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INTERVIEW MIT M. NIGHT SHYAMALAN UND LAUREN AMBROSE ZUR 4. STAFFEL VON SERVANT

Die vierte und letzte Staffel der Mysteryserie SERVANT von M. Night Shyamalan startet am 13. Januar bei Apple TV+. Grund genug, uns mit der Hauptdarstellerin Lauren Ambrose (spielt in der Serie Dorothy Turner) und Regisseur und Produzent M. Night Shyamalan (THE SIXTH SENSE) zu unterhalten.

Zur Staffel 1 hatten wir uns schon in der DEADLINE #91 mit Toby Kebbell, Rupert Grint, M. Night Shyamalan, Lauren Ambrose und Nell Tiger Free unterhalten.

 

 

Interview mit Lauren Ambrose

 

Deadline: Zunächst herzlichen Glückwunsch zu dieser letzten Staffel.

 

Lauren Ambrose: Vielen Dank.

 

Deadline: Bist du traurig, dass SERVANT mit dieser Staffel nun zu Ende geht? Oder vielleicht glücklich, nach allem, was deine Figur durchgemacht hat?

 

Lauren Ambrose: Oh, nein, natürlich ist es traurig, weil man Bindungen mit diesen großartigen Künstlern am Set eingeht. Jeder Schauspieljob, der endet, ist auf seine Weise traurig, aber dieser hier besonders, zum einen wegen des Themas der Serie und zum anderen, weil wir die letzten Jahre unseres Lebens, die für jeden auf der Welt durch Corona intensiv waren, zusammen verbracht haben. Wir lebten zeitweise buchstäblich in einer Blase, lebten und arbeiteten zusammen, um die Serie realisieren zu können. Wir waren eine der ersten Serien, die während der Pandemie zurückkommen konnten, weil wir eine so kleine und intime Besetzung hatten. Es ist also schon schmerzhaft. Aber irgendwie auch schön, herauszufinden, was mit den Charakteren denn nun final passiert, und das hat die Dreharbeiten zu dieser Staffel so spannend gemacht! Es ist jedoch natürlich schwer, sich zu verabschieden und allen alles Gute zu wünschen, denn in diesem Leben als Schauspieler kommt man den anderen natürlich sehr nahe, und am Ende muss man sich dann jedoch immer voneinander verabschieden.

 

Deadline: Was können die Zuschauer von Dorothy in dieser letzten Staffel erwarten? War es für dich eine besondere Herausforderung, die Rolle zu spielen?

 

Lauren Ambrose: Nun ja, jede Staffel hat ihre eigenen Herausforderungen mit sich gebracht. In dieser Staffel, nein, eher am Ende der dritten Staffel, hatte ich in der Serie ja diesen schrecklichen Unfall, und dann fragten sich alle: „Bist du tot? Bist du noch in der Serie?“ Und ich sagte: „Nein, ich bin immer noch in der Serie, aber das bedeutet, dass ich in meiner Mobilität sehr eingeschränkt bin.“ Ich habe viel Zeit in gemütlichen Betten und Sesseln verbracht, in dieser Hinsicht war es also recht bequem, und ich hatte wieder eine tolle Garderobe. Viele von Dorothys berühmten Seiden- und Schlafanzügen.

 

Deadline: Ja, es stimmt, dass du viel Zeit im Bett verbringst, aber ich nehme mal an, der Dreh war auch ziemlich anstrengend, denn besonders die zweite Episode ist wirklich hart für dich, für deine Figur.

 

Lauren Ambrose: Erinnere mich bitte kurz daran, was in der zweiten Folge passiert.

 

Deadline: Wenn Dorothy zurück ins Haus kommt und sie dann oben im Bett liegt und dann Leanne ausgeliefert ist.

 

Lauren Ambrose: Ja.

 

Deadline: Das ist für mich purer Psychoterror.

 

Lauren Ambrose: Ja.

 

Deadline: Ich denke also, dass es in diesem Fall ziemlich schwer war, Dorothy zu spielen. Liege ich da richtig?

