert die ungewöhnliche, sinistre Familie spätestens mit der Erschaffung des Vampirmädchens Claudia (Bailey Bass, AVATAR 2) die gleiche Dynamik wie das Vampirtrio in Anne Rices Original. Louis kämpft mit seinem schlechten Gewissen und ernährt sich von Ratten statt Menschen, Lestat brilliert als brutaler Blutsauger und Claudia funktioniert als tragische Figur in deren Mitte. Die Dreiecksbeziehung ist ähnlich verkorkst wie im Film. In diesem wurde Claudia von der jungen Kirsten Dunst gespielt, mit Bailey Bass wurde in der Serie ebenfalls eine Darstellerin mit afroamerikanischen Wurzeln besetzt. Die Dramatik des Mädchens, das in einem nicht alternden Körper gefangen ist, spielt die junge Frau beeindruckend und schließt sich damit ihren beiden männlichen Hauptdarstellern an.

Ein talentierter Cast und klassische Motive garantieren trotz Schönheitsfehler düsteren Serienspaß

Auch wenn es etwas dauert, bis man als Fan über die krassen Änderungen hinweg ist, zeigt sich besonders in den emotionalen und brutalen Szenen die schauspielerische Qualität. Den Durst nach einer düsteren Ästhetik stillt die Serie durch das mystische New Orleans sowie Ausstattung und Soundtrack. Auch sonst ist alles dabei, was das düstere Serienherz begehrt: Es gibt prunkvolle Kostüme, Schauerromantik auf dem Friedhof, Frankophilie und Erotik. Neben Blutrausch und Szenen mit Splatter-Qualität, sind es wie im Film aber vor allem die emotionalen Abgründe und Spannungen, die Dramatik und Reiz der Serie ausmachen. Gerade gegen Ende gelingt es der Staffel dabei auch, die anfangs etwas zu dominanten politischen Färbungen und das Ausstellen von Diversität und Inklusion abzulegen. So kann die Geschichte mehr im Zentrum stehen. Nur die Rückkehr in die Gegenwart rund um das Penthouse in Dubai wirken manchmal als zu harter Kontrast und den Dialogen hätten ein paar schlechte Wortwitze weniger gutgetan. Zum Schluss hat Armand (Assad Zaman, im Film gespielt von Antonio Banderas) noch einen verheißungsvollen Auftritt als neuer Lover an Louis‘ Seite und kündigt die bereits bestellte zweite Staffel an.

Die Serienadaption INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR punktet vor allem, wenn sie die ursprüngliche und düstere Kraft des Themas und die Individualität der Figuren sprechen lässt, statt deren Sexualität oder gesellschaftliche Kritik in den Fokus zu stellen. Dabei springt die Erzählung meist gelungen von Schäferstündchen in Särgen und Blutdurst im alten New Orleans in die Gegenwart. Wer über den ein oder anderen blutleeren Dialog hinwegsehen kann, wird als Vampirfan seine Freude an der Serie haben.

 

In den USA feierte INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR auf dem Streamingsender AMC+ den besten Serienart aller Zeiten. Mit „Anne Rice’s Mayfair Witches“ hat der Sender Anfang des Jahres bereits eine zweite Serienadaption aus dem Fantasy-Universum präsentiert. Deutschlandstart noch unbekannt. (Jessica Wittmann-Naun )

Zu sehen bei  hier bei WOW

INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR

Regie: Alan Taylor, Keith Powell, Levan Akin, Alexis Ostrander / USA
2022- / 39-63 Min. pro Folge
Besetzung: Sam Reid, Jacob Anderson, Bailey Bass, Eric Bogosian, Assad
Zaman
Streamingdienst: WOW