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INTERVIEW MIT REGISSEUR THOMAS CAILLEY ZU ANIMALIA

ANIMALIA

(OT: LA RÈGNE ANIMAL)

Regie: Thomas Cailley / Frankreich 2023 / 128 Min.

Besetzung: Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarchopoulos, Tom Mercier, Billie Blain

Freigabe: FSK 12

Vertrieb: Studiocanal

Start: 11.01.2024

In ANIMALIA befindet sich die Welt in Aufruhr. Große gesellschaftliche Umwälzungen stehen bevor. Im Interview mit der DEADLINE spricht Regisseur Thomas Cailley über seinen neuesten Film und verrät unter anderem, was ihn an Hauptdarsteller Paul Kircher so fasziniert und was ANIMALIA mit seinem früheren Werk LIEBE AUF DEN ERSTEN SCHLAG zu tun hat. ANIMALIA startet am 11. Januar via STUDIOCANAL in den Kinos!

v.l.n.r.: Julia (Adèle Exarchopoulos), François (Romain Duris)

DEADLINE: Wie bist du auf die Idee zum Film gekommen?

 

Thomas Cailley: Die Idee ist durch ein langes Gespräch mit meiner Co-Autorin Pauline Munier entstanden. Sie hatte bereits ein erstes Skript geschrieben, in dem es um Figuren geht, die tierische Attribute haben. Das hat mir sehr gefallen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nach einer Geschichte gesucht, die von einer Vater-Sohn-Beziehung erzählt. Ich war dann der Meinung, dass man beides gut miteinander vermischen könne. Wir haben uns getroffen und gemeinsam daran gearbeitet, ein neues Drehbuch zu schreiben.

 

DEADLINE: Wie viel hat der fertige Film noch mit dem ursprünglichen Drehbuch zu tun – abgesehen von den tierischen Elementen?

 

Cailley: Wir haben wirklich sehr viele Sachen geändert. So ist beispielsweise die eigentliche Geschichte nicht mehr die gleiche. Wir haben eine Geschichte geschrieben, bei der Vater und Sohn umziehen mussten, weil die Mutter in einem Heim untergebracht werden muss. Außerdem ist die Mutation, von der Pauline im ersten Skript erzählte, nun ganz anders. Zuvor war es so, dass die Figuren Krisen hatten, in denen sie sich dann verändert haben, anschließend aber wieder ganz normal wurden, sobald die Krise überstanden war. Es war also nur eine temporäre Mutation. Pauline hatte das so geschrieben, um die Ausgrenzung von psychisch kranken Personen zu beschreiben. Bei uns war es anders. Wir haben eine progressive und totale Mutation der Figuren, und wir wollten damit auch etwas anderes ausdrücken. Wir wollten eine generalisierte Unterschiedlichkeit ausdrücken und natürlich auch auf ökologische Probleme hinweisen.

François (Romain Duris), Émile (Paul Kircher)

DEADLINE: Welchen Einfluss hatte DIE INSEL DES DR. MOREAU von H. G. Wells auf diesen Film – inhaltlich bzw. stilistisch?

 

Cailley: Der Casting Director von ANIMALIA hat mich mit dieser Geschichte bekannt gemacht. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Buch kennenlernte, waren wir bereits dabei, Schauspieler für unseren Film zu casten. Man könnte sagen, diese Geschichte und auch die Verfilmung mit Burt Lancaster sind wie eine Schwarz-Weiß-Version unseres Films und das genaue Gegenteil. Für mich ist diese Geschichte eher eine Aufarbeitung des Mythos Frankenstein. Unser Film macht das Gegenteil, da nämlich eine neue Form des Zusammenlebens mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen gesucht wird.

 

DEADLINE: Mich hat ANIMALIA stilistisch auch ein wenig an David Cronenberg erinnert. Findest du, dass dieser Vergleich gerechtfertigt ist?