 

Lauren Ambrose: Es war schwierig. Es war eine Herausforderung, diese Psychohorror-Dinge anzugehen, aber es hat auch Spaß gemacht, mit Nell Tiger Free an dieser Dynamik zu arbeiten. Es war eine Art neues Kapitel in der Beziehung der beiden Charaktere. Und als Schauspieler macht es einfach Spaß, diese Szenen zu spielen, in denen sich die Machtverhältnisse stark verändert haben. Wenn man als Schauspieler etwas Schreckliches tun muss, dann ist das oft das Gegenteil von dem, wie du dich im wirklichen Leben verhalten würdest – und das ist schon irgendwie prickelnd. Sonst ist dein Job als Schauspieler langweilig, aber wenn du weißt, dass dir schreckliche Dinge passieren, dann ist das schon spannend!

 

Deadline: Es gibt natürlich nicht nur Horror in dieser Staffel, sondern auch eine Menge Humor, vor allem mit den beiden alten Damen, die dir helfen sollen, deine alte Form wiederzuerlangen. Ich denke, es muss wirklich lustig gewesen sein, mit ihnen zu drehen, weil die Szenen manchmal urkomisch sind, also im besten Sinne.

 

Lauren Ambrose: Sie waren eine tolle Ergänzung für die Serie, Denny Dillon und Barbara Kingsley. Sie haben vor allem neue Energie mitgebracht, obwohl sie die ältesten Frauen am Set waren. Das war neu, denn ich war bis dahin eine der ältesten. Beide sind einfach großartige Szenenpartnerinnen und wirklich witzige Frauen, und wir hatten viel Spaß dabei, uns diese Szenen auszudenken und herauszufinden, wie man Dorothy wieder in Bewegung bringt. Das war also eine Einschränkung, aber sie brachten diese ganz neue, alberne und schöne Energie in unser Set und in die Serie. Ich habe es wirklich sehr genossen, mit den beiden zu arbeiten.

 

Deadline: Eine Prise Verrücktheit.

 

Lauren Ambrose: Ja, genau, ich weiß. Und ich glaube, sie hatten eine Menge wirklich absurder Szenen auch ohne mich. Später meinten die Leute dann immer zu mir: „Du hättest sehen sollen, was an diesem Tag los war.“

 

Deadline: Wirst du deine Rolle vermissen?

 

Lauren Ambrose: Das tue ich. Ich vermisse die Figur jetzt schon. Ich sollte es nicht verraten, aber wir mussten ein paar Dinge nachdrehen. Wir hatten uns also alle schon voneinander verabschiedet, und dann mussten wir Wochen später noch mal zusammenkommen! Aber danach war dann wirklich Schluss, und es hat sich wie das Ende angefühlt. Ich vermisse die Figur. Ich denke, ich werde Dorothy immer in Ehren halten, weil es einfach eine so komplizierte, vielschichtige, seltsame Frau war. Wenn man die erste Folge liest, in der diese Frau ihr Trauma so sehr verleugnet, dass sie tatsächlich glaubt, ihr Kind sei noch am Leben, da fragt man sich schon: „Okay, wie spielt man das nur am besten? Wo fängt man an?“ M. Night und die anderen Regisseure haben mir sehr dabei geholfen. Mir wird vor allem auch ihre schöne Kleidung fehlen. Dorothy hatte die schönsten Kleider von allen Figuren, die ich je spielen werde, das ist sicher! Die Kostümdesignerin Caroline Duncan hat einen unglaublichen Job gemacht hat, und ich vermisse wirklich die Kunstfertigkeit von allen Beteiligten. Ich meine, das Talent von allen, die für diese Serie zusammengekommen sind, steckt in meiner Figur. Sie wissen schon, jede Abteilung. Naaman Marshall, der das Bühnenbild entworfen hat, und Drew, der unser Küchenchef und Berater für die Foodszenen war, und all die Musik, all die vielen talentierten Leute, all das macht die Figur aus. Ich sehe Dorothy also als eine Kombination aus den erstaunlichen Talenten aller Beteiligten. Nicht nur ich habe diese Figur entstehen lassen.

