HENDRIK MUTZENBACHS GAME-KOLUMNE TEIL 1
Neues Jahr, neues Glück. Und selten dürften diese Worte so bitter nötig sein wie diesmal. 2016 war ja ein eher durchwachsenes Jahr. Während Amerika monatelang einen toten Gorilla betrauerte, starben rundherum berühmte Persönlichkeiten weg, als stünde das Ende der Welt bevor. Im Kino gab es mit DEADPOOL einen Überraschungshit, der den Naturgesetzen nach noch nicht einmal existieren dürfte, und gleichzeitig konnten altehrwürdige Franchises wie die BOURNE-Reihe oder GHOSTBUSTERS nur mäßig überzeugen. Und auch im Gaming-Bereich mussten wir uns mit Höhen und Tiefen in epischer Breite herumschlagen. Von grandiosen Triple-A-Titeln wie DOOM über viel zu wenig beachtete Indieperlen à la FIREWATCH bis hin zum kolossalen und mitleiderregenden Crash von NO MAN`S SKY. Und gerade jener letzte Fall wird seither gerne als Beispiel herangezogen für eine sich im Internet verbreitende Botschaft sowohl an alle Gamer als auch an die Entwickler und Publisher:
REMEMBER, NO PREORDER!
Dieser auf den ersten Blick zum Schmunzeln anregende Kampfschrei ist Ausdruck eines durchaus ernsten Problems innerhalb der Gaming-Community. Es geht um Vertrauensverlust, um das Gefühl, als Spieler von den Entwicklern nicht ernst genommen und finanziell ausgenutzt zu werden, und darum, ein Zeichen zu setzen gegen die um sich greifende Abart, Spiele als Stückwerk, überhastet oder mit falschen Versprechungen auf den Markt zu bringen und eine künstliche Knappheit vorzutäuschen. Mehr als genug Anlass also, um sich einmal im Detail mit dem Konzept des Preorderns, seiner Geschichte und der Frage, ob Preorder in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Daseinsberechtigung haben, auseinanderzusetzen.
Gerade den Jüngeren unter uns schadet es nicht, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, woher die Tradition der Vorbestellungen eigentlich kommt. In der schlimmen alten Zeit, vor dem Internet, als Spiele noch auf Cartridges kamen und 16-Bit die Spitze der grafischen Leistung darstellte, konnte es für Entwickler von großer Bedeutung sein, ob und wie viele Vorbestellungen es gab. Dies hatte direkten Einfluss auf kosten- und ressourcenintensive Fragen wie beispielsweise: Wie viele Kopien des Spiels müssen mindestens hergestellt werden? Wohin müssen diese verschifft werden? Lässt sich anhand der Vorbestellungen abschätzen, wie viele Einheiten insgesamt abgesetzt werden können? Wer sich noch, ob aus erster Hand oder wegen der immer mal wiederkehrenden Diskussion darüber, an das Debakel des Atari-Releases von E. T. erinnert, wird verstehen, warum eine Fehlkalkulation in diesem Bereich fatale Folgen haben kann.
Aber auch für die Konsumenten waren Vorbestellungen eine gute Möglichkeit, sich den lange ersehnten Titel am Erscheinungstag zu sichern. Ich selbst habe zum Beispiel damals den N64-Titel TUROK im heimischen Elektromarkt vorbestellt, was sich als wahrer Glücksfall erwiesen hat.
Zwei Tage nach Release wurde die ungeschnittene Fassung nämlich aufgrund der Gewalt zeitweise vom Markt genommen. Preorder waren also eigentlich eine ziemlich tolle Sache für alle Beteiligten. Aber ist dieses Geschäftsmodell noch zeitgemäß? Das Internet, allen voran Steam und Blizzards Battlenet, haben, zumindest für den PC-Markt, die Notwendigkeit physikalischer Kopien de facto überflüssig gemacht. Indem man einfach nur den Key verkauft und sich das Spiel runterladen lässt, haben sich nicht nur die Distributionswege drastisch verkürzt, sondern auch die Ausgaben der Entwickler, da auf die umständliche Produktion von Discs und Hüllen verzichtet werden kann. Und auch die Konsolen ziehen mittlerweile nach und bieten Spiele als Digital Copy an. Zwar gibt es unbestreitbar immer noch viele, mich eingeschlossen, die zumindest bei bestimmten Titeln Wert auf eine schön aufgemachte Verpackung und den einen oder anderen Beipackzettel legen, die schiere Masse an digital vertriebenen Games belegt jedoch, dass dieser Trend eher abnimmt.
Reine Keys benötigen aber keine Preorder. Sie lassen sich auf Knopfdruck zu Hunderttausenden generieren, und das ohne nennenswerten zeitlichen oder finanziellen Aufwand. Wozu also preordern, da die eventuelle Knappheit, von der eben die Rede war, ja kein Problem mehr darstellt? Aus Sicht der Entwickler und Vertriebe müsste die Frage allerdings richtiger lauten: Warum nicht preordern? Wenn die Kunden bereit sind, das Spiel zu kaufen, auch wenn noch keine Reviews, Betas oder teilweise auch nur Trailer vorliegen, dann soll man sie doch machen lassen. Und tatsächlich kann man wohl kaum argumentieren, dass Preorder quasi naturbedingt etwas Schlechtes sind.
Um ein persönliches Beispiel zu nennen:
Ich selbst bin großer Fan von so ziemlich allem, was Bethesda in den letzten Jahren herausgebracht hat. Als folglich FALLOUT 4 angekündigt wurde, war es für mich gar keine Frage, ob ich das Spiel vorbestellen soll oder nicht, zumal die Aussicht, meinen eigenen PipBoy zu besitzen, jegliche Fähigkeit zum rationalen Denken automatisch ausgeschaltet hat. Aber natürlich war ich mir auch darüber im Klaren, was die Preorder bedeutet.