 

Cailley: Mein Film hat einen geringeren Horror-Charakter als die Werke von Cronenberg, und diese sind poetischer. Aber tatsächlich haben wir am Set oft auch von dem Film DIE FLIEGE gesprochen, weil auch hier die Mutationen progressiv erzählt werden. Sehr oft ist es bei Science-Fiction-Filmen ja so, dass sich die Figuren sofort und schnell verwandeln, zum Beispiel ein Werwolf in einer Vollmondnacht und so weiter. Bei uns und DIE FLIEGE findet die Wandlung jedoch sehr langsam statt und erstreckt sich über einen gewissen Zeitraum. Das fand ich sehr schön, und deshalb war es auch naheliegend, daraus Elemente aufzugreifen. Was ich noch gut finde an DIE FLIEGE, ist, dass der Film auch eine wunderbare Liebesgeschichte ist, die aus der Sicht der Figuren erzählt wird. Und das ist dann nicht einfach nur ein großes theatralisches Spektakel, sondern eine Geschichte, die einen richtig berührt.

Émile (Paul Kircher)

DEADLINE: ANIMALIA bringt Coming of Age und Body-Horror zusammen. Wie bist du an dieses Thema herangegangen, um Klischees zu vermeiden und stattdessen originelle Ansätze zu finden?

 

Cailley: (denkt lange nach) Für mich ist die Struktur unserer Geschichte eigentlich weniger Coming of Age, sondern mir geht es wirklich vor allem um die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Was sich da zwischen den beiden abspielt. Was die beiden einander vermitteln und wie sie sich entwickeln in dieser Beziehung. Und wie eine Mutation eine Familienstruktur dieser Familienzelle beeinflussen kann. Wir haben zudem relativ wenige Body-Horror-Szenen, vor allem die im Badezimmer. Mich hat mehr interessiert, was man von seinen Eltern in seinem Verhalten vererbt bekommt und wie man sich da auch rausentwickeln kann, um die Beziehung zueinander und zu seiner Umwelt neu zu erfinden.

 

DEADLINE: Wie ist denn deine Überzeugung? Ist man vor allem durch seine Eltern geprägt und es ist viel vorherbestimmt, oder ist man vielmehr sein eigener Herr?

 

Cailley: Es ist auf jeden Fall eine Mischung. Was ich daran interessant fand, ist, dass man nie ein definitives Imprinting erhält, sondern dass das eine permanente Bewegung und Entwicklung ist, die sich auch in der Beziehung der beiden darstellt. Gerade wenn man sich François anschaut, ist er am Ende ein total anderer Vater als am Anfang. Ich persönlich finde, dass er erst am Ende zu einem richtigen Vater wird, weil er lernt, für sein Kind Risiken auf sich zu nehmen. Das ist das, was mich hier am meisten interessiert hat. Der Film beginnt ja mit einer Szene, wo sich die beiden im Stau befinden, der Sohn aussteigt und der Vater dann hinterherjagt, um ihn zurückzuholen. Am Ende passiert das genaue Gegenteil. Ich glaube, dass das das größte Geschenk ist, das man als Elternteil einem Kind machen kann, dass man ihm die Freiheit schenkt, sich selbst emanzipiert und anderen die Emanzipation ermöglicht.

Julia (Adèle Exarchopoulos)

DEADLINE: Der Film hat viele tolle Darsteller. Insbesondere Paul Kircher war beeindruckend. War es schwer, ihn zu finden?

 

Cailley: Ich habe mir sehr, sehr viele junge Schauspieler angesehen. Es waren in etwa 200. Als ich dann Paul gesehen hatte, war ich mir aber wirklich sofort sicher, denn ich finde, er ist ganz außerordentlich und einzigartig. Er bringt eine große Verletzlichkeit mit sich, drückt dabei aber zugleich auch eine große Stärke aus. Und er hat eine gewisse Wildheit. Genau das hatte ich ja gesucht. Er war wirklich sehr nahe dran an der Idee, die ich für seine Figur hatte. Als ich Paul gefunden hatte, habe ich auch noch mal einiges umgeschrieben, um die Figur Paul anzunähern. Danach haben wir mit Paul sehr viel gearbeitet, damit wiederum er sich der Figur annähert. Vor allem hinsichtlich des tierischen Habitus haben wir viel mit ihm gearbeitet.

 

DEADLINE: In der „Variety“ habe ich gelesen, dass für dich ANIMALIA ein wenig wie ein Sequel zu LIEBE AUF DEN ERSTEN SCHLAG sei. War diese inhaltliche Verbindung von Anfang an vorgesehen?