 

 

Deadline: Ich habe dich zuerst in SIX FEET UNDER gesehen. Und das war schon eine hervorragende Serie mit einer tollen Rolle für dich als Claire Fisher. Wie würdest du deine Karriere zwischen SIX FEET UNDER und SERVANT beschreiben, also etwa eine Zeitspanne von 20 Jahren?

 

Lauren Ambrose: Ich fühle mich einfach so glücklich, dass ich in der Lage war, kontinuierlich in verschiedenen Medien arbeiten zu können, am Theater und mit unglaublichen Künstlern und an klassischen Stoffen von Dramatikern, die ich mein ganzes Leben lang geliebt habe, und an Shakespeare und an Filmen mit einigen sehr inspirierenden Leuten. Das war wild, und zwei Kinder zu haben, und dann schließlich, kurz bevor ich buchstäblich MY FAIR LADY am Broadway verließ, da sollte ich dann Dorothy spielen. Also ich weiß nicht, ich fühle mich einfach dankbar, wenn ich daran zurückdenke. SIX FEET UNDER war wie mein Schauspiel-Bootcamp, in dem ich von einigen ziemlich unglaublichen Menschen gelernt habe. Alan Ball und die Produzenten der Serie und dann natürlich die Schauspielerin Frances Conroy, ihre Arbeitsmoral und ihr Talent haben mich so sehr beeinflusst. Michael C. Hall, Peter Krause und Rachel Griffiths – ich bewundere sie alle so sehr, und ich fühle mich so glücklich, dass ich als junger Mensch jeden Tag mit ihnen zusammen in einer Serie spielen durfte, das war ein großes Glück!

 

Deadline: Noch eine letzte Frage. Dies war dein erstes Projekt mit M. Night Shyamalan. Kannst du dir vorstellen, in Zukunft wieder mit ihm zu arbeiten? Und was für ein Regisseur ist er überhaupt?

 

Lauren Ambrose: Nun, Logan George und Celine Held haben bei ein paar Episoden Regie geführt, und sie führen jetzt auch bei einem Film Regie, den M. Night produziert. CADDO ist der Titel, und ich bin Teil dieses Films, also war das eine großartige Fortsetzung der Arbeit mit M. Night. Er ist ein einzigartiger Künstler, und alleine die Art und Weise, wie wir diese Serie gemacht haben, indem wir ein „echtes“ Set mit funktionierendem Haus hatten, das war einfach wunderschön und perfekt. Er versammelte all diese Talente um sich herum. Seine Idee war es, SERVANT wirklich zu einer filmischen Sache zu machen und nicht wie eine typische Fernsehserie aufzubauen. Jede Folge ist fast wie ein kurzer, eigenständiger Film. Er arbeitet sehr strukturiert, anders als jeder andere Filmemacher, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Wenn man in sein Büro kommt, sieht man an der Wand den ganzen visuellen Aufbau seines aktuellen Films, bei dem er Regie führt. Ich war zuerst nervös, weil ich dachte: „Oje, ich weiß nicht, da gibt es keine Flexibilität.“ Aber es ist einfach eine andere Art von kreativem Prozess. Durch diese Struktur gibt es trotzdem Raum für Kreativität, man arbeitet innerhalb dieser Struktur, und das war einfach eine interessante, andere Erfahrung für mich, und ja, ich bin dankbar dafür, dass ich gesehen habe, wie so ein Arbeitsprozess funktioniert.

 

Deadline: Vielen Dank für das Gespräch. Nochmals herzlichen Glückwunsch zu dieser letzten Staffel, und ich wünsche dir alles Gute für zukünftige Projekte.

 

Interview mit M. Night Shyamalan 

 

Deadline: SERVANT war von Anfang an dein Baby. Wie fühlt es sich an, in der letzten Staffel anzukommen? Hat sich die Geschichte so entwickelt, wie du und dein Team es geplant hattet, oder gab es viele Änderungen?

 

Shyamalan: Wenn ich stark beschäftigt bin, so wie in den letzten Jahren und jetzt in diesem speziellen Jahr, wo die letzte Staffel und ein neuer Film gleichzeitig fertig werden, dann bin ich sicherlich erschöpft. Es kostet mich all meine Ressourcen. Und doch verursacht genau dieser Druck eine ganz eigene Verbindung zu der Geschichte und den Menschen, mit denen ich die Geschichte erzähle, sowie der Kunstform an sich. Ich tue Dinge, die ich vielleicht nicht tun würde, wenn ich nicht unter einem solchen Druck stünde. Es kann sehr faszinierend sein. Ich weiß, dass ich später auf SERVANT zurückblicken und mir sagen werde: „Wow, das war die tollste Zeit meines Lebens, in der ich mit all diesen talentierten Filmemachern, Schauspielern, Crewmitgliedern und Autoren zusammenarbeiten durfte.“ Das Format selbst ist so anspruchsvoll. Ich denke, es ist ein Balanceakt im Leben, wenn man ganz präsent ist, während man etwas macht oder etwas tut, und dann einen Schritt zurücktritt und wertschätzt, was es im Kontext des eigenen Lebens bedeutet und was für ein Geschenk es ist. Dafür bin ich super dankbar.

Deadline: Auch in dieser vierten Staffel gibt es wieder einige Regietalente wie Carlo Mirabella Davis oder Veronica Franz und Severin Fiala. Wie stößt du auf diese talentierten Filmemacher, und wie überzeugst du sie, Episoden für SERVANT zu drehen?

 

Shyamalan: Das ist eine der großartigsten Sachen, die bei SERVANT passiert sind und die in dieser Form, so glaube ich, nur bei SERVANT existiert, nämlich dass wir eine sehr filmemacherorientierte Serie sind. Normalerweise basiert eine Serie vor allem auf den Autoren. Aber ich wollte, dass Filmemacher genauso einen Einfluss darauf haben. Wenn ich einen Film wie SWALLOW sehe, also Carlos Film, dann sage ich mir oft: „Hey, kann ich den Regisseur treffen?“ Meistens geht alles gut, und ich treffe ihn, und danach schlage ich vor: „Hey, würdest du bei einer Episode unserer Serie Regie führen?“ Und oft sagt er Ja, und wir finden eine Folge, die meiner Meinung nach gut zu ihm passt, sodass er für diese Folge verantwortlich ist. Und dann gehört sie den entsprechenden Personen. Ich teile ihnen einfach die Dinge mit, die ich an der Geschichte für am wichtigsten halte, und sie können das dann in Szene setzen, wie auch immer sie das wollen. Das Gleiche gilt für Severin und Veronica, deren Film THE LODGE mir sehr gut gefallen hat. Also nahm ich Kontakt zu ihnen auf und lernte sie kennen. Und dann habe ich gefragt: „Hey, wollt ihr bei einer Episode von SERVANT Regie führen?“ Und sie haben zugesagt und waren unglaublich. Es war also ein wunderbarer Prozess, sich von anderen inspirieren zu lassen und dann gleich mit ihnen zu arbeiten. Einfach ein Traum.

 

Deadline: Was fasziniert dich am übernatürlichen Genre?

 

Shyamalan: Ich glaube, jeder hat eine bestimmte Neigung zu etwas. Von all diesen anderen Filmemachern und Geschichtenerzählern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, hatte jeder eine andere Stärke, die sich von meiner und von der der anderen unterscheidet. Sagen wir, einer ist eher physisch und kann mehr physische Action drehen, ein anderer ist schrulliger, wieder ein anderer düsterer. Das Übernatürliche erlaubt mir am meisten, ich selbst zu sein. Ich glaube an bestimmte Dinge. Es sind nicht unbedingt religiöse Dinge. Ich glaube also an den Glauben und das Vertrauen, und das übernatürliche Genre ermöglicht es mir, meine Stärken in Bezug auf geerdete Glaubenssysteme auszuspielen.