 

Cailley: Man kann das tatsächlich so sehen. Denn am Ende meines ersten Films warten die Menschen auf eine große Veränderung. Sie wissen nicht, was das für eine Veränderung sein wird, aber sie wissen, da kommt was Großes. Sie haben Angst davor und die Sorge, dass dies das Ende der Welt sein könnte. In ANIMALIA sehen wir nun Figuren, die sich mit einer neuen Welt auseinandersetzen und mit dieser umgehen müssen. Diese Verbindung zwischen diesen beiden Filmen war mir jedoch nicht von Anfang an bewusst. Ganz ehrlich: Das ist mir erst beim Schneiden von ANIMALIA aufgefallen, dass sich die beiden Filme miteinander verbinden lassen.

v.l.n.r.: François (Romain Duris), Émile (Paul Kircher)

DEADLINE: Bisher hast du ja immer sowohl Regie als auch Drehbuch bei einem Film gemacht. Könntest du dir vorstellen, auch mal nur die Regie zu übernehmen?

 

Cailley: Auf jeden Fall. Das ist auch eine kleine Fantasie, die ich habe. Denn ein Drehbuch zu schreiben ist wirklich sehr schwierig. Daher würde ich sehr, sehr gerne mal ein fertiges Drehbuch nehmen und dieses verfilmen. Aber leider habe ich bis heute noch nicht das perfekte Drehbuch hierfür gefunden.

Thomas Cailley am Set

 

DEADLINE: Was steht bei dir als Nächstes an?

 

Cailley: Das weiß ich noch nicht. Ich habe ein paar Ideen im Kopf, aber ich habe noch nichts final entschieden. Insofern kann ich deine Frage leider nicht konkret beantworten.

 

DEADLINE: Vielen Dank für deine Zeit!

 

Interview geführt von Heiko Thiele

 

HIER NOCH EIN REVIEW

 

Die Welt steht vor einer enormen Herausforderung, als eine mysteriöse Krankheit dafür sorgt, dass aus infizierten Menschen innerhalb kürzester Zeit Kreaturen werden, die Adlern und anderen Tieren ähnlich sind. Jeder, der erkrankt und dementsprechend mutiert ist, gerät sehr schnell ins gesellschaftliche Abseits. Um sich vor wütenden Mobs zu schützen, suchen daher einige Kreaturen Zuflucht in einem Wald. Eines der mutierten Wesen ist Émiles (Paul Kircher) Mutter. Der junge Mann möchte seine Mutter jedoch nicht aufgeben und begibt sich daher zusammen mit seinem Vater François (Romain Duris) auf die Suche. Dass seine Frau nicht mehr die Alte ist, will François allerdings nicht so recht wahrhaben. Als schließlich auch noch Émile erkrankt, bricht für den Familienvater die Welt vollends zusammen.

v.l.n.r.: Émile (Paul Kircher), François (Romain Duris)

 

Die Coronapandemie ist uns allen noch in bester Erinnerung, und zugegeben, der Ausgangspunkt von ANIMALIA erinnert durchaus an diese Zeit, als noch niemand genau wusste, was los ist, wie ernst die Bedrohung und welches Verhalten das richtige ist. Doch in Wirklichkeit haben der Film von Thomas Cailley und Corona genau null Prozent miteinander zu tun. Vielmehr erzählt der Regisseur einerseits eine berührende Vater-Sohn-Geschichte, bei der Paul Kircher und Romain Duris in grandioser Form und enorm vielschichtig agieren. Andererseits vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes, das sich in der Verwandlung vom Menschen in ein Tier manifestiert. Anders als bei anderen Body-Horror-Geschichten sind die körperlichen Effekte jedoch sehr übersichtlich gehalten und eher Beiwerk als im Vordergrund stehend. Vielmehr steht die emotionale Entwicklung der Figur im Zentrum der Geschichte. Und so ist es denn auch keine Überraschung, dass ANIMALIA den Zuschauer auch über das Filmende hinaus beschäftigt, da die Story so emotional dicht und schauspielerisch überzeugend vorgetragen wurde – in einer Atmosphäre, die das Publikum von Beginn an in ihren Bann zieht. (Heiko Thiele)

Hochklassiges französisches Kino

 

 

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ANIMALIA

(OT: LA RÈGNE ANIMAL)

Regie: Thomas Cailley / Frankreich 2023 / 128 Min.

Besetzung: Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarchopoulos, Tom Mercier, Billie Blain

Freigabe: FSK 12

Vertrieb: Studiocanal

Start: 11.01.2024