 

Deadline: Was hast du in diesen vier Staffeln gelernt?

 

Shyamalan: Das ist eine großartige Frage, und ich werde ein wenig von meiner Antwort auf die vorletzte Frage abkupfern. Wenn ich also von jedem dieser Filmemacher lerne, wenn ihr Auge eine bestimmte Sache sieht, das meines nicht sieht, dann denke ich mir manchmal: „Wow, ich hätte nie daran gedacht, es so zu machen. Als ich diese Worte geschrieben habe, hätte ich nie gedacht, dass sie auf diese Weise interpretiert werden würden. Es ist erstaunlich.“ Ich habe zum Beispiel meine Tochter, die bei sechs Folgen Regie geführt hat, ein bisschen zur Fantastik neigen lassen. Das ist ihr Ding. Wenn sie Regie führt und diese Elemente in die Serie einfließen lässt, ist sie viel mehr am Produktionsdesign interessiert als ich. Ich interessiere mich zwar auch für Produktionsdesign, aber sie ist davon besessen. Diese Unterschiede sind fantastisch. Ich habe gelernt, mir eine Geschichte als eine einzige Sequenz vorzustellen. Früher habe ich mir das Filmemachen als eine Reihe von Szenen vorgestellt. Und dann bin ich reifer geworden und habe gelernt, dass diese Szenen Teil einer längeren Sequenz sind, aber alles, was zählt, ist die eine lange Sequenz. Wenn man also meinen neuen Film KNOCK AT THE CABIN sieht, hat man das Gefühl, dass es sich um eine einzige Sequenz handelt, vom Anfang bis zum Abspann, es ist eine einzige Bewegung, und dieser Gedanke kam von SERVANT, wo ich gelernt habe, eine Geschichte in einer 30-minütigen Sequenz zu erzählen.

 

Deadline: Jetzt, wo wir bei der letzten Staffel angelangt sind, frage ich mich, wie sich die Serie seit ihrer Entstehung zu dem entwickelt hat, was wir jetzt in den letzten Episoden sehen.

 

Shyamalan: Ich habe eine minimalistische Herangehensweise an das Erzählen von Geschichten. Ich denke, es ist wichtig, die Zuschauer als Teil der Kunstform zu begreifen, ihre Fantasie zu wecken. Wenn oben im Haus ein seltsames Geräusch ertönt und die Figuren aufschauen, dann schauen auch die Zuschauer auf. Und man fragt sich: „Was war das?“ So wird das Publikum ein Teil der Erzählung. Ich verwende ihre eigene Vorstellungskraft, um das Bild zu vollenden. Und das ist mein primäres Erzählmittel, und das war in der ersten Staffel so und in der zweiten Staffel auch, aber dann ging es immer mehr in Richtung physische, konkrete Dinge. Die letzte Staffel hier ist der dritte Akt. Unsere Drehbücher wurden buchstäblich länger, und alles war schwieriger zu erzählen, weil es kein Zurückhalten mehr gab. Also haben wir einfach angefangen, quasi Steroide-Versionen der 30 Minuten jeder dieser letzten zehn Episoden zu drehen. Ich hoffe also, dass man das Gefühl hat, dass nur diese Episoden aus der vierten Staffel hätten stammen können.

 

Deadline: Hast du die ganze Staffel und das Ende von Anfang an so geplant, oder gab es im Laufe der Jahre einige Änderungen an der Geschichte?

 

Shyamalan: Nun, ein Aspekt der Serie, den ich unbedingt wollte, war die Struktur der Familie. Darüber war ich mir im Klaren. Die Mythologie dagegen war etwas, das sich erst noch entwickeln musste. Und ich denke, eines der großartigen Dinge an dem Serienformat ist, dass man die Gelegenheit hat, diese Mythologie mit den Charakteren gleichzeitig zu entdecken. Das ist eine sehr schöne, natürliche Sache. Die Figuren führen den Zuschauer immer weiter, von Episode zu Episode, und dann muss man sich irgendwann für ein Ziel, ein Ende entscheiden. Das ist das wirklich Interessante an dem, was wir mit SERVANT geschafft haben: Das Publikum war stets bei uns, es war quasi das beste, das wir je hatten. Die Leute lieben die Serie immer noch. Unsere Partner, Apple, alle lieben sie und wollten, dass wir weitermachen. Unsere Schauspieler auch. All diese Dinge sind vorhanden. Aber irgendwann musste die Geschichte enden. Wir waren an einem Punkt angelangt, wo wir wussten, das ist die letzte Staffel. Und genau da haben wir aufgehört, um die Serie in Ehren zu halten. Und das bedeutet hoffentlich auch, dass, wenn man zurückblickt und über die 40 Episoden nachdenkt, sie alle eine Menge Integrität haben. Aus diesem Grund sind wir dieser Machart gefolgt. Ungefähr nach der Hälfte, nicht ganz nach der Hälfte, vielleicht nach 35 bis 40 Prozent der Episoden, dachte ich: „Okay, wohin gehen wir? Wohin will sich die Geschichte entwickeln?“ Sich an einem Punkt festzulegen, zu lernen und sich dann auf die Geschichte einzulassen ist wirklich wie eine Beziehung.

 

Deadline: Ich bin mir sicher, dass der Abschied von SERVANT nicht leichtfällt. Was wirst du am meisten vermissen?

 

Shyamalan: Darauf habe ich eine lange Antwort. Es ist eine seltsame Existenz, die sich über all die Jahre abgespielt hat. Ich hatte das Gefühl, als würde ich zwei verschiedene Sportarten gleichzeitig betreiben. Ich liebe meinen ersten Sport: Mit Filmen bin ich aufgewachsen, mit zweistündigen Geschichten im Kino, und diese habe ich dann selbst gemacht. Und dann kam diese neue Sportart hinzu, die ich auch wirklich liebe. Und ein Teil von mir hat das Gefühl, dass ich nicht lange beides auf diesem Niveau machen kann. Es ist einfach so schwer, ich kann das nicht wirklich delegieren, in einem Raum habe ich SERVANT geschnitten und in dem anderen Raum daneben KNOCK AT THE CABIN. Und es ist schwer, denn manchmal sind es nicht die richtigen Schnitte, ich jongliere zwischen diesen beiden Räumen und Projekten. Es ist, als gäbe es leicht unterschiedliche Teile in meinem Gehirn, die sich an die verschiedenen Projekte jeweils gewöhnen. So habe ich es also geschafft, Serie und Film gleichzeitig zu machen. Aber es ist körperlich und emotional sehr schwierig, das weiterhin über Jahre zu tun. Ein Teil von mir wünscht sich, dass ich in diesem Lebensabschnitt nur an einem Projekt arbeiten würde … Hätte ich dann acht Staffeln von SERVANT machen können, wenn ich nur an der Serie gearbeitet hätte? Wahrscheinlich nicht. Aber letztendlich denke ich, dass sich beide Projekte zum größten Teil gegenseitig bereichert haben.

 

Deadline: Wie war der Prozess, die Psyche eines Paares zu erforschen, das einen so traumatisierenden Verlust erlitten hat?

 

Shyamalan: Der Grund, warum ich die Serie machen wollte, war, dass der Aufbau des Pilotfilms so bewegend, nachvollziehbar und existenziell beängstigend gewesen ist. Vor fünf Jahren habe ich Folgendes auf einem kleinen gelben Stück Papier aufgeschrieben: In dieser Serie geht es um Akzeptanz. Vergessen darf man das nicht. Und so geht es in jeder Folge gerade darum, dass die Protagonisten ihre tragische Situation eben nicht (oder eben doch, je nachdem) akzeptieren.

Die Hintergrundgeschichte der Serie stammt von einem Dokumentarfilm über einen Mann, der vergaß, dass sein Kleinkind auf dem Rücksitz des Autos saß. Er ging zur Arbeit. Es war unglaublich heiß an diesem Tag … und das war‘s. Der Film zeigte, was mit dem Paar danach geschah. Und es war so schrecklich. Wenn man das sieht, denkt man, na ja, es gibt wohl definitiv keinen Gott. Und das hat den übernatürlichen Teil der Geschichte angetrieben. Die Serie ist eine Antwort darauf, wie ich mit dieser Tragödie umgehe und sie verarbeite.

 

Deadline: Welches war der Moment in der gesamten Serie, der dich besonders stolz gemacht hat?

 

Shyamalan: Ein einzelner Moment … Als du gefragt hast, kam mir gerade etwas in den Sinn, also werde ich es einfach so beantworten, wie es mir in den Sinn gekommen ist. Ich weiß nicht, ob du das gemeint hast, aber als ich meine Tochter als Regisseurin für diese Episode in der zweiten Staffel, die Pizza-Episode, eingestellt habe, war das ein beängstigender Moment. Ich hatte ihre Kurzfilme gesehen, ich wusste, wie talentiert sie ist, und ich sagte ihr: „Weißt du, ich denke, du solltest es versuchen.“ Und dann kam sie ans Set, und ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was Apple zu dem Zeitpunkt dachte. Ich bin mir sicher, dass sie misstrauisch waren und die Crew es auch war, aber ich wusste, dass wir einen Superstar hatten, und sie führte Regie bei dieser Folge, die eine der Lieblingsfolgen dieser Staffel wurde, diese Pizza-Folge, und Apples Lieblingsfolge dieser Staffel, und diesen Moment zu haben, in dem Ishana am Anfang ihrer Karriere stand. Sie ist gerade 23 geworden, sie hat bei sechs Episoden Regie geführt, sie hat elf davon geschrieben, sie ist ein Biest, und sie wird jetzt Filme machen. Das war, glaube ich, für mich einer der großen, besonderen Momente. Es gibt so viele, aber für mich als Vater war das natürlich der Hammer.

 

Deadline: Ich habe mich oft gefragt, ob es eine Frage gibt, eine einzige Frage, die du dir jedes Mal stellst, wenn du mit der Arbeit an einer Geschichte beginnst, und wenn ja, dann muss es eine Antwort geben, nach der du suchst, oder? Gibt es so etwas in deinem Werk?

 

Shyamalan: Ich habe gemerkt, dass ich oftmals unsicher bin, egal, ob es sich dabei um meine Filme oder SERVANT handelt. Es ist eine Art Nervenkitzel, nicht zu wissen, ob die Geschichte für das Publikum und das System funktioniert. Diese Gefahr treibt mich an. Ich mag es, mir zu sagen, dass wir immer etwas wagen, bei SERVANT etwa Humor und Grusel auf eine neue Art zu verbinden, halbstündige Thriller zu drehen oder das Haus während der Serie nie zu verlassen. Die Dinge, die mich 40 Episoden lang angetrieben haben, waren, das Haus nicht zu verlassen, nur vier zentrale Charaktere zu haben und alles wie ein Theaterstück wirken zu lassen. All diese Elemente haben mich vor Herausforderungen gestellt, aber ich denke, dass die Kreativität an diesen Einschränkungen oder Herausforderungen abprallt und etwas Einzigartiges schafft. Ich liebe es, wenn das Publikum oder die Kritiker meine neuen Filme sehen und merken, dass es etwas ist, was es so noch nicht gegeben hat. Man kann danach nicht sagen, dass man gerade einen guten Hamburger gegessen hat, denn es war kein Hamburger, sondern eben etwas Neues, ein neuer Burger. Ich glaube, das treibt mich an, wenn ich mir eine Geschichte ausdenke oder mir eine Geschichte einfällt. Stell dir die Konversation mit Apple vor: „Hey, Tim Cook, also, ich plane eine neue Serie, es geht um ein totes Baby. Du wirst es lieben. Vertrau mir, die Leute werden sich kaputtlachen, es wird fantastisch.“ (lacht)

 

Deadline: Was sind deiner Meinung nach die Hauptunterschiede zwischen der Entwicklung einer Geschichte für einen Film und für eine Fernsehserie?

 

Shyamalan: Ich werde diese Frage im Laufe meines Lebens immer wieder für mich selbst beantworten müssen. Aber ich habe eines bei Serien gemerkt: Es ist faszinierend zu beobachten, wie viele Menschen diese richtiggehend konsumieren, traditionell eher eine passive Sache. Man sitzt am Computer, befindet sich auf dem Laufband, man macht Multitasking, während man fernsieht. Ich neige dazu, sowohl bei Filmen als auch beim Fernsehen den gängigen Erwartungen entgegenzuwirken. Sie lauten in etwa so: „Hey, lenk die Zuschauer ab, gib ihnen Dinge, damit ihr Verstand beschäftigt ist, gib ihnen einfach eine Menge Zeug, damit sie ihren Konsum haben.“ Ich gehe den umgekehrten Weg. Sogar beim Marketing für meine Filme versuche ich, einen anderen Weg einzuschlagen: Den Zuschauern eben nicht sofort alle Antworten aufzutischen! Sie müssen mir also ihre ganze verdammte Aufmerksamkeit schenken, weil sie die Geschichte auf dem Bildschirm zu Ende denken müssen. Es ist also unvollständig. Diese Vorgehensweise hat sich für mich bei Filmen und der Serie als erfolgreich erwiesen, um dem allgemeinen Ethos des „Immer mehr, immer deutlicher“ entgegenzuwirken. Ich brauche den Zuschauer, damit meine Geschichten funktionieren. Er muss aktiv dabei sein, mit seiner Fantasie und seinem Verstand. Er wird wertgeschätzt, und das Gesehene ist weit mehr als nur eine Ablenkung, um seine Sorgen zu vergessen.

Deadline: Es scheint immer mehr Serien und Filme zu geben, die sich um Essen und Kochen drehen. Welche Bedeutung hat Kochen in SERVANT?

 

Shyamalan: Food war direkt im Pilotfilm vorhanden und dann auch in den frühen Episoden, weil Tony, der den Pilotfilm schrieb, persönlich und durch seine Familie sehr kulinarisch geprägt ist. Danach wurde es zu einem sehr filmischen Aspekt der Serie, die ja stets nur im Haus spielt. Kochen ist durchaus mit Gewalt verbunden. Es geht um Schöpfung und Zerstörung. Es gibt eine Menge Symbolik, Leben und Tod. Und man kann es auch sehr metaphorisch verwenden. Ich kann nicht einmal ganz erklären, warum es in der Serie so gut funktioniert, aber es passt zu dem Minimalismus, von dem ich gesprochen habe. Es ist so etwas wie unser Gore in der Serie. Es ist seltsam und extrem schön. Eine Figur zu haben, die in der Küche steht und all diese extravaganten Dinge kreiert, hat auch etwas Dekadentes, diese Familie in diesem schönen Haus, die diese dekadenten Partys schmeißt und ständig Wein und Essen serviert, um sich und der Welt zu beweisen, dass alles in Ordnung ist.

 

 

Interviews geführt von Adrian Gmelch

Biografie:

Adrian Gmelch schreibt für mehrere Filmmagazine, darunter DEADLINE und Splatting Image. Außerdem ist er für hunderte Artikel mit Fokus auf Film und Fernsehen bei Wikipedia verantwortlich. Mit Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan (2021) hat er sein erstes Filmbuch im Marburger Büchner-Verlag veröffentlicht, gefolgt von Art-Horror. Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers (2022). Hier die Autorenwebsite (adrian-gmelch.com) oder  Twitter (@gme_adrian).